»Ja, ja, ja, ja, ja – nää, nää, nää, nää, nää« – Joseph Beuys hat schon alles gesagt zum Streitfall Moyland, bei einer Performance vor 39 Jahren, eine Stunde lang, immer wieder. Aufgeschnappt hatte er das Mantra bei einer niederrheinischen Beerdigung, gemurmelt von routiniert trauernden alten Frauen. Davon erzählte Beuys Freunden, als es eigentlich um ein Manifest gehen sollte, mit dem ihn Professorenkollegen attackiert hatten. »Ja, ja, ja …«
Eigentlich hatte man Moyland 2007 feiern wollen: Das niederrheinische Wasserschloss wird 700 Jahre alt; das Museum samt Beuys-Archiv gibt es seit 1997. Ministerpräsident Rüttgers und Kultur-Staatssekretär Grosse- Brockhoff wollten eine 250.000 Euro teure Plastik von Antoni Tàpies übergeben, als Dauerleihgabe für den Skulpturenpark des Museums. Da wäre Gelegenheit gewesen, den Streit zwischen den Stiftern van der Grinten und dem Land über die Zukunft Moylands in ruhigere Bahnen zu lenken. Doch kurz vor dem Termin feuerte die Stifterfamilie öffentlich eine giftige Breitseite in Richtung Staatskanzlei: Das Land habe sich mit der Dauerleihgabe nur selbst beschenkt und könne die Plastik jederzeit abziehen – Moyland habe davon »keinen Zugewinn«. Und »Herr Grosse-Brockhoff« sei als Gesprächspartner ohnehin untragbar, sein »weiteres Erscheinen unerwünscht «. Ministerpräsident und Staatssekretär sagten ab, was sonst. Im Schlosspark aber trafen Besucher auf eine verhüllte Tàpies-Plastik, von der Museumsangestellte offiziell nichts wussten. Dabei lief und läuft im Gebäude nebenan gerade eine Tàpies-Ausstellung. Ja, ja – nää, nää.
Die Sache hat ihre erste Wurzel Anfang der 50er Jahre, als die Brüder Hans und Franz Joseph van der Grinten begannen, moderne Kunst zu sammeln und dabei das Frühwerk ihres niederrheinischen Nachbarn Joseph Beuys entdeckten. Die zweite Wurzel liegt in Beuys’ aufmüpfigem Verhalten als Kunstprofessor in Düsseldorf, das Wissenschaftsminister Johannes Rau 1972 mit Beuys’ Entlassung quittierte. Rau hat das später bereut – und nicht zuletzt deshalb als Ministerpräsident entschieden, mit den Brüdern van der Grinten eine Art Beuys-Museum am Niederrhein zu gründen, zu sehr großzügigen Konditionen. In die 1990 gegründete Museumsstiftung brachte Adrian Baron von Steengracht sein Schloss Moyland ein, das die Alliierten allerdings beim Rheinübergang 1945 zur Ruine zerschossen hatten. Die Brüder van der Grinten gaben ihre 60.000 Stücke umfassende Kunstsammlung hinzu, darunter zahlreiche Arbeiten von Beuys. Das Land übernahm die Kosten – für die Schlossrenovierung und den Betrieb des Museums. Viel Geld: Bis dato, so Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, habe das Land 48 Millionen Euro investiert, der jährliche Zuschuss betrage 2,3 Millionen. Mehr erhalte nur die Kunstsammlung NRW.
Die Stiftungssatzung räumte den van der Grintens eine prominente Rolle ein: Die Brüder durften sich bis zu ihrem 70. Lebensjahr die bezahlte Stelle des künstlerischen Museumsdirektors teilen. Hans, 1929 geboren, zog sich 1999 zurück; er starb 2002. Franz Joseph wurde ein Jahr später 70.
Seither schwelt die Frage seiner Nachfolge. Der erste Kandidat trat sein Amt nicht an. An seiner Stelle kam Peter Dering, doch er verließ Moyland schon nach wenig mehr als einem Jahr. Der Posten ist seit zwei Jahren vakant. Dem enteilten Dering wüten die van der Grintens noch heute hinterher: »unzuverlässig, planlos, unqualifiziert«. Dering hingegen: »Moyland ist eine Festung; jeder, der von außen kommt, wird wie ein Fremdkörper abgestoßen. « 2005 legte auch Rudolf Kersting sein Amt als Vorsitzender des Moyland-Fördervereins nieder, weil, so der frühere Klever Landrat, das weitgehend mit öffentlichen Mitteln finanzierte Museum »von den Stifterfamilien van der Grinten und ihrem engsten Freundeskreis quasi als Privatunternehmen betrachtet« werde.
Die Familie – das ist im Stiftungsvorstand Franz Rudolf van der Grinten, ein Sohn des Patriarchen Franz Joseph. Im Kuratorium sitzt Gerhard, der andere Sohn. Und der 74-jährige Franz Joseph schrieb zusammen mit Marcella, der Witwe seines Bruders Hans, jenen wütenden Offenen Brief, in dem der Kulturstaatssekretär als anmaßend, vermessen, unerwünscht abgewatscht wird. Entscheidend ist der Sitz im Stiftungsvorstand: Der Vorstand wird von den drei Stiftungs-Parteien besetzt und nimmt »die laufenden Geschäfte wahr«, wobei Beschlüsse einstimmig gefasst werden müssen. Da bleibt für einen künstlerischen Direktor wenig Spielraum, wenn ein Stifter sich ins Tagesgeschäft mischt.
