TEXT: STEFANIE STADEL
Es ist angerichtet – doch appetitlich sieht anders aus. Was sich da im Entree der Ausstellung auf hochbeiniger Tafel arrangiert findet, scheint eher durch Kühltruhe und Konservenregal inspiriert als vom marktfrischen Angebot der Saison. Ein kleines Döschen Ölsardinen, eine Packung Gefrierpizza Capricciosa, dazu der Hühner-Reis-Topf in Vorteilsgröße… Einmal quer durch die gelbe Tonne führt die drollige Recycling-Collage.
In Dada-Manier geschnipselt, geklebt und verdrahtet hat sie John Bock und gibt damit einen kleinen Vorgeschmack auf jenes fantastische Durcheinander, das er in der Bonner Bundeskunsthalle aus älteren Werken und neuen Zutaten zusammengerührt hat. Abenteuerliche Apparaturen, fiese Filme, selbstgebauten Bühnen. Eine Art Gesamtkunstwerk zwischen Geisterbahn und Filmstudio, zwischen nüchternem Vortragssaal und chaotischem Raritätenkabinett – wirr, witzig, schockierend, komisch, absurd. Reich an Anspielungen aus Film- wie Kunstgeschichte, Landwirtschaft oder Wirtschaftswissenschaft. Und natürlich total multimedial. So etwas hat die Bundeskunsthalle noch nicht gesehen.
GERÄTE MÜHEN SICH AB
Nach dem vergleichsweise konventionellen Einstieg mit Papierarbeiten an der Wand und dem Verpackungs-Kunststück auf dem Tisch durchquert man einen neonhell erleuchteten Saal für Performances und ist überrascht beim Blick hinter den dicken Vorhang am Ende des Raums: Aus dem grellen Nichts führt der Weg dahinter ins bunte, laute, schwer überschaubare Bock-Universum.
Gut hinein passt der »Soundtrack-Raum«, ein silberner Container, angefüllt »mit lauter kleinen Geräten, die sich«, so Bock, »dort abmühen müssen«. Darunter ein paar rote Pumps, die, mechanisch angetrieben, übers Parkett klickern. Ein altes Telefon mit ratternder Wählscheibe. Bücher, die durchs Regal ruckeln. Ein Bügel, der samt Oberhemd über die Kleiderstange rutscht. Um den Raum im Raum herum hängen kleine Lautsprecher, die das geräuschvolle Geschehen nach draußen übertragen.
Objekt, Installation, Sound, Licht, Film, Sprache – allerhand kommt auf dem labyrinthischen Parcours zusammen. Auch ziemlich viel Selbstinszenierung. Bock überall. Ob als Bastler, Erfinder, Drehbuchautor, Regisseur, Performer…. Oder ganz groß als Motiv des Ausstellungsplakats. Es zeigt den Tausendsassa gruselig geschminkt und blutüberströmt in seinem neoexpressionistischen Horror-Stummfilm »Im Schatten der Made«.
Harmloser wirkt Bock an diesem Morgen – als freundlich-konfuser Führer durchs Ausstellungs-Wirrwarr. »Ein großes Ding« sei für ihn diese seine erste Retrospektive in Bonn, gesteht der Künstler mit der originellen Vita. Geboren wurde Bock 1965 in Gribbohm. Es könnte eine seiner schrägen Wortschöpfungen sein, doch das Nest in Schleswig-Holstein gibt es wirklich. Der Jugend auf dem Bauernhof dort folgten das BWL-Studium in Hamburg, dann erst der Wechsel an die Kunstakademie und danach der Umzug nach Berlin.
NEUES AUS ALTEM GEMISCH
Seit 15 Jahren nun belebt Bock die Szene mit seinen grotesken Performances, irrsinnigen Installationen und aberwitzigen Sprachspielereien. In Kassel vergrub er sich anlässlich der Documenta 2002 in einem Erdloch. Und für seinen dritten Auftritt bei der Biennale in Venedig konstruierte er vergangenen Sommer ein »Haus für die Made«.
