TEXT: ULRICH DEUTER
Täglich gehen Tausende Abteilungsleiter durch die Welt. Sie begegnen Tausenden Immobilienmaklern an der Mittelmeertheke beim Hertie, und es kommt ihnen völlig normal vor. Ein paar wenige Menschen sind »zu empfindlich für das Hertie«, so werden sie die Helden in Wilhelm Genazinos Romanen. Ihr Unterschied ist, sie finden alles unnormal, komisch und falsch. Und dann schämen sie sich ihrer Existenz. Natürlich stehen sie auch in diesen Romanen fehl am Platz herum und finden nie zu einer richtigen Geschichte. Denn nicht nur das Leben ist falsch, alle Versuche, es gelingen zu lassen, müssen scheitern, sondern scheitern muss auch das Kunstwerk, weshalb jeder Protagonist in einem Genazino-Roman eine Beckett-Figur (und übrigens, wie dort, immer dieselbe) und jeder Genazino-Roman selbst ein Adorno-Kunstwerk (und übrigens auch immer ein- und derselbe Roman) ist. Auch der neue, »Wenn wir Tiere wären«. Ihm hat ein Rezensent vorgeworfen, er ver-derbe ihm die gute Laune. (Auch eine Zuhörerin bei einer Lesung hat Genazino einmal vorgeworfen, gar nicht wie ein Schriftsteller auszusehen.) Genazinos Romanen aber ist der Vorabendserienrealismus, der als »gutes Erzählen« gilt, fremd, sie verleugnen nicht, dass sie Kunstwerke sind. Ihr Verhältnis zur sogenannten Wirklichkeit ist das des analytischen Unschuldsblicks, der alle Kaiser nackt sieht.
Auch diesmal ist der Protagonist ein staunend sich selbst beobachtender Mann, der am liebsten nichts tun mag, aber sich zu entscheiden gedrängt wird (von und zwischen zwei Frauen). Aber der eigentliche Held des Romans ist der unablässig zerbrochen von allen Fassenden fallende Sinn, dem nicht zu entkommen ist. Es sei denn, momentweise im Ansehen der Tiere: einer auf einem Bein stehenden, schlafende Ente, was Wunschlosigkeit erzeugt; von Krähen, deren beim Auffliegen herabhängende Krallen ein Sinnbild der Lebenserschöpfung abgeben; einer Amsel, die zugleich singt und scheißt. | UDE
Wilhelm Genazino: »Wenn wir Tiere wären«; Hanser Verlag, München 2011, 160 S., 17,90 Euro.