TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Diese Fahrradschläuche haben auch schon bessere Tage gesehen. Man erkennt noch die Spuren der Nutzung, abgeriebene Beschriftungen und geflickte Stellen. Sie sind in die Jahre gekommen, aber immer noch ganz dicht, denn sonst könnte Michael Konstantin Wolke, der hinter dem Label »HERRWOLKE« steckt, sie nicht in seiner Möbelserie »Tumultanten« verbauen. Eine Garderobe, die auch ein Regal sein könnte sowie eine Bank, die sich auch als Tisch ganz gut macht. Hauptbestandteil dieser Raumobjekte sind eben jene Fahrradschläuche, die Wolke über Metallrahmen spannt und die den Möbeln die nötige Flexibilität geben. Die Einmischung des Besitzers gehört zum Konzept, man kann die dehnbaren »Tumultanten« nach Herzenslust mit Schuhen, Schals oder Mützen vollstopfen; das Gewicht der Jacken, die an die Garderobe gehängt werden, tut ihr Übriges für die ungeplante Formgebung.
Wolke wird 1982 in Polen geboren, studiert ab 2004 Design mit dem Schwerpunkt Objektdesign an der Hochschule Niederrhein in Krefeld und macht 2010 sein Diplom mit dem Titel »Einsperren, Aussperren, Absperren; Entsperren – grenzüberschreitende Grenzumnutzungskonzepte«. Ebenso sperrig ist das Objekt selbst, das dahinter steckt – eine »Mischung aus Raumplastik und Stadtmobiliar«, angefertigt aus Stahl, Lerchenholz und Maschendrahtzaun, die auf die Proportionen des menschlichen Körpers abgestimmt ist; auf den ersten Blick aber auch für ein avantgardistisches Klettergerüst gehalten werden könnte.
Mittlerweile arbeitet Wolke in seinem Kölner Objektlaboratorium am alten Deutzer Hafen, das Büro, Atelier und Forschungsraum gleichzeitig ist. Er konzentriert sich bei seiner Arbeit oft auf die »Umnutzung vorgefundener Materialien«, dennoch versteht er sich eher nicht als einer der vielen Recyclingdesigner, die in der letzten Zeit konsequent alles wiederverwerten, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ihn interessiert »Material mit Eigenschaften«; mit einer Geschichte. Um auf die »Tumultanten« zurückkommen – fabrikneue Schläuche wären alle gleich in ihrer Beschaffenheit, und damit für ihn wenig reizvoll. Wolkes Objekte sind mal Prototypen, mal Einzelstücke oder gehören zu einer Kleinserienproduktion. Nicht jede Idee wird weitergeführt, was manchmal schade ist, wie bei »Hangon«, einem Stück eines Einkaufswagens aus dem Supermarkt, der als Garderobe umfunktioniert wurde, 2010 gemeinsam mit Philipp Dreber entwickelt. In Serie gegangen ist hingegen »Beute«; Lichtobjekte aus Wellpappe unterschiedlichster Art, die, in Streifen geschnitten und zusammengeklebt, lampenschirmartige Formen jeder Größe ergeben. Wolke verleiht mit dieser Herangehensweise dem »erbeuteten« Material eine neue Struktur. Auch hier erkennt man die Spuren der Vergangenheit als Verpackung: Angeschnittene Buchstaben, Piktogramme oder Reste von Klebestreifen machen aus jeder »Beute« ein Unikat.
Michael Konstantin Wolke hält sich, was seine Person geht, auf Fotos gern zurück und posiert meist unerkannt in einem Kapuzenpulli – die Objekte sollen im Mittelpunkt stehen; in Ausstellungen wie den »Passagen« in Köln, bei »Heimatdesign« in Dortmund, oder, vom 1. bis 5. Juni 2011 auf dem »DMY International Design Festival« Berlin. Ansonsten arbeitet Wolke auch auf Kundenwunsch und entwirft Inneneinrichtungen, Lichtkonzepte, Ausstellungsarchitekturen für Unternehmen, Museen und Kulturinstitutionen.