TEXT: STEFANIE STADEL
Wie lässig sie daliegt. In weißen Kissen, selbstsicher einen Arm hinterm Bubikopf. Die attraktive Brünette gibt sich wirklich keine Mühe, etwas zu verbergen. Zeigt sich, wie sie ist, nackt – abgesehen von der modischen Kette um den Hals. Im 1929 gemalten »Halbakt« rückt Christian Schad seiner geliebten Maria Spangemacher ganz dicht auf die Haut – und noch weiter. Sogar die blauen Äderchen lässt er hindurch schimmern. Alles ist schneidend scharf erfasst. Emotionen allerdings dringen nirgends an die glatte Oberfläche.
»Gefühl ist Privatsache« – gut ließe sich der Spruch dem Maler oder seiner hübschen Freundin in den Mund legen. Doch er stammt von Bertolt Brecht. »Ich schreibe nicht für jeden Abschaum, der Wert darauf legt, dass ihm das Herz aufgeht«, stellte der Dichter 1926 klar. Denn das Gefühl sei borniert. »Der Verstand hingegen ist loyal und relativ umfassend.« Die Äußerung passt perfekt in die turbulente Zeit zwischen den Weltkriegen. Zu einer Kunst, die nach den expressionistischen Ausbrüchen nur noch schlicht und nackt zeigen will, was ist. Dabei nutzt man gern und oft die Zeichnung oder druckgrafische Techniken. In sachlich gezogenen Linien, klaren Konturen und festen Formen kommt die Realität aufs Papier – zuweilen auch mit all ihren unsäglichen Auswüchsen.
»Gefühl ist Privatsache« titelt auch die Ausstellung im Bonner Kunstmuseum, wo jetzt rund 160 Zeichnungen, Druckgrafiken, Gemälde der früh so genannten Neuen Sachlichkeit eine gute, breite Vorstellung jener neben dem Baushaus prägenden Strömung der Weimarer Republik gibt. Das Gros der zum Teil selten, zum Teil nie gezeigten Grafik stammt aus dem Berliner Kupferstichkabinett. Ergänzend kommen 35 malerische Leihgaben hinzu, die das neusachliche Bild abrunden.
Wie kam es zum abrupten Umdenken, woher so plötzlich der neue Stil? Als Grund für den Umschwung gelten der Erste Weltkrieg, dessen Grauen und elende Folgen. Zum Einstieg zeigt die Schau in Bonn Blätter aus Otto Dix’ berühmtem Mappenwerk »Krieg« von 1924: Schützengräben, zerschossene Köpfe, halbverweste Fratzen. Entsetzliche Szenarien, die Dix, der sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat, wohl aus eigener Anschauung kennt.
Jenem Schrecken und dem Nachkriegschaos will die Kunst mit Klarheit begegnen. Während Brecht seine Dramen damals zu lehrreichen Gebrauchsstücken macht, üben sich seine zeichnenden und malenden Zeitgenossen in jener nüchternen Nahsicht. Manche einfach so, wie Schad. Andere getrieben von sozialkritischen Ambitionen. Max Beckmann etwa, der die Kollegen anstachelt: »Wir müssen teilnehmen an dem ganzen Elend.« Zu diesem Zweck, so Beckmann, solle an die Stelle der »sentimentalen Geschwulstmystik« des Expressionismus eine »transzendente Sachlichkeit« treten.
»Zeichnen hat wieder einem sozialen Zweck sich unterzuordnen«, stimmt George Grosz zu und notiert in seinem karikierenden, sezierenden Stil mit messerscharfen Linien, die er meist per Tuschefeder zieht, all die ätzenden Ungerechtigkeiten. Krüppel, kranke Kinder, Witwen hier – dort dicke, dumpfe Kriegsgewinnler, die mit ihren raffgierigen Händen Geld scheffeln oder es bei allerlei Vergnügungen verschleudern. In die gleiche Richtung zielt Otto Dix, wenn er sich mit dem Zeichenstift im Milieu der Dirnen und Zuhälter herumtreibt. Oder wenn er 1920 seinen blinden »Streichholzhändler« ohne Arme und Beine aufs Trottoir setzt. Passanten eilen vorbei, nur ein Hund bleibt stehen – um sein Bein zu heben.
