TEXT: HELGA MEISTER
Im Eingang des Wuppertaler Kommunikations-Palastes von Christian Boros – Inhaber einer Werbe-Agentur, die P & C, EinsLive, die Ruhr-Triennale oder die Kunstsammlung NRW bewirbt – steht; »Alles Super«. Er habe »keine Lust auf schlechte Laune«, kommentiert der Diplom-Designer, -Fabulierer und -Vordenker, Jahrgang 1964, den Slogan. Der Studien-Absolvent des Ästhetik-Professors Bazon Brock, ist nach dem Examen in Wuppertal geblieben, besser gesagt, hängen geblieben, denn eigentlich mag er die Stadt nicht. »Ich brauche Ruhe und will nicht abgelenkt werden.« Vorteile der Provinz. »Hier versteht man schmerzlich, dass man gar nichts ist, wenn man nicht etwas tut.«
An jedem Wochenende entflieht Boros dem »Ödland« und landet in Warschau, Los Angeles, New York, London – Städte, wie er sagt, »mit billigen Ateliers, mit Konflikten und Arbeitslosigkeit.« Besonders auf Polen richtet sich das Augenmerk des cleveren Kommunikators. »Dort passiert unglaublich viel. Dort lebt man national. international und auf einem Pulverfass.« Sein Jetten gilt nicht nur neuen Kunden, sondern immer auch der Kunst. Denn als Bazon Brock seinen Schüler 1991 verabschiedete, forderte der Lehrer von ihm, dass er künftig »die Hälfte des Gewinns durch Raubbau an der Kunst« der Kunst zurück geben müsse. Boros sammelt seitdem wie ein Besessener. Vor zwei Jahren zeigte er die Ergebnisse im Leverkusener Schloss Morsbroich. Nun wählte er das ZKM in Karlsruhe. Was er in zwölf Jahren zusammengetragen hat, verschlägt einem schier den Atem. Ein Who is Who der Avantgarde.
Wenn er seine biografischen Wurzeln betrachtet – geboren in Hindenburg, die Eltern aus Oberschlesien, ehemals deutsch und jetzt polnisch, er selbst in Polen zur Grundschule gegangen, geflüchtet und Mitte der 70er Jahre in Köln angekommen –, wertet er die europäische Wanderschaft für sich als »Nichts Besonderes«. Ähnlich lässig hält er es mit dem Kunstkauf. Sein erstes Objekt war ein Beuys, erworben vom Abitur-Geld mit 18 Jahren. Im Katalog der Karlsruher Ausstellung schreibt er dazu: »Ich wollte etwas opponieren.« Den Beuys hat er längst wieder verkauft.
Nichts Aufgesetztes, Flippiges ist an ihm, kein Gepräge Werbeszene. Und die Stilisierung der äußeren Erscheinung – Kleiderskulptur mit massigem Schädel – löst sich in dem Moment auf, wo er zu reden beginnt, in direkter Zugewandtheit seine Kunst vertritt. Auch hier gilt die Devise des Senkrechtstarters, »Marken mit neuen Versprechen zu füllen«, Boros, dessen kahler, breiter Kopf jedes Alter möglich sein lässt zwischen 35 und 55, war der Zeit stets voraus. 1990, noch als Student, gründete er seine Agentur für Kommunikation, anfangs als »One Man-Show«. Vor fünf Jahren dann zog er in Wuppertal zur Hofaue, in eine alte Textilfabrik. Das Gebäude mit baulichen Merkmalen der wer und 30erJahre steht nach dem Umbau im cleanen Designer-Weiß da. Der Blick wandert durch offene Räume, aber dringt nicht nach außen: Aufgerautes Milchglas macht Vorhänge überflüssig. Man spürt das Licht vorbeifahrender Auto, wenn Scheinwerfer gegen die Fenster prallen. Sonst nichts. Als solle Wuppertal draußen bleiben: »ein Ort, den man verlässt, indem man sich auf die Kunst einlässt«. Das Sammeln, das ja auch von der Heydt und andere betrieben haben, als Fluchthilfe. »In der Hässlichkeit, in der ich hier lebe, muss ich mich lebenserhaltend mit Kunst beschäftigen. Oder man verblödet oder wird ein normaler Bausparer.« Nachdem Hengesbach nach Köln verzogen ist, hat die bergische Stadt keine nennenswerte Galeristen-Adresse mehr. »Nein, es gibt hier nichts.«
Ein Freitagabend, Christi an Boros rutscht auf dem Stuhl hin und her. will jetzt gleich nach Berlin, wie so oft am Wochenende. »Alle meine 30 Künstler kommen aus vier bis fünf Mega-Zentren.« In London hat er Elizabeth Peyton, Damien Hirst und den Deutschen Wolf gang Tilmans entdeckt. Peyton ist der absolute Höhepunkt seiner Kollektion. Er besitzt 25 Arbeiten von ihr. Bedenkt man, dass Auktionsergebnisse bis zu 250.000 Dollar für eine kleine Peyton-Arbeit gebracht haben, kann sich Boros glücklich schätzen. Kaum hat er den Preis genannt, schiebt er vorsichtshalber hinterher, er wolle auf keinen Fall auch nur irgendein Stück verkaufen. Im Gegenteil. »Bei Peyton hat mich irritiert, wie man heutzutage. so kleine Formate machen kann, so mädchenhaft, altmodisch, verklärt süßlich. Es hatte etwas geschmäcklerisch Prätentiöses, wie das ausgearbeitet ist. Also, etwas extrem Unzeitgemäßes.« Sagt der Zeitgeist-Spürer Boros.