Bisher sind es meist solche Projekte gewesen, die er an wechselnden Orten ersann. Das »große Ding« jetzt in der Bundeskunsthalle fällt also aus dem Rahmen. Auch Bock scheint nicht ganz frei von der Scheu, mit der aktive Künstler solchen Überblicks-Ausstellungen gewöhnlich begegnen. Wenn alte Filme vorgeführt, alte Installationen wieder aufgebaut und gewesene Aktionen mit Hilfe von Schauspielern erneut inszeniert werden – Bock nennt es »RE-Vorträge«.
Alles geordnet, alles statisch, alles so gut wie vorbei? In Bonn liegt ein solcher Verdacht fern. Denn Bock stellt das Werk der vergangenen Jahre nicht einfach ins Museum. Der Ausstellungstitel »Im Modder der Summenmutation« ist Programm: Aus dem Gemisch künstlerischer Ergebnisse der Vergangenheit wird Neues generiert – ähnlich wie bei der Verpackungs-Bastelei im Entree. Das Material für seine Ausstellungs-Collage in der Bundeskunsthalle kommt allerdings nicht aus der gelben Tonne, sondern, zum Teil wenigstens, aus dem Viehstall des Bruders. Bock nutzt ihn als Depot, wie er gesteht – und fügt lächelnd hinzu »dort Kuhmist, hier weiße Handschuhe.«
Doch ist bei weitem nicht alles recycelt in Bonn. Brandneu produziert wurde in der Bundeskunsthalle ein Film, dessen ungeheuerliche Kulissen den sehenswerten Kern der Schau bilden: Da wartet der schneeweiße existenzialistische Raum, »die Beckett-Ionesco-White-Cube-Nummer«, erläutert Bock. Dann ein zerbeulter, angesägter Volvo-Kombi. Mit Blick ins Innere des Autos, wo Belege brutaler Gewalt zu erahnen sind, erinnert der Künstler und Cineast an den Regisseur Quentin Tarantino. Konkreter wird das Grauen nebenan mit der verstümmelten Leiche auf einer Plastikplane.
Wie Bühnen sind die unterschiedlichen Sets anzusehen. Vorbei am gemütlichen »Sockenraum« aus ausgestopften und zum Netz verstrickten Strümpfen führt der Weg vor die gute deutsche Wohnstube. Alles stimmt: Die scheußliche Tapete, der obligatorische Fernsehapparat, auch die Trockenhaube fügt sich gut ins miefige Kleinbürger-Ambiente. Allein der weiße Riese auf dem schiefen Fußboden irritiert. Watteweich, wohl aus Daunendecken zusammengeschneidert, füllt er die Szene. Im Film, so erklärt Bock, werde sich ein Schauspieler durch das Loch im Bauch ans Tageslicht kämpfen.
Das Ende naht, und allerlei Assoziationen stellen sich ein. Die schiefe Wohnstube könnte an die fotografischen Zusammenbruchs-Geschichten von Bernhard und Anna Blume erinnern, und der weiche weiße Riese an Claes Oldenburg. In seinen heftigen, oft blutig-brutalen Vorstellungen kommt Bock dem Wiener Aktionismus nahe. Die Wurzeln für seine Einbindung der eigenen Person ins Kunstwerk mag man bis zu Beuys zurückverfolgen. Und unter den Zeitgenossen wäre etwa bei Jonathan Meese eine ähnliche Liebe zur Selbstinszenierung auszumachen…
Trotzdem bleibt Bock natürlich Bock. Unverkennbar, aber auch nicht leicht zu knacken. Ein wissenschaftlich deutender Ausstellungskatalog hätte helfen können, doch auf den verzichtet die Schau. Stattdessen mutet man dem Interessierten ein 900 Seiten starkes Künstlerbuch zu, das alle bisherigen Vorträge und Filme dokumentiert. Man muss sich also selbst ein Bild machen. Wie Rein Wolfs. Der Kunsthallen-Intendant und Bock-Kurator sieht Bock als »Anführer einer neuen Künstlergeneration«. Die perfekte Besetzung für seinen Start in Bonn, den »Auftakt zur Neupositionierung« der Bundeskunsthalle. Neben kulturhistorischen Großausstellungen, wie man sie kennt aus Bonn, will Wolfs dem Publikum dort künftig mehr Frische aus den Ateliers jener jüngeren Garde bieten. Lüpertz, Baselitz & Co. waren gestern.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bis 12. Januar 2014; Tel. 0228/91 71 200. www.bundeskunsthalle.de