EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Unzweifelhaft: Köln wankt. Die ganze Stadt ist auf Sand gebaut, Rheinsand. Das kann nicht lange halten. Auf wanken folgt stürzen, und gefallen heißt erledigt sein – so denkt man gemeinhin. Aber muss wanken zwangsläufig Schlimmes heißen? Kann es nicht ebenso Ausdruck von Flexibilität sein, Dynamik? Wenn also der Kölner Dom mit schnellen Bewegungen auf die unter ihm fahrenden U-Bahnen reagiert, ähnlich dem Dackel auf der Hutab-lage, dann zeigt er einfach beste Kinetik. Auch das Kölner Stadtarchiv reagierte angepasst elastisch auf die U-Bahn, der kölsche Charakter ist eben alles andere als starr. Die Stadtbahn donnert durch den Untergrund, der Dom reagiert und legt sich auf die Seite. Über der tristen Domplatte wächst ein Trümmerberg, auf dessen Spitze man ein romantisches Gipfel-kreuz errichten kann. Aber das ist ein Zukunftsbild.
Immerhin, auch ein anderes dunkles Monument in Köln wackelt. In Kardinal Meisner, dem tonnenschweren Monolithen aus dem Erdmittelalter, zeigen sich Risse. Etwas bewegt sich im Innern, lebt der Fels? Meisner erlaubt auf einmal die Pille danach. Prompt stürzt der Papst ein – gut reagiert! Wird Meisner das Gipfelkreuz auf seiner Ruine? Und gestattet er dann als oberster Glaubenshüter linguales Wackeln im Mundraum des Nächsten, den vorehelichen Zungenkuss?
Zurück nach Köln. Die von Meisner entdeckte Pille danach »dritten Typs« wirkt empfängnisverhindernd, mithin verstößt ihre Einnahme gegen die katholische Sittenlehre – welche Art U-Bahn erschüttert da Meisners theologisches Fundament? Unter der erzbischöflichen Residenz verläuft keine Linie, das Wanken des Kardinals rührt woanders her. Von der Katholikenphobie? In einem Brief, den der Kardinal im Februar an seinen pastoralen Dienst schrieb, beschwor er eine solche Antikirchenverschwörung. Sein Mainzer Erzbischofskollege hat es Pogromstimmung genannt. In der Tat gibt es jetzt nur noch einen Katholiken im Bundeskabinett, doch der oder die wagt nicht, sich zu bekennen. Domradio Köln, »der gute Draht nach oben«, enthüllte: In Wahrheit wurde Annette Schavan der Doktortitel aberkannt, weil sie der Konfession Joachim Meisners angehört. Kulturkampf!
Da heißt es standhaft sein und nicht wackeln. So wie die Kölner Stadtverwaltung, die die Zahlung der neuen Rundfunksteuer rundweg verweigerte. Folge: Rücktritt von WDR-Intendantin Monika Piel. Nun gibt es also auch für den Sender die Piel danach. Ja, man soll keine Namenswitze machen. Aber erstens haben wir uns »Der Meisner im Porzellanladen« verkniffen. Und zweitens verbindet die katholische Kirche und der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr als die Kölner Nachbarschaftskungelei von Funkhaus und Dom. Ersichtlich herrscht derzeit in Deutschland nicht nur eine Katholiken-, auch eine öffentlich-rechtliche-Rundfunkphobie, eine blutlechzende Pogromstimmung gegen die römischen Moralzwingherren wie gegen die Zinsvögte von ARDZDF. Beide halten sich für gottesunmittelbar, ewig und unersetzlich. Und beide wackeln, wanken – fallen? Wenn jetzt die Kirche die Pille danach erlaubt, wo sie doch die Pille davor immer verboten hat; wenn das GEZentralkomitee hastig den Friedhofsbagger von der Rundfunkgebühr befreit, während der Patient in der Sterbeklinik zahlen muss – welche Subway, welche Subversiv-Bahn bohrt sich dann hier durch den Untergrund?