Der Kunstkäufer Boros lässt den »Kopf nie außer Acht. Es kann nicht sein, dass man in eine Galerie geht und von Schönheit berauscht ist. Es geht ja nicht um Geschmacks-Urteile, um ein schönes oder nicht-schönes Bild, sondern darum, was der Künstler an Neuem für die Kunst und für die Gesellschaft leistet. Zuerst schaue ich, dann denke ich noch viel mehr über das Geschaute nach, dann kaufe ich.« Dann sagt er: »Christian, das ist was Neues. Nur wirklich Innovatives kann dich so irritieren.« »Ich und Ich« heißt ein Stück der in Elberfeld geborenen Else Lasker-Schüler. Boros bestätigt sich selbst, redet gern mit seinem Ego, auch vor anderen.
Er hat ein paar Theorien darüber parat, was er kauft. Die Kunst müsse »wider den Strich laufen«. Regelverstöße gefallen ihm. Beispiel Manfred Pernice: Während unsere Städte immer glatter werden, mache Pernice Skulpturen, »die abgewetzt, abgestoßen an den Kanten und in den Farben sind.« Analytischer Verstand statt emotionaler Überwältigung. Doch dann bricht bei bloßer Namensnennung des prächtigen Malers Franz Ackermann ein Liebesbekenntnis aus ihm heraus: »Fünf Meter große Leinwände. Fetzen von Straßen, Häusern, aber gleichzeitig die Komplexität des Internet. Das Virtuelle von Raum und Stadt. Berauschend.« Also doch bei aller Hirntätigkeit – dionysische Hingabe.
Boros’ strategisches Prinzip heißt: Nicht irgend etwas und irgendwo zu kaufen, sondern bei zehn internatio- nalen Galerien, denn »nur ganz wenige leisten Vermittlungsarbeit und sind global vernetzt«. Im Rheinland zählen für ihn die Kölner Buchholz, Nagel und Johnen & Schöttle dazu, in Düsseldorf Konrad Fischer, in London White Cube etc. »Ich würde nicht durch die Ateliers gehen und stöbern. Das ist nicht Teil des Spiels.« So hat er etwa vom Neo-Minimalisten Martin Boyce vier Lüftungsgitter gekauft, von Olafur Eliasson wahre naturwissenschaftliche Wunderwerke, freche Buben spiele von John Bock und Sarah Lucas’ gerupftes Hühnchen unterm Hemd mit dem Zitronen-Busen, das bei aller Debatte um Erotik ein schräger Vogel bleibt.
Nach der Präsentation in Karlsruhe verschwindet die Sammlung wieder in den Wuppertaler Depots, aber nicht für lange. Im nächsten Jahr geht sie dauerhaft nach Berlin, in einen alten Bunker an der Reinhardt-Straße neben dem Deutschen Theater. Er will sie der Öffentlichkeit aussetzen. »will Reaktionen spüren, und das geht nur dort, wo viele Menschen interessiert sind – in Berlin.« Kunst als Instrument der Kommunikation. Als Boros in Karlsruhe inmitten der Riesenhalle stand, wurde er fast von seiner monumentalen Sammlung verschlungen. Nur sein Kopf schien wie ein Flaschenteufel hervorzuspringen. Und es sprudelte aus ihm heraus: Er müsse »seine Kinder – die Kunst« entlassen, sie seien ja nicht für die gute Stube gemacht. Aber er kann sie im Auge behalten.
Wie sein Sammlerkollege Berggruen wird er in seiner ständigen Sammlung gleichfalls eine Wohnung haben. Die Firma aber bleibt in Wuppertal, abgeschottet hinter Milchglas.
Im ZKM in Karlsruhe ist die Sammlung Boras bis zum 9. Mai 2004 zu sehen.