TEXT: STEFANIE STADEL
Eine Packung Haarfarbe, vorne drauf goldblond und fein frisiert »die Burdagattin, die Schauspielerin aus dem Tatort – du weißt schon«. Alexandra Bircken kommt nicht auf den Namen. »Furtwängler?« – »Ja, genau!«, bestätigt sie und fragt sich, warum die Frau wohl solche Werbung macht. »Nötig hätte sie das doch ganz bestimmt nicht.«
Noch liegt die Schachtel auf dem Tisch zwischen Stofffetzen und Mörtelsäcken. Doch eigentlich gehört sie hoch oben auf eine umgedrehte Astgabel – glatt, weiß, mit zwei verführerisch langen Zinken. »Twiggy«, der Titel passt zur zweigeteilten Konstruktion aus attraktiver Verpackung und hölzernem Beinwunder. Im Drunter und Drüber des Kölner Künstlerateliers trifft man sie neben Transportkisten und einem uralten Webstuhl. Dazu ein Schaukelpferd, allerlei alte Klamotten, eine Strickmaschine, drei Wagenladungen abgesägte Platanenäste. Und eine sympathisch-lockere, recht relaxte Künstlerin.
Offenbar genießt Alexandra Bircken die Verschnaufpause zwischen dem Produktionsdruck der vergangenen Monate und den Aufbauarbeiten im Kölner Kunstverein, wo sie in den folgenden Tagen helfen wird, ihre große Einzelausstellung mit einer ganzen Reihe eigens für diesen Anlass entstandener Arbeiten einzurichten.
Es sind absurde Arrangements, formal ausgefeiltes Patchwork, sonderbar belebte Geschöpfe. Fragile Gestaltungen aus Wachs und Wolle, aus Stoffen, Stöcken, Stämmen, Mörtel und Gips, aus Fäden und Seilen, aus Holz und aus Haar: In stritzglatten Strähnen hängt es gleich einem Vorhang von der Waagerechte eines alten Skis herab, oder es findet sich netzartig verwoben ins Gerüst aus Holzstöcken gespannt. In ihren neuesten Arbeiten benutzt Bircken bevorzugt langes blondes Echthaar aus dem Afro-Shop.
Kurz und knapp »Blondie« lautet nun auch der Titel ihrer Kölner Soloschau. Dabei drängt sich der Eindruck auf, dass die Künstlerin nicht zuletzt das Spiel mit eingefahrenen Vorstellungen sucht. Zumal sie in ihrem ungeschminkten Äußeren und Auftreten wie ein glatter Gegenentwurf zum Blond-Klischee à la Furtwängler anmutet: Kurze, eher dunkle Haare und ein originelles Outfit aus hohen Halbschuhen, Strickjäckchen und schwarz glänzender Adidas-Trainingshose. Das hat so gar nichts vom schicken Mainstream der Kosmetik-Kampagne.
Eher abseits vom Hauptstrom verlief bisher auch Birckens Künstlerkarriere. Dem Sprung ins Künstlerdasein waren immerhin 15 nicht unerfolgreiche Jahre als Mode-Designerin in London, Paris und Köln vorangegangen. Und schaut man genau hin, so wird einem schnell klar, dass ihre eigenwilligen Skulpturen und Objekte ohne diese spannende Vorgeschichte schwer zu erklären wären. Der berufliche Background macht sich an unterschiedlichen Ecken bemerkbar. Allerdings ganz anders, als man vielleicht vermuten könnte. Diese Kunst spielt nicht mit der Sprache des Designs – wie es etwa die Skulpturen von Jorge Pardo oder Tobias Rehberger tun.
Bei Bircken verlaufen die Verbindungslinien auf einer anderen Ebene. Immer wieder fließt in ihre Arbeit das durch den Umgang mit dem Phänomen Mode begründete Interesse an Codes, Klischees, am Individuellen, an der Konsumkultur und an Strategien der Selbstdarstellung ein. »Schon die Art und Weise, wie sich jemand den Schal umbindet – das kann doch etwas sehr Charaktervolles haben«, so Bircken. Solche Themen reizen sie, übrigens auch beim Einsatz der blonden Haarteile.
Vordergründig erklärt sich natürlich auch Birckens vertrauter, ungemein versierter Umgang mit Textilem durch die Vergangenheit in der Modebranche. Was anderen etwa der Ton, ist ihr der Stoff. Auf dieser ungewöhnlichen Basis hat sie ziemlich reibungslos und in erstaunlicher Geschwindigkeit ihren kaum verwechselbaren Ausdruck gefunden, neue Grundgestalten der Bildhauerei entwickelt. Die Anfänge liegen erst ein paar Jahre zurück. Sie war gerade von Paris nach Köln gezogen, hatte einen kleinen Laden gemietet, wo sie als Modedesignerin eigene Entwürfe produzieren und präsentieren wollte.
