Nordrhein-Westfalen steckt, mykozentrisch betrachtet, voller Sensationen. »Glattstieliger Hexenröhrling bei Münster gefunden! « – »Erstmals Lederstiel-Täubling in Westfalen entdeckt!« – »Massenvorkommen an Kohlkopfpilzen bei Köln!« Dies sind Schlagzeilen aus den verblichenen »Westfälischen Pilzbriefen« (1957-1986), einer angesehenen Mykologischen Fachzeitschrift. Im Internet (www.pilzbriefe.de) kann man alle Ausgaben studieren, gelehrte Raisonnements etwa über »Die braunen schmierigen Ritterlinge in Westfalen«. Aber auch heute noch, wo Wildpilze zunehmend aussterben, hat NRW beachtlich pilzige Seiten aufzuweisen. In Kevelaer-Twisteden etwa, in 80 Bunkern eines ehemaligen Nato Militärgeländes, siedelt Deutschlands größte Champignonzucht – Monatsernte 200 Tonnen. Auch sind wir deutscher Pilzmuseums-Champion: Das »Pilzkundliche Museum Bad Laasphe« im Kreis Siegen-Wittgenstein besitzt eine Rekord- Sammlung von 2000 präparierten Pilz- Arten, 700 davon zeigt die ständige Ausstellung (Tel. 02752 / 7995; www.pilzmuseum. de).
Ebenfalls vorzüglich gedeiht hierzulande die Spezies der Mykophilen, der Pilzfreunde. Der prächtigste Fund scheint uns da der »Arbeitskreis Pilzfreunde Ruhr« zu sein, der am 25. September sein 25-jähriges Bestehen feiert. Mit einer großen Pilzausstellung im »Haus der Natur« (Biologische Station östliches Ruhrgebiet, Vinckestr. 91, Herne; Mycological NRW Von Pilzfreunden und anderen Spezies Kontakt: Rita Franke, Tel. 02327 / 52583; www.pilzkunde-ruhr.de). Überdies bieten die naturschützenden Ruhr-Pilzler in der Hochsaison September/Oktober beachtlich viele Pilzwanderungen und Pilzkundliche Wochenenden an. Die Expeditionisten, denen etwa jüngst auf der Halde Hoppenbruch der Fund eines raren zierlichen Pustelpilzes gelang, sind aber auch der Pilzpoesie nicht abgeneigt. Man lausche nur Winfried Priebes findigem Pilzsammler-Latein: »…Willst du die Küche mal beglücken,/ mußt du dich nach Boleten bücken/ …Tricholomopsis darf nicht fehlen, und die Boviste mußt du schälen/ …Findet sich aber ein Phalloides ein,/ so wirst du bald schon nicht mehr sein.« Hut ab, so kommen Pilzküche und -poesie vorbildlich zur Deckung.
Denn wer Pilze ausschließlich mykophagisch betrachtet und in die Pfanne haut, hat von den Unterweltwesen nicht viel verstanden. Deren absonderlich schöne und zuweilen psychogene Fruchtkörper wurden nicht nur von Literaten tief verehrt, sie trieben selbst Biologen in Sprach-Räusche, zur Erfindung eines Typen-Bestiariums. Wo es Schlimmschlingel gibt wie den großen Schmierling, warzigen Drüsling, Eier-Wulstling und stinkenden Zwergschwindling. Chaoten wie den Strubbelkopfröhrling, rötenden Saftwirrling und verworrenen Schneckling. Sorgenkinder wie den wundroten Speitäubling, aber auch liebreizende Geschöpfe wie ausgebreitete Hängezähnchen, wollige und flaumige Milchlinge, milchende Helmlinge oder Zitzen-Schirmlinge. Kleine Pilze, große Poesie.
Gleichwohl kennt auch die Musikszene glühende Fungi-Bewunderer. Vereinen sich auch hier manchmal Pilzkunst und -kochkunst. Jedenfalls in NRW. Wo am 18. Juli 1986 im WDR ein legendäres myko-musikologisches Mahl stattfand: Der Kölner »Mushroom Talk« mit dem Avantgarde- Komponisten John Cage, ein herausragender Pilzkenner, -sammler und -koch. Bei einer Schüssel Pilz-Ragout plauderte Cage mit Kollegen wie Gerhard Rühm oder Dieter Schnebel über mykologisch Delikates wie »Die vier Geschlechter der Pilze«. Cage hat auch einige Pilzrezepte hinterlassen, bevourzugt würzte er mit Sesamöl oder Tamari-Sojasauce.
Als Pionier der Myko-Ästhetik aber weist ihn seine mittlerweile recht vergessene »Mushroom Music« für präpariertes Klavier aus. Hier werden Kunst und Pilz, Partitur und Rezept vollkommen eins (vor dem Nachspielen konsultieren Sie unbedingt Ihren örtlichen Pilzberater): »Geh hinaus in die Felder und Wälder und suche Dir einen Pilz. Bring ihn in die Küche, in die Du zuvor Dein Klavier bugsiert hast. Zähle die Lamellen des Pilzes (im Fall einer Morchel die Löchlein). Ihre Anzahl ergibt die Takte des Stücks. Miss sodann seine Stängellänge in Zentimetern. Sind sie durch drei teilbar, ist das Stück im 3/4-Takt, sind sie durch zwei teilbar, spiele im 4/4-Takt. (Geht beides, liegt die Wahl bei Dir). Alle anderen Parameter des Stücks bestimmst Du selbst. Der Pilz kommt dann in den Ofen (bei 100°C). Sobald er zu kochen anfängt, beginne zu spielen.« Das Stück endet damit, dass der Pianist den gekochten Pilz isst. Bei der Uraufführung von allerdings endete es anders: im Desaster. Der Pianist David Tudor, dem die Komposition gewidmet war, hatte einen gemeinen Fliegenpilz erwischt. Nach intensiver Pflege genas er zwar vom Narrenschwamm. Die Widmung hat er aber fortan giftig zurückgewiesen – und die Piano-Pilz-Pièce nie wieder aufgeführt.