Ein Zugvogel war er schon immer. Bereits als Kind reiste Robert North mit seiner Familie rund um den Globus. Der Vater, Bildhauer, wollte nach dem Zweiten Weltkrieg die Kunstwerke der Welt studieren – in Kuba, Mexiko, Italien, Spanien, Frankreich und sonstwo. Als Robert North, geboren in South Carolina, sein Ballettstudium begann, tanzte er um die Welt. Es zog ihn nach New York, zu Martha Graham und Merce Cunningham, später nach London zum Contemporary Dance Theatre (LCDT). Gastspielreisen gehörten zum Alltag der Modern-Dance-Ikone. Auch als künstlerischer Leiter diverser Ballettcompanien, darunter das berühmte Rambert Ballet, führte er ein Hotelleben und erst recht als freischaffender Choreograf. Sein längster Aufenthalt an einem Ort währte fünf ganze Jahre – im schwedischen Göteborg, wo er das städtische Ballett leitete. Mit 95 Companien hat der Kosmopolit weltweit gearbeitet, über 70 Choreografien geschaffen. Nun sucht er für sich und seine Frau Sharon Cook ein Zuhause am Niederrhein.
Robert North tritt die Nachfolge der überraschend im letzten August verstorbenen Heidrun Schwaarz an. Der hochgewachsene Amerikaner mit dem Auftreten eines englischen Gentlemans übernimmt am 1. Januar die Ballettleitung der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchengladbach. »Es war eine schwere Entscheidung«, sagt er leise. Der Gedanke an Heidrun, die eine gute Freundin gewesen sei, schmerze noch immer. Dennoch fühlt Robert North sich wohl an diesem Theater, wo er bereits seine unverwüstliche Männerparodie »Troy Game« einstudierte und ein »Bach«-Ballett kreierte, das derzeit in Mönchengladbach auf dem Spielplan steht. Er schätzt das 18-köpfige Ensemble, hat gute Kontakte im Haus und mag das Publikum. »Heidrun und Igor Kosak habe ich bewundert«, würdigt er die Arbeit seiner Freunde.
Obwohl Krefeld/Mönchengladbach im Schatten der großen Häuser Düsseldorf-Duisburg und Essen mit ihren klassischen Companien liegt, übernimmt Robert North kein Provinzballett. Heidrun Schwaarz baute das neoklassische Ensemble in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich auf und versorgte es – dank ihrer Kontakte aus Münchner und Berliner Primaballerina-Jahren – mit internationalem choreografischem Futter: Hans van Manen, Renato Zanella, Christopher Bruce und eben North holte sie ans Haus.
»Heidrun und ich hatten einiges gemeinsam«, erinnert sich der 61-Jährige. Vor allem eine Idee von Ballett. Nach dem Boom der Künste in den 1970er/80er Jahren hätten Musik und Theater dem Publikum nichts mehr zu sagen gehabt. Heidrun Schwaarz und North blieben bei ihren Prinzipien. North: »Ballett handelt von Musikalität, von Tanz. Es ist Kommunikation mit dem Publikum. Viele Tänzer tanzen doch heute gar nicht mehr«, schüttelt er seinen graumelierten Kopf und verweist beispielhaft auf den Konzept-Tanz.
»Theater, das sind für mich die beiden Masken, eine lächelnde und eine traurige. Dabei ist die Tragödie bedeutender, die Komödie deutlich schwieriger. Sie kostet Nerven.« Humor ist bei North nicht selten ein künstlerisches Mittel. Mit der Männerparodie »Troy Game« für das LCDT gelang ihm 1974 der choreografische Durchbruch. Ein Welterfolg, der nach wie vor an unzähligen Bühnen läuft. »Wie Ihr’s wollt«, das er mit dem aalto-ballett-theater 2005 herausbrachte, karikiert das Klischee einer US-Familie. Kritiker fanden den Witz des Slapstick-Balletts damals ziemlich amerikanisch. Darüber kann Robert North herzlich lachen: »Ja, ich habe einen amerikanischen Humor. Aber der amerikanische Humor ist auch ein jüdischer. Viele große US-Komiker und -Entertainer kamen aus Deutschland. Insofern…«
Für Robert North ist die Musikalität einer Tanzschöpfung entscheidend. Sein Ballettverständnis, kokettiert der sonst allürenlose Künstler, habe bislang kaum jemand nachvollziehen können. Ihm gehe es darum, plausible Gründe zu ersinnen, warum jemand tanzt. In unserer Kultur gebe es wenige Anlässe, auf der Bühne zu tanzen. In der indonesischen Kultur gibt es dagegen Affen-, Feuer- und Wassertänze. Im traditionellen Ballett des 19. Jahrhunderts wurde aus der Handlung heraus verständlich, warum Schwäne und Elfen tanzten. Die Bewegung trieb das Geschehen voran – anders als die Divertissements beispielsweise in »Dornröschen«. Choreografen wie Michail Fokine und später John Cranko übernahmen Ideen aus dem Theater. Fred Astaire ersann alltägliche Situationen, die er vertanzte. Jérôme Robbins fand in der »West Side Story« wieder andere Möglichkeiten. »Eine Geschichte soll durch die Bewegung vorankommen. Dabei muss ein Tanzgefühl auf das Publikum übergehen«, erläutert North und verweist etwas überraschend auf Michael Jackson, den er für einen phänomenalen Tänzer hält: »Er hatte es.«
Robert North bekennt sich zu einem Ballett, das für das Publikum gemacht ist. Sein »Bach« ist keine abstrakte Hommage, wie man sie vielleicht von einem Heinz Spoerli erwarten würde. Der Amerikaner vertanzt Bachs Biografie recht plastisch und versammelt dazu die historische Personnage sowie eine Muse um den Komponisten. »Als ich in den 1960er/70er Jahren mit dem LCDT tourte, ging es uns nur um die Kunst. Wir hatten wenig Publikum – das war deprimierend. Deshalb begann ich, für die Zuschauer zu choreografieren. Und dabei hatte ich nicht das Gefühl, das diese Ballette weniger mit mir zu tun hätten.«
Die Bandbreite seines Werks ist beeindruckend. Sie reicht von besagten Parodien über »Bolero«, »Orlando« und Kinderstücke wie »Der Schneemann« bis hin zum dramatischen »Der Tod und das Mädchen«. Ob er in einem Genre beheimatet ist? Nein, auch darin ist North ein Unbehauster. »Jeder hat seine Helden«, sagt er, »Shakespeare ist meiner. Er schrieb große Tragödien, phantastische Komödien und wunderbare Lyrik. Lyrik ist auch wichtig im Ballett.« Heidrun Schwaarz übrigens hatte für diese Spielzeit einen »Sommernachtstraum« geplant. Wäre North da nicht prädestiniert, dieses Vorhaben auf der Bühne umzusetzen? »Ja«, lächelt der etwas verschmitzt, »ich habe auch schon daran gedacht. Die Vereinigten Bühnen werden ihren ›Sommernachtstraum‹ innerhalb der nächsten drei Jahre bekommen – zu Mendelssohns herrlicher Musik.«
Robert Norths Choreografie »Bach« steht am 13., 16. und 30. Dezember auf dem Spielplan in Mönchengladbach; www.theater-kr-mg.de