Ebenso engagiert gibt sich Georg Scholz, der mit Öl und Collageelementen auf Sperrholz eine degenerierte Bauernfamilie vorführt. Das Familienoberhaupt hält sich die Bibel wie einen Schild vor die Brust, doch im Kopf hat er nur Geld, wie der vor die Stirn geklebte Schein bezeugt. Der Dame des Hauses hat Scholz zum Zeichen ihrer Beschränktheit eine Schraube mitten in den Kopf gedreht. Auf dem Schoß hält sie ein Ferkel, als wäre es ihr Baby. Der zweite Spross, ein schielender Kerl mit hohlem Kopf, hat nichts Besseres zu tun, als sein armes kleines Fröschlein mit dem Strohhalm aufzublasen, demnächst wird es wohl platzen. Und als Krönung steht auf dem Schrank die Büste von Wilhelm II., einem der Anstifter des Ersten Weltkriegs. Wohl kaum einmal haben Künstler das Gesicht der eigenen Epoche so erbarmungslos vorgeführt und bloßgestellt.
Dieser veristischen Seite der Neuen Sachlichkeit stand eine andere, eher klassizistisch orientierte, von der Sehnsucht nach dem einfachen Sein beseelte gegenüber, die in Bonn durch Künstler wie Alexander Kanoldt, Carlo Mense oder Georg Schrimpf vertreten ist. Angesichts ihrer schönen Figurendarstellungen und der oft eher öden Landschaftsbilder scheint es fast, als wollten sie der aus dem Gleichgewicht geratenen Wirklichkeit mit der Harmonie und dem Ebenmaß in ihrer Kunst eine neue Ordnung überstülpen. Auch Schad gehört zu denen, die kein sonderliches Interesse am politischen Leben zeigen. Als Zeichner zieht er es vor, mit spitzer Feder nach Zerstreuung und erotischen Abenteuern trachtende Großstadttypen zu charakterisieren.
Um die Mitte der 20er Jahre legt sich dann auch die Wut der Veristen ein wenig. Zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise speisen das Mondäne, das Moderne den Mythos der »Goldenen Zwanziger«. Grosz fängt den Zeitgeist im Aquarell ein, wenn er modisch herausgeputzte Damen und Herren auf der Straße flanieren lässt. Ein ähnliches Bild bietet sich in Bonn mit Blick in jene kühlen, bleichen, glatten Gesichter, die uns aus vielen der Porträts schicker Städter entgegenschauen – um up to date zu sein, posiert man gerne mit Krawatte und Zigarette.
Am Ende des Parcours verfinstert sich das Bild. Kein Abglanz des Goldjahrzehnts fällt in Alice Lex-Nerlingers Gefängniszelle. Als »Politische« ist die Künstlerin 1933 inhaftiert worden.
Nicht selten werden Beziehungen gesehen zwischen »Neuer Sachlichkeit« und Nazi Kunst. Dass das eine wenig mit dem anderen zu tun hat, zeigt nun auch die Ausstellung. Pathos schwingt hier nirgends mit. Heldentum und Herrenmenschen spielen in den Bonner Blättern keine Rolle. Viele der neusachlichen Künstler wurden denn auch als »entartet« aussortiert. Nicht so Christian Schad, der durfte weitermalen. Auch wenn seine Geliebte auf dem Bett mit dem Frauenideal im Dritten Reich durchaus in Konflikt hätte kommen können – pflichtbewusst, selbstlos, arbeitsam oder gar mütterlich sieht Maria Spangemacher nicht gerade aus.
Kunstmuseum Bonn; bis 15. Mai 2011; Tel. 0228/77 62 60. www.kunstmuseum-bonn.de