TEXT: STEFANIE STADEL
Ein riesiger Thronsaal. Goldene Löwen brüllen, und auf künstlichen Bäumen stimmen goldene Vöglein ihr Lied an. Eine solche Performance hatte Liutprand von Cremona sich gewiss nicht träumen lassen, als er um 949 an den Palast in Konstantinopel kam. Der Gesandte aus Italien war angereist, den Kaiser zu sprechen. Doch der war verschwunden, als Liutprand von seiner Verbeugung aufsah. Aufgefahren und nicht mehr gesehen. Die Unterredung konnte nurmehr über einen eigens abgestellten Sprecher geführt werden.
Liutprand – einer der wenigen, die den Kaiserpalast in Konstantinopel von Innen gesehen haben. Beschreibungen wie seine sind rar. Überhaupt ist wenig Schriftliches erhalten, das über die Vergangenheit von Byzanz Auskunft geben könnte. Jenes Reich, das 330 mit der Erhebung Konstantinopels zur Hauptstadt seinen Anfang nahm, das sich zeitweise von Italien bis an die Donau, von Syrien bis auf die Krim erstreckte. Und das nach über 1000 Jahren ein Ende fand, als 1453 Osmanen die Metropole am Bosporus eroberten.
Von den einstmals üppigen Archiven dort blie-ben nur Fragmente. Das gleiche gilt für die architektonischen Zeugnisse: Die prächtigen Paläste, die kostbar ausgestatteten Kirchen, die vielen öffentliche Bauten – Bibliotheken, Zisternen, Märkte: fast alles verschwunden.
Und so sind es vor allem feine Kleinteile, Werke der Luxuskultur, die, trotz auch hier immenser Verluste, noch immer zahlreich und eindrucksvoll genug sind, das Byzanz-Bild bis heute zu prägen. Feine Elfenbeinschnitzereien, Goldschmiedearbeiten, kostbare Ikonen: Solche Zeugnisse bestücken seit Jahrzehnten Ausstellungen in aller Welt und nähren die Vorstellung von Pracht und Prunk, auch von Dekadenz und kaiserlicher Überherrlichkeit – wie sie Liutprand einst im Palast erlebte.
Die Bundeskunsthalle will die Sache nun einmal etwas anders angehen. In ihrer Byzanz-Ausstellung und dem zugehörigen Katalog versucht sie, Glanz und Alltag zusammenzubringen, will mit mehr als 600 Exponaten, Kurzfilmen und Computeranimationen ein möglichst rundes, Kunst und Kultur, aber ebenso Wirtschaft, Gesellschaft und Militär umfassendes Bild abgeben. Dabei stützt sie sich auf jüngere Forschungen, die in archäologischen Grabungen verstärkt die Lebensumstände der breiten Bevölkerung ins Visier nehmen.
Zeitlich bleibt das Bonner Unternehmen weitgehend konzentriert auf den spannenden Abschnitt zwischen dem 6. Jahrhundert, als Byzanz unter Justinian I. seine erste Blüte erlebte, und dem Jahr 1204, das mit der Einnahme Konstantinopels durch die Kreuzfahrer einen fatalen Einschnitt brachte. Einen geschickten Dreh findet die Schau, indem sie ihre Themen an Orte im oströmischen Reich bindet, die uns digital rekonstruiert vor Augen treten.
Wo sonst als in Konstantinopel selbst könnte ihre Reise starten? Die Stadt, wo Kaiser und Patriarch residierten, ist natürlich nicht der Ort für Alltäglichkeiten: Kirche, Kult und Liturgie, Macht und Repräsentation kommen hier zur Anschauung.
Etwa im kleinen Elfenbein-Diptychon einer byzantinischen Kaiserin um 500, oder im Täfelchen des 10. Jahrhunderts, das Konstantin VIII. zeigt – es sieht ganz so aus, als hätte ihm Christus persönlich soeben die Krone aufs Haupt gesetzt. Ein schöner Beleg für die Stellung des byzantinischen Kaisers: Zwar hatte ihm das Christentum den alten Status der Gottheit genommen, dafür galt er aber gleichsam als Erster nach Gott. Und stellte einiges an, diese Position glaubhaft zu machen – sei es durch Bildwerke, sei es durch abenteuerliche Darbietungen mit Löwen und Himmelfahrt im Thronsaal.
Dazu passen auch jene Prachtbauten, die, vor allem unter Justinian I. hochgezogen, das Stadtbild Konstantinopels bis 1453 bestimmten. Mosaiken geben in der Ausstellung zumindest einen Eindruck davon. Als berühmtes Beispiel vor Ort blieb die Hagia Sophia stehen. Noch immer ist ein Rätsel, wie in wenigen Jahren, offenbar ohne größere Planungen, ein Kuppelbau diesen Ausmaßes zu Stande kommen konnte. Eine Vorzeigearchitektur erster Klasse, die der Kaiser noch dazu üppigst ausstatten ließ – 18 Tonnen Edelmetall sollen im Inneren verarbeitet worden sein, so rechnet eine neue Studie vor.