Diese Konstruktion sieht die Landesregierung als Kern des Problems – und drängt auf Änderung. Sie möchte den mächtigen Vorstand ersetzen durch eine vollverantwortliche Museumsleitung, kontrolliert durch einen Stiftungsrat. Nur so lasse sich das Haus professionell führen, und nur so lasse sich überhaupt eine qualifizierte Person für den Direktorenposten finden. Das bestreiten van der Grintens: Die Einstellung eines qualifizierten Direktors habe vielmehr Kulturstaatssekretär Grosse-Brockhoff durch Eingriffe in das Verfahren torpediert. Und die Struktur der Stiftung bedürfe keiner Änderung. Das Land wolle bloß mehr Macht und die Sammlung im Kern verändern können.
In Wahrheit spricht einiges dafür, dass eine unabhängige Leitung dem Museum »mehr Strahlkraft« verleihen könnte, wie es die Regierung wünscht. Offensichtlich ist, dass Moyland gar kein »Beuys-Museum« ist – dafür nehmen Beuys’ Arbeiten zu wenig Raum ein. Die hohen Zuwendungen des Landes sind aber nur mit Moylands angestrebtem Status als Beuys-Zentrum begründbar. Die notorische »Moyland-Hängung« mit kommentarlos gezeigten Bildern von der Decke bis zum Boden hat zwar Charme, wird in Fachkreisen jedoch kritisch gesehen, und sie erschwert zweifellos den Zugang zu einzelnen Arbeiten.
Es gibt auch Kritik am Umgang mit Joseph Beuys’ Werk, an falschen Zuordnungen und Benennungen – Kritik nicht zuletzt von der Familie Beuys, schrieb die »Süddeutsche Zeitung«. Und Beuys’ Witwe Eva habe die vorgebliche Freundschaft van der Grintens zu ihrem Mann eher nüchtern beurteilt; zur Einweihung des Museums sei sie nicht mal eingeladen worden. Den aktuellen Streit wollte Beuys’ Tochter Jessyka gegenüber K.WEST nicht kommentieren; sie bestätigte aber den Bericht der »Süddeutschen«. »Um kein Jota« will die Familie van der Grinten Änderungen am Stiftungsvertrag gestatten. Im Übrigen gleichen ihre Offenen Briefe einem Amoklauf mit Selbstmord-Drohung. Der Vorwurf etwa, das Museum werde durch Kürzung der Landesmittel existenzbedrohend ausgetrocknet, ein neuer Direktor könne nur durch parallele Entlassungen bezahlt werden, ist frivol angesichts der jährlichen 2,3 Millionen. Tatsächlich geht es um zusätzliche 200.000 Euro – nicht ausgezahlt, weil die regionalen Förderer nicht mitziehen können, wodurch die Quote von 80 Prozent Landesförderung gestört würde. Ähnlich ist es mit der erst gewünschten, dann verschmähten Tàpies-Plastik: Weil sich kein Co-Sponsor fand und eine Schenkung zu 100 Prozent sich fiskalisch verbot, war die Dauerleihgabe eine durchaus übliche Hilfskonstruktion. Das missversteht, wer missverstehen will.
Künftige Verhandlungen möchten van der Grintens »auf Augenhöhe« führen. Aus den Offenen Briefen geht hervor, dass damit der Regierungschef gemeint ist. Darauf aber kann Jürgen Rüttgers sich kaum mehr einlassen, ohne seinen Kulturstaatssekretär und den Landesvertreter im Stiftungsvorstand zu desavouieren, die beide von der Stifterfamilie als nicht satisfaktionsfähig behandelt werden. Außerdem hat die Familie bereits angekündigt, in einer möglicherweise notwendigen neuen Stiftung werde das Land kein Partner mehr sein. Sie fordern das Land sogar auf, keine Steuergelder mehr »in eine Institution zu investieren, deren Erhalt es offensichtlich nicht wünscht«. Mal abgesehen davon, dass die Familie eine bestimmte Struktur und letztlich ihre eigene Stellung mit der ganzen Institution gleichsetzt – woher dann künftig das Geld für Moyland kommen sollte, bleibt ihr Geheimnis.
Da obendrein das im Schloss untergebrachte »Joseph-Beuys-Archiv des Landes NRW« nach Auffassung der Beuys-Familie den van der Grintens nie geschenkt oder verkauft, sondern treuhänderisch überlassen wurde, droht bei Rückzug oder Ausbootung des Landes die Implosion des gesamten Projekts. Für die dann folgende niederrheinische Beerdigung empfiehlt sich die noch schamhaft verhüllte Tàpies-Plastik »Triptic« als multimediales Grabmal: Porträts und Symbole der Stiftungsparteien auf die drei Flächen des Triptychons projiziert, dazu aus Lautsprechern Hanns Dieter Hüsch – »Tach zusammen« – mit der Philicorda, und Joseph Beuys mit seinem: »Ja, ja, ja, ja, ja – nää, nää, nää, nää, nää.« Der Abgesang ist schon auf CD erhältlich.