Ganz oben vom Regal fischt Bircken einen kleinen Pappkarton, um die Reste ihrer schrägen Kollektion von damals vorzuführen. Die Halskette aus gedrehten Jeansstreifen mit goldener Naht oder das »Nester«-Collier aus einem Wirrwarr bunter Fäden. Amüsiert kriecht sie in die vom langen Liegen zerknitterte Körpertasche aus braunem Regenjackenstoff, legt dazu Manschetten mit aufgebügelten Schmuck-Fotos aus der Vogue an.
Nicht Kleidung, nicht Geschmeide, nicht Skulptur. Auf ihre abgedrehten Accessoires flogen vor allem Käufer aus der Kunstszene – allerdings brachten die Verkäufe viel zu wenig ein, um die Miete zu zahlen und den Aufwand zu decken. Birckens Geschäftmodell erwies sich als Pleite – zumal der Unternehmerin neben diversen Designjobs und ihrer Tätigkeit als Dozentin in London wenig Zeit und Lust zum Verkaufen blieb. »Der Laden lief überhaupt nicht«, gesteht sie. »Und irgendwann ging mir dann die Kohle aus.«
Es muss just zu der Zeit gewesen sein, als die Galerie BQ nebenan erkannte: Das, was die Nachbarin und Freundin da trieb, hatte immer weniger mit Mode zu tun. Auch Bircken erzählt von Zweifeln, die ihr gekommen seien, und hält dabei ein drei Maschen breites Strickband in der Hand, das sich mehrfach gedreht und verknotet zum kleinen Wollberg formt.
»Es ist stofflich wie Bekleidung, aber dreidimensional, und es hat keinerlei Funktion«, so ihre Beobachtung. »Für mich war es bloß ein komisches Ding.« Die beiden Galeristenfreunde aber sahen im Wollhügel ein Kunstwerk und bewiesen einen guten Riecher, als sie die Modefrau auf Abwegen 2004 zur ersten Ausstellung luden.
»Ich konnte machen, was ich wollte«, sagt Bircken. »Es musste keine Kunst sein, ich hätte auch eine neue Kollektion in der Galerie präsentieren können.« Tat sie aber nicht. Bircken war 36 Jahre alt, als sie die Gelegenheit zum Neustart ergriff. Seither entwirft die Künstlerin allenfalls noch Kleider für den Eigenbedarf. Tut ihr der Abschied von der Mode leid? »Überhaupt nicht.«
Muss auch nicht, denn seit der ersten Galerie-Ausstellung reißt der Erfolg nicht ab. Bald schon reüssierte sie mit BQ bei der Art Basel. Ein Ereignis, das jeden Kollegen mit konventionellem Werdegang ehrfürchtig aufhorchen lässt. Nicht so Bircken. »Für mich waren Begriffe wie Art Basel einfach nicht besetzt«, gesteht sie und macht sich offensichtlich nichts daraus. Belustigt erzählt sie von ihren Vernissage-Erlebnissen, wenn Gäste angeregt über angesagte Künstler diskutieren, deren Namen sie selbst noch nie gehört hat. »Ich gehe dann nach Hause und fange an zu googlen.«
Ähnliches könnte ihr in nächster Zeit öfter passieren. Denn Bircken macht die Runde durch internationale Institutionen. 2008 Amsterdam, kommenden Herbst Texas und zwischendurch der große Auftritt im Kölnischen Kunstverein.
Dort erlebt man die Künstlerin einige Tage nach dem Atelierbesuch in der großen Galerie – plötzlich gar nicht mehr entspannt. Ihre Werke sind inzwischen ausgepackt, und Bircken scheint überaus konzentriert damit beschäftigt, das Beste aus der Präsentation heraus zu holen.
Das Kleine, das Gebastelte, das vermeintlich »Nette«, manchmal Verspielte der Anfangszeit tritt in diesen jüngeren Arbeiten zurück. Zwar ist es dabei geblieben: Bircken macht alles selbst, entwickelt ihre Werke Schritt für Schritt, während sie entstehen. Doch haben sie an formaler Strenge, an inhaltlicher Schärfe gewonnen, erobern mit oft recht großen Formaten den Raum.
Bircken rollt dicke Polyester-Watte zum 2,20 Meter hohen Turm. Sie steckt Stämme in Stiefel, verstrickt dicke Seile zum Netz, wo sich Steine, Gips, Rock, Pullover und ein Lampenschirm verfangen. Mit Haaren bekrönt und grobem Wollschal umwunden wird der Birkenast zur bettelnden Blondine. Auch Furtwängler mit ihrem goldig gefärbten Haar ist inzwischen hoch oben angekommen. Von ihrer schicken, schlanken Astgabel aus überblickt sie das Geschehen und hat gut lachen.
Alexandra Bircken: Blondie. Kölnischer Kunstverein, 22. April bis 6. Juni 2010. Tel.: 0221/217021. www.koelnischerkunstverein.de