Giselle als zarte Sylphide – das war einmal. Eine heutige Giselle ist groß und muskulös und hat einen für eine Tänzerin auffallend kräftigen Knochenbau. Sie schnauft ganz ordentlich, wenn das schwache Herz sich meldet, und der stechende Schmerz verzerrt ihr die Gesichtszüge. Die »Pretty-ugly«-Tänzerin Flavia Tabarrini ist Giselle in Amanda Millers Version; und so anmutig sie auf ihren Spitzenschuhen auch tanzen mag – sie hat niemals den pittoresken Primaballerinen-Charme des Klassischen Balletts. Eine Giselle, die so gern eine andere wäre, als sie ist, in einem Ballett, das nach dem einstigen Kitsch schmachtet und dieses sentimentale Sehnen zugleich verlacht.
Das ist die Kölner Variante des Ballett-Klassikers von 1841. Comicfiguren, asiatische Kampfsport-Typen und Gartenzwerge mischen sich in die Auftritte, eine Solistin rollt mit den Augen wie ein Stummfilm-Star, und wenn das Corps de Ballet mit Plastikblumen einen Walzer tanzt, wedeln sie die zarten Pflanzen so begeistert wie Cheerleader ihre Puscheln. So unterläuft Miller ironisch das Pathos, das sowohl in der Musik vom Komponisten Adolphe Adam wie auch im märchenhaften Stoff liegt. Denn überraschend handlungstreu erzählt die Choreografin die Geschichte vom Bauernmädchen Giselle, das sich in einen Prinzen verliebt, sich bald schon verraten fühlt, stirbt, aber dann als Untote, eine sogenannte Wili, zurückkehrt und Rache am Mann üben soll. Ihre Solisten dürfen gelegentlich klassisch tanzen wie von der Stange, aber: Das kostet sie sichtlich Mühe. Weit stärker als an der Choreografie hat Miller diesmal am Ausdruck ihrer Tänzer gearbeitet, hat ihren Bewegungen eine romantische Seele eingegeben. Wenn sie Giselle im Todestaumel zeigt, die sich mit immer schwächer werdenden Gliedmaßen in die schönen Bewegungen schraubt, zaubert Miller tatsächlich herzzerreißende Momente aus ihrem Nostalgie-Kistchen. Doch man vermisst eine Radikalität im Zugriff auf einen so durchgenudelten Stoff. Eine wirklich bedeutende »Giselle« wurde nicht geschaffen. STRECK