TEXT: MARTIN KUHNA
Schon im Sommer hatte Scheytt öffentlich über eine Institution nachgedacht, die künftig anstelle von »Ruhr.2010« Kulturelles in den 53 Städten des Ruhrgebiets koordinieren könnte. Sofort wurde ihm um die Ohren gehauen, dass er von einer zusätzlichen Machtinstanz träume, einem Super-Kulturdezernat, natürlich mit sich selbst an der Spitze. Er hat die Idee trotzdem weiter variiert und ventiliert – nun wurde ihm vorgeworfen, dass er seine 2010-GmbH bis zum Nimmerleinstag erhalten wolle, wiederum mit sich selbst als wohlbestalltem Chef.
Tatsächlich muss die Ruhr.2010 GmbH laut Vertrag erst zum 31.12.2012 abgewickelt sein. Aber schon 2011, sagt Scheytt, werde sie nur noch mit einer sukzessive schwindenden Mannschaft arbeiten. Die überwiegend jungen Leute seien längst dabei, sich anderweitig zu bewerben. Kein Grund also, die 2010-Gesellschaft als Versorgungsanstalt über die Zeit zu retten. Und er selbst? Kann er ausschließen, dass er in einer Nachfolge-Organisation der Ruhr.2010-Gesellschaft die leitende Funktion übernimmt? Auf diese brückenbauende Frage reagiert Scheytt mit einem immerhin ziemlich klaren Dementi: Doch, das könne er eigentlich ausschließen. Nach über 25 Jahren in der kommunalen und regionalen Kulturpolitik wolle er nun etwas anderes machen, und da gebe es auch genügend Angebote. Read my lips.
Gleichwohl, sagt Scheytt, wolle er 2011 die Ruhr.2010 GmbH nicht bloß abwickeln, sondern auch Perspektiven entwickeln, wie und mit was man an das Kulturhauptstadtjahr anschließen, also »die Nachhaltigkeit organisieren« könnte. Diese Arbeit, sagt Scheytt, gehöre zu den schriftlich fixierten Aufgaben der GmbH, und gerade die »Nachhaltigkeit« sei in der EU ein wichtiger Aspekt bei der Vergabe des Kulturhauptstadt-Titels gewesen. So. Dass es für die Organisation der Nachhaltigkeit eine eigene Institution brauche, darauf allerdings beharrt Scheytt. Und er hat auch schon einen Masterplan dafür.
»Masterplan Kulturmetropole Ruhr« heißt das dicke Heft, welches Scheytt nun auf den Tisch legt. »Wird viel zu wenig gelesen«, sagt er und fügt mit einiger Genugtuung hinzu: Erschienen ist das Werk im Sommer 2009. Erstellt von einer »Innovationsagentur« in Wien. Und der Auftraggeber, Scheytt tippt mit dem Kugelschreiber darauf: Regionalverband Ruhr (RVR). In dem Masterplan wird ausführlich beschrieben, wie anhand von Themen- und »Kompetenzfeldern«, das Ruhrgebiet sich von der temporären Kulturhauptstadt zur dauerhaften »Kulturmetropole« entwickeln soll. Als Träger-Organisation schlägt der Plan eine »Kulturmetropole Ruhr GmbH« vor, als Tochter des RVR, aber als eigenständige Tochter, nicht als Anhängsel von Tourismus- oder Wirtschaftsförderung.
Als jährliche Kosten der »Kulturmetropoleninitiative« nannte der Masterplan 20 Millionen Euro. Mit dieser Zahl im Vordergrund, so Scheytt, habe RVR-Chef Heinz-Dieter Klink das Werk den Städten vorgestellt – damit sei es tot gewesen und »schubladisiert« worden, wie Scheytt in Anspielung auf die österreichische Herkunft des Masterplans sagt. Den möchte er nun wieder aus der Schublade herausholen. Statt der 20 bringt er dabei jene jährlichen 2,4 Millionen Euro ins Spiel, mit denen die Ruhr-Städte per Umlage 12 Millionen für »2010« beisteuern. Wenn diese Umlage weiter erhoben werde und das Land NRW weiterhin den gleichen Betrag zuschieße, könne man schon mal »eine Menge machen«, meint Scheytt. Sowohl bei den Oberbürgermeistern wie beim Land habe er Wohlwollen registriert.
