TEXT: STEFANIE STADEL
Nuri-botoke baumeln die Augen aus dem Kopf. Der unförmige Nuppeppo stinkt erbärmlich. Ushione, der aussieht wie eine riesige Spinne mit Ochsenkopf, kann Fischern gefährlich werden. Spezialisiert auf Wanderer ist dagegen der einäugige WairaYama-warau. Er führt sie gern in die Irre, zeigt sich gelegentlich aber auch hilfsbereit, vorausgesetzt, ein paar Reisbällchen und alkoholische Getränke springen dabei für ihn heraus.
Eine Armada haarsträubender Gestalten tummelt sich in der langen Vitrine. Geister, Monster, Fabelwesen, die gut einem aktuellen Manga oder Anime entsprungen sein könnten. Sind sie aber nicht. Vielmehr reihen sich die sonderbaren Geschöpfe, 19 sind es an der Zahl, auf einer über acht Meter langen Bildrolle der Edo-Zeit (1603 bis 1868). Es ist das Personal jener Gespenstergeschichten, die man sich einst in Japan erzählte. An heißen, feuchten Sommertagen sollten sie den Zuhörern kühlende Schauer über den Rücken jagen.
Heute braucht es vielleicht etwas mehr, um das Publikum aufzuwühlen. Aber phantastische Stories und furchterregende Akteure erfüllen noch immer ihren Zweck in Manga und Anime. Beim Entwerfen greifen die japanischen Comic- und Trickfilmzeichner manchmal sogar nach den überkommenen Gestalten, bedienen sich aus dem reichen Fundus, den ihnen die gut bevölkerte Bildtradition ihres Landes überliefert.
Die Langen Foundation in Neuss vermutet nun noch einige Bezüge mehr, die es spannend erscheinen lassen, die historischen Bilder mit der zeitgenössischen Popkultur zusammenzubringen. Und verfolgt dabei sicher nicht zuletzt das Ziel, die alten Schätze aus der Langen-Sammlung in neuem Licht glänzen zu lassen, sie durch aktuelle Referenzen für eine breitere Öffentlichkeit interessanter zu machen.
Diesen hauseigenen Stücken des 13. bis 19. Jahrhunderts kommt denn auch die Hauptrolle in der kleinen Ausstellung mit dem Titel »Visual Stories« zu. Drei Querrollen breitet sie in eigens angefertigten Vitrinen aus – in voller Länge. Eine ungewöhnliche Form der Präsentation, denn eigentlich sind diese Streifen gemacht, um Stück für Stück abgerollt und betrachtet zu werden. Die Totale erscheint aber gerade in diesem Kontext aufschlussreich.
Vor allem angesichts der wunderbaren »Falkenjagd im Frühling und Sommer«: Über 22 Meter zieht sie sich hin – wie ein Film, und das im 18. Jahrhundert. Von rechts nach links folgt man dem gut hundert Mann starken, überaus differenziert beschriebenen Jagdtross zu Fuß oder zu Pferd über Berge, in Täler, durch eine Teeküche. Sieht zu, wie die mitgeführten Falken, bald hier, bald dort Geflügel schlagen, das im abschließenden Festmahl auf den Tisch kommt.
Darum herum bringt die Schau jede Menge Hängerollen an die Wand. Da begegnet man auch den beiden glücklichen Mönchen Kanzan und Jittoku und wundert sich über die karikierenden Züge, die der Zeichner des 14. Jahrhunderts den grinsenden Gesellen ins Gesicht schrieb.
Ein gutes Beispiel, wie Text und Bild auf einem Blatt zusammen funktionieren, liefert daneben etwa der auf einer Hängerolle des 13. Jahrhunderts inszenierte Dichterwettstreit zwischen Exkaiser Shirakawa im Mönchsgewand und Hofaristokrat Koretada, ihm gegenüber sitzend, die Hand an der Stirn, um Worte ringend. Dazwischen sind Verse niedergeschrieben, die sich das Poetenpaar im fiktiven Schlagabtausch an den Kopf wirft.
Solche Beispiele machen klar: Das Erzählen in Bildern ist fest verwurzelt in der japanschen Kultur, es hat eine lange Geschichte und vielfältige Formen ausgebildet. Die Idee, Manga und Anime als Teil dieser Tradition zu betrachten, liegt nahe.
Die Schau allerdings verfolgt dieses Ziel eher halbherzig. So stellt sie dem sehr gelungenen historischen Teil recht unverbunden einen eher enttäuschenden zeitgenössischen Part zur Seite, bestehend aus Manga-Ecke und Mini-Kino. Während der kleine Ausstellungs-Guide alle alten Werke listet und die meisten auch erklärt, wird man mit den aktuellen Ausstellungsstücken allein gelassen, soll wohl selbst Erkenntnisse über die Erzähltechnik in Manga und Anime sammeln, Parallelen und Unterschiede zwischen alt und neu entdecken – beim Blättern durch die kleine Comic-Bibliothek.
Oder mit Blick auf die Kinoleinwand, wo die naturverbundene Prinzessin Mononoke ihren Kampf gegen Eboshi, eine knallharte Geschäftsfrau, austrägt. Da sitzt man nun – böse Rieseneber und Baumkobolde vor Augen, Mononokes Wolfsbrüder oder einen hirschgestaltigen Waldgott, der sich kopflos in eine Art todbringenden Schleim verwandelt. Und mag nach Ähnlichkeiten fahnden. Wer weiß, vielleicht sind das ja wirklich Nachfahren von Nuri-botoke, Nuppeppo, Ushione oder wie sie alle heißen – jene uralten Missgestalten aus schwülen Sommertagen.
Langen Foundation, Neuss; bis 6. November; Tel. 02182/57010. www.langenfoundation.de