Ebenfalls auf Justinian geht die Gründung von Iustiniana Prima zurück, man vermutet die Reste dieser frühbyzantinischen Idealstadt am Fundort »Caricin Grad« im heutigen Serbien. Am Reißbrett geplant und binnen Kurzem aus dem Boden gestampft, blieb sie nicht einmal hundert Jahre bewohnt. Die Bundeskunsthalle zeigt Architekturfragmente und macht die Stadt zum zentralen Schauplatz des alltäglichen Lebens.
Alle möglichen Utensilien aus Haushalt und Arbeitswelt des ganz normalen Byzantiners bringt die Ausstellung zusammen: Aus Küche und Kammer Pfannen, Becken, Eimer, Mörser. Aus dem Wohnbereich Teller, Gläser, Löffel, Schalen. In den Räumen gab es Lampen, manchmal aus Bronze, öfter aber aus einfachem Ton, dazu Truhen und Türen, meist mit Schlössern gesichert, deren Schlüssel die Hausfrau verwahrte. Der Toilette dienten Badeeimer, Waschbecken, Kämme, Salböl- und Schminkgefäße.
Ganz besonders im Fall Byzanz scheint der viele Lebensbereiche einschließende Bonner Rundum-Ansatz glücklich und sinnvoll. Nicht nur, weil er bisher wenig bekannte Ergebnisse archäologischer Forschungen vorstellt. Sondern auch, weil er den Versuch unternimmt, die verloren gegangenen Zusammenhänge zu rekonstruieren. Stücke, die zuvor oft isoliert im Raum standen – »wie Gefangene in gläsernen Vitrinen« – treten in Dialog, lassen sich im großen Zusammenhang besser verstehen.
Zur Belebung trägt natürlich auch die Idee bei, Themen an Orte zu knüpfen. Das Katharinenkloster auf der Halbinsel Sinai, ebenfalls unter Justinian errichtet, bietet da die rechte Bühne, dem für Byzanz so bedeutsamen Mönchtum nachzugehen, in all seinen vielen Formen. Hier-her gehört auch die Ikone mit Christus und den Heiligen Sergios und Bacchus. Die mit Gold angereicherte Wachsmalerei auf Holz, sicher eines der wichtigsten Stücke der Schau, stammt aus dem 6. oder 7. Jahrhundert und wurde dem Kloster vielleicht gar vom Kaiser persönlich gestiftet.
Das hochfrequentierte syrische Wallfahrtsziel Qalaat Seman, wo der Anachoret Simeon Jahr-zehnte hoch oben auf einer Säule mit 50 Zentimetern Durchmesser verbracht haben soll, dient in der Bundeskunsthalle als Hintergrund, vor dem Pilgerwesen und Volksfrömmigkeit behandelt werden. Ebenfalls ein sehr wichtiges Thema in Byzanz und heute noch lebendig aufgrund zahlreicher Zeugnisse. Darunter allerlei Segen spendende »Souvenirs«, die Pilgertouristen von ihren Reisen mitbrachten. Oft sind es kleine Gefäße, deren Inhalt in irgendeiner Weise mit der Wunder wirkenden Reliquie eines Heiligen in Berührung gekommen war. Auch Heiligenbildchen, Plaketten oder einfachen Tonstückchen wurden gern genommen.
Konstantinopel, Ephesos, Ravenna, Thessaloniki – der Weg durch Orte, Themen, Jahrhunderte führt gegen Ende in eine wunderbare kleine Schatzkammer. Das schöne Staunen gilt hier einem eher düsteren Kapitel. Denn was da glänzt, ist oft geraubt. Von Kreuzrittern, die sich auf dem vierten Kreuzzug im Frühjahr 1204 über die christliche Stadt Konstantinopel hermachten. Drei Tage lang wurde misshandelt, vergewaltigt, gemordet, geplündert, zerstört. Die Venezianer schickten Suchtrupps aus Kunstexperten durch die Stadt. Sie sollten das Beste sicherstellen. Vielleicht war darunter ja auch jenes zauberhafte Räuchergefäß in Form eines Kuppelbaus, eine Silberschmiedearbeit des 12. Jahrhunderts, die in Bonn Eindruck macht.
Auf die Eroberung 1204 folgte die Einrichtung des »Lateinischen Kaiserreiches« – die ehemals byzantinischen Gebiete wurden unter den Kreuzfahrermächten aufgeteilt. Zwar schwang sich das byzantinische Reich unter den Palaiologen im 13. Jahrhundert erneut auf und brachte noch einmal eine kulturelle Blüte hervor. Politisch war Byzanz aber nicht mehr in der Lage, der feindseligen Umgebung zu trotzen. Die Expansion der Osmanen setzte dem Reich schwer zu. Und am 29. Mai 1453 gelang es Sultan Mehmed II., Konstantinopel einzunehmen.
Das Ende? Wohl kaum: Byzanz lebt in der orthodoxen Kirche wie auch im europäischen Rechtssystem fort. Und es steht wohl außer Frage – ohne die schützende Hand dieser Großmacht sähe Europa heute anders aus.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bis 13. Juni 2010. Tel.: 0228/9171 200. www.bundeskunsthalle.de