Was aber soll das Ruhrgebiet mit dem Geld anstellen? Die Kulturhauptstadt, so ihr Geschäftsführer, habe nicht nur nach außen eine Wahrnehmung erzielt, wie es einzelne Städte im Ruhrgebiet nie hätten schaffen können. Es seien auch Kooperationen unter den Städten, Institutionen und Initiativen entstanden, Netzwerke von Künstlern, und es sei wirklich gelungen, die Bevölkerung für »2010« und für Kultur zu begeistern. Das hätten auch einst skeptische Oberbürgermeister spätestens seit Aktionen wie »Schachtzeichen« oder »Stillleben A 40« zugestanden. Diesen Elan, dieses Potenzial gelte es nun weiterzutragen.
Es habe von vielen Seiten Signale gegeben und den Wunsch, dass es weitergehen solle: von Netzwerken, von den Kulturhauptstadt-Beauftragten der Städte, von Museumsdirektoren, von Chören, von den »Volunteers«, den freiwilligen Helfern zum Beispiel. Er glaube aber nicht, so Scheytt, dass die Städte den Schub des Kulturhauptstadtjahres allein aufrechterhalten könnten – etwa unter Federführung einzelner Städte für verschiedene Themen. Es sei da schon eine koordinierende Instanz notwendig, umso mehr, als Scheytt »identitätsstiftende Großveranstaltungen« im Sinn hat: Sie seien 2010 sehr erfolgreich gewesen und auch künftig ein wichtiges Element, um die »Kulturmetropole Ruhr« nach innen und außen zu etablieren.
Den Anschluss an 2010 sieht Scheytt als ein weiteres »Dekadenprojekt«. Die Jahre 1989 bis 1999 seien an der Ruhr von der »IBA Emscherpark« dominiert worden, das folgende und nun zu Ende gehende Jahrzehnt vom Projekt »Kulturhauptstadt«. Und ohne diesen Anschluss, sagt Scheytt, wäre von der IBA viel weniger geblieben: »Jetzt erst hatten wir die richtigen Besucherzahlen« an den alten IBA-Orten wie der Zeche Zollverein. Deshalb gelte es auch für die Dekade 2011 bis 2020 ein Projekt als Rahmen zu schaffen.
2020, gibt Scheytt zu bedenken, werde das Jahrhundertwerk »Emscherumbau« abgeschlossen. Im Rahmen des Projekts »Innovation City« werde Bottrop sich bis 2020 modellhaft zur »Klimastadt der Zukunft« entwickeln. Die für »2010« initiierte »Charta Ruhr« habe sich zum Ziel gesetzt, das Ruhrgebiet zum Modell einer energieeffizienten Metropole zu entwickeln – Fortsetzung des Hintergrundthemas Strukturwandel. Dies alles ließe sich etwa zu einem Projekt »Klima-Expo« bündeln, mit Kultur als zentralem Baustein. So, wie »Emscherkunst« als Biennale den Umbau des Flusssystems begleitet. Unter kleineren und größeren Veranstaltungen könnten auch Projekte sein, die 2010 mangels Geld ausfielen: die untertägige »Zweite Stadt« auf Zollverein, »Religionen der Welt« im Oberhausener Gasometer.
Mit Blick auf das Institutionelle erinnert Oliver Scheytt an das Ende der IBA: Da sei der Anschluss nicht gelungen. In der Tat: Eine vom Land geplante »Agentur Ruhr« scheiterte, weil sie entweder den Kommunalverband ersetzen oder teure Zusatzinstitution sein sollte; die ersatzweise von Ministerpräsident Clement oktroyierte »Projekt Ruhr GmbH« blieb Fremd- körper und hielt nicht lange durch. IBA-Macher Karl Ganser machte sich verärgert von dannen. Neues altes Kirchturm-Denken verspielte manches IBA-Erbe, ehe dann »2010« in Gang kam. Das kann man weiß Gott besser machen. Freilich nicht mit »Nee« als Strategie.