EINE GLOSSE VON ULRICH DEUTER
Gegenwärtig stehen Dinge in der Kritik, die noch vor kurzem als großartig galten. Atomkraftwerke zum Beispiel. Oder Griechenland. Auch mal wieder das Autofahren – so sollen nordrhein-westfälische Regierungsdienstwagen nur noch 140 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen, wenn ein Staatssekretär, 170 Gramm, wenn ein Minister drin sitzt. Es wird dann wohl so einen Umschaltknopf geben.
Das Auto unter Mobilitätsgesichtspunkten zu sehen, ist aber ein zu enger Betrachtungswinkel. Ein Auto ist ja nicht in erster Linie Fahrzeug – dünne blonde Frauen in dicken schwarzen Boliden beweisen das. Dieser Text beweist es auch, er ist im Auto entstanden. Denn während man sich im Regionalexpress immer wieder nach dem Block bücken muss, den einem Vorbeidrängende mit dem Ellbogen aus der Hand gestoßen haben, wobei man seinerseits mit dem Hintern irgendeinem der Nebenstehenden irgendetwas aus der Hand stößt, worauf dieser wieder jemandem und so weiter, bis der ganze Zug sich bückt. Während die Fahrt im Zug also sportlich vertane Lebenszeit darstellt, bietet das Auto die Chance, bei jeder Fahrt einen der großen Romane der Weltliteratur zu lesen. Oder zu schreiben. Eine Glosse zum Beispiel. Zwar ist der Zeitaufwand dafür größer, als der Laie denkt, mit zwei bis drei Stunden muss man schon rechnen. Dennoch ist die Arbeit gut zu schaffen, wenn man sie in die Morgen- oder Spätnachmittagsstunden und auf die Autobahn verlegt. Für diese Glosse etwa wurde eine Fahrt von Köln nach Düsseldorf gewählt, das Stück zwischen den Anschlussstellen Köln-Dellbrück und Köln-Mülheim, zwei Kilometer. Da sitzt man dann und kaut am Laptop, tippt dann und wann einen Buchstaben ein, und im rechten Autofenster zieht die Welt vorbei, die Welt der Baulastwagen.
Es gab in Nordrhein-Westfalen einmal einen Verkehrsminister, der fuhr: Oliver Wittke. Zu schnell sogar. Unser jetziger Minister, Harry Voigtsberger, ist von Beruf Flugzeugbauer. Ein noch schnellerer also, vielleicht kann er gar fliegen. Sein Ministerium sagt: »Ein gut ausgebautes Netz aus Straßen, Radwegen, Schienen, Wasserwegen und Flughäfen sorgt in Nordrhein-Westfalen für moderne Mobilität.« Harry Voigtsberger berief am 23. Mai eine sogenannte Mobilitätskonferenz ein, um eine sogenannte Mobilitätsoffensive zu starten.
Einige sagen nun, die Konferenz habe noch gar nicht begonnen, weil die meisten Teilnehmer es bisher nicht geschafft hätten, den Tagungsort Düsseldorf zu erreichen. Andere sagen, die Konferenz habe unter anderem vorgeschlagen, einen Teil des Autoverkehrs auf die Wasserstraßen zu verlegen, die in Nordrhein-Westfalen unausgelastet seien.
Nun ist unser Bundesland in einer Kategorie wirklich spitze: im Verkehr. Rund 18 Prozent aller Autobahnen Deutschlands befinden sich in Nordrhein-Westfalen. Aber jede dritte Staumeldung kommt aus NRW. 2010 hatten wir jeden Tag durchschnittlich 370 Kilometer Stillstand. Will Voigtsberger diesen Spitzenplatz – manche sagen, den einzigen, den das Land unangefochten innehat – wirklich leichtfertig preisgeben? Wohin kann eine Mobilitätsoffensive führen? Im besten Falle doch aus dem Land hinaus.
Extrem wichtige Fragen. Doch nun muss diese Glosse enden, es geht weiter, vor uns liegen 200 Meter freie Fahrt!