EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
In einem Monat ereignet sich so viel – mehr als woanders in zwei Wochen! Das gilt auch für Nordrhein-Westfalen, das sympathische Brachland zwischen Bayern und Berlin. Zwar ist das, worauf alle warten, wieder nicht passiert, nämlich dass die Entität Sylvia Löhrmann endlich ihre Brille richtig auf die Nase schiebt. Dafür aber gab es wunderbare andere Dinge, die den April zu einem nicht wiederkehrenden Zeitabschnitt machen konnten. Welche das sind, wird sicher irgendwann ans Licht kommen. Es muss doch möglich sein, dass sich auch hierzulande mal etwas herausstellt!
Inzwischen kommen zwei Ereignisse in Betracht, von denen das eine zur Nachahmung empfohlen, das andere rundheraus abgelehnt wird. Letzteres spielt in Düsseldorf, aber dort hat uns neulich ein Getränk nicht geschmeckt, und deshalb sei über diese Stadt hier keine Silbe verloren. Lobende Worte stattdessen über Oberhausen. Das Siedlungsgebilde an der Nichts, dem sein zu weit gewordenes Ober-Teil traurig ums verlotterte Unter-Hausen schlottert, hat zu Beginn des Monats April eine Kulturpartnerschaft mit Jerusalem beschlossen. Mit dem Jerusalem, in der Tat. 2015 soll es losgehen.
Das ist aber mal eine Kooperation, denkt da jeder, die ist so passgenau, dass man sich fragt, wieso nicht schon längst einer darauf gekommen ist. Denn ist wie Jerusalem nicht auch Oberhausen ganz aus schimmernd rosaweißem Stein erbaut und lagert malerisch an der Flanke des Zion? Ist nicht auch diese Stadt Adressat der Sehnsuchtsgesänge, sprechen nicht heilige Bücher der Menschheit vom Himmlischen Oberhausen?
Nicht? Na gut. Aber auf jeden Fall besitzt Oberhausen wie Jerusalem einen überdachten Basar, ein Gewirr kleiner, verwinkelter Gassen, tief in der Altstadt verborgen und mit quirligem Leben erfüllt. Und dabei, bemerken wir gerade, doch ganz modern und weitläufig, mit beruhigend eintönigen Geschäften in übersichtlicher Reihenhausoptik, ein salomonischer Tempel des Lifestyle-Ramsches, angenehm einfallslos im Großen, von abwechslungsreicher Aufdringlichkeit im Kleinen. Vom Centro könnte in Sachen architektonischer Neugestaltung der auch marketingtechnisch hoffnungslos veraltete Suq eine Menge lernen.
Jerusalem ist seit ewigen Zeiten Stadt, Oberhausen war nie eine: Auch dies verbindet das Paar auf geradezu mystische Weise. Und die Via dolorosa schleppt sich Oberhausen spätestens seit dem Zeitpunkt entlang, als die Gutehoffnungshütte schloss. Während in Jerusalems Garten Gethsemane jemand alle gute Hoffnung verlor. Kongruente kulturelle Höhepunkte dieser Art verbinden. Wie auch ein weiteres faszinierendes Phänomen: Addiert man beider Alter (4400 bzw. 140) und dividierte das Ergebnis durch zwei, so zeigt sich, dass beide Städte gleichzeitig um das Jahr 250 v.Chr. herum gegründet worden sein müssen! (Eine Entdeckung, die übrigens an dieser Stelle zum ersten Mal publiziert wird.)
Nebenbei sind sich auch, was ihre Probleme angeht, die beiden Kulturpartnerinnen überraschend ähnlich. Sowohl die eine wie die andere, erklärt der Oberhausener Kulturdezernent mit Entdeckerstolz, sind arm. Ein Merkmal, das auf der ganzen Welt nur diese beiden Städte besitzen und das sie daher unweigerlich zusammenführt.
Eine Win-Win-Situation also. Oder, wie in Israel gern gesagt wird, Auge in Auge, Zahn auf Zahn – Jerusalem wird durch den Austausch sicherlich ein bisschen von seiner übertrieben alten Patina und seinem kitschigen Reiz befreit werden, Oberhausen hingegen bekommt zu den anderen noch ein spannendes Palästinenserproblem. Und ein Stück von der Klagemauer zu erhalten, zumindest leihweise, das wäre für die stöhnende Nothaushaltskommune sicherlich auch ein Trost.