TEXT: ANDREAS WILINK
Albert ist in seinem Suffkopf, der auch nüchtern betrachtet wenig beinhaltet, auf die Bahngleise geklettert und gerade eben so davon gekommen; Mo kann notorisch nicht die Hände von fremdem Eigentum lassen; Rhino hat volltrunken ein ehrwürdiges Denkmal bestiegen; und Robbie (Paul Brannigan) schlägt ohne zu überlegen zu, so heftig, dass es mit einem blauen Auge nicht abgetan ist. Seine Toleranzschwelle liegt sehr niedrig, anders als die des Richters vor dem Glasgower Gericht, der die Delinquenten mit ein paar hundert Stunden gemeinnütziger Arbeit davonkommen lässt. Für Robbie, der als Ausweis seiner unkontrollierten Energie Narben im Gesicht trägt, die letzte Chance. Die er nur bekommen hat, weil er als werdender Vater mit seiner Freundin Leonie eine Perspektive haben könnte, was deren Vater ganz anders sieht. Robbie passt nicht in die Familie. Einen Job kriegt er bei seinem Vorleben eh nicht, und mit der rivalisierenden Gang aus alten Tagen kündigt sich bereits der nächste Konflikt an.
Es sieht alles nach einem echten Ken-Loach-Film aus, in dem das soziale Gewissen des Vereinigten Königreichs schlägt. Aber dann ändert sich die Stimmung. Was auch am Alkohol liegt. Unter Führung ihres großherzigen Sozialarbeiters Harry (John Henshaw) besichtigt die Vierergruppe eine Destillerie, verkostet Whisky und lernt dabei, was jeder Schotte weiß: dass bei der Lagerung jedes Jahr ein bestimmtes Quantum Alkohol verdunstet, der sogenannte »Angels’ Share« (Engelschluck). Robbie merkt, dass er ein feines Näschen hat. Er riecht und schmeckt die Inhaltsstoffe in ihren süßen, maritimen, torfigen oder rauchigen Noten. Als er von der Versteigerung eines ganz raren Fasses Whisky hört, das auf eine Million Pfund taxiert wird, beweist er auch hier Instinkt. Es bringt ihn auf eine raffinierte Idee.
Manches erinnert an den legendären »Clou«, während der soziale Aspekt sich etwas verdünnisiert: gewissermaßen Ken Loachs »Angels’ Share« – sein Tribut an ein hochprozentiges Märchen, heiter, entspannt, sehr positiv und mit vielen guten, aber deshalb noch keinen dummen Gefühlen. Robbie, der am Ende mit Frau und Kind in die Zukunft aufbricht, die ebenfalls mit Whisky zu tun hat, wird es schaffen. Kein Film für Abstinenzler. Man wird trunken vor Vergnügen.
»Angels’ Share«; Regie: Ken Loach; Darsteller: Paul Brannigan, Siobhan Reilly, John Henshaw, Gary Maitland, William Ruane, Jasmin Riggins; UK, Frankreich, Belgien, Italien 2012; 101 Min.; Start: 18. Oktober 2012.