TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Deutsche Wände haben es nicht leicht. Geschäumte Strukturtapeten, im schlimmsten Fall Raufaser. Nicht schön, aber praktisch. Selbst gelbgerauchte Räume können schnell überstrichen werden. Zeit also für frischen Wind an der Tapetenfront. Dass man mit dem Medium Tapete auch ganz anders umgehen kann, zeigen Entwürfe wie »Buzzer« von Bettina Gerlach.
Statt Muster kleben Fliegen an der Wand. Nicht formatfüllend, eher locker verteilt auf weißem Hintergrund. Hier und da rotten sie sich zu größeren Ansammlungen zusammen. Die Insekten sind glücklicherweise nicht putzig illustriert; sie sitzen derart fotorealistisch auf der Wand, dass man beherzt zur Klatsche greifen möchte. »Buzzer« stieß dann auch auf ein geteiltes Echo, wobei die positiven Redaktionen überwiegen. Entstanden sind die Fliegen von der Rolle im Rahmen von Gerlachs Diplomarbeit 2003 an der Bergischen Universität Wuppertal im Fachbereich Kommunikationsdesign. In dieser Sparte liefert man als Abschlussarbeit normalerweise Bücher, Magazine oder Plakate ab. Dass sie sich die Dimensionen einer Tapete als Gestaltungsraum vornahm, war schon ungewöhnlich. Zudem reizte sie die Herausforderung, aufgrund des Formats »in die Weite denken zu müssen«. Bettina Gerlach sieht die Fliege als »das störende Objekt im gestalte-rischen Vakuum«. Mit ihren Tapeten schlug sie bewusst stilistisch eine andere Richtung an, da sie ihre berufliche Zukunft nicht in einer klassischen Werbeagentur verbringen wollte.
Mittlerweile ist »Buzzer« Teil von Gerlachs Tapetenkollektion »Endless Wallpaper« und wird über das Internet vertrieben. Dort kann man im Online-Shop mittels eines Rechners die benötigte Rollenzahl ermitteln; die Tapeten liegen nämlich nicht auf Halde, sondern werden für den Auftraggeber eigens digital gedruckt. Auch auf den persönlichen Geschmack kann eingegangen werden. Privatkunden können sich individuelle Designs entwerfen lassen; Unternehmen haben die Möglichkeit, Tapeten in Firmenfarbe und mit entsprechendem Logo in Auftrag zu geben.
Zum Sortiment der rapportfreien Tapeten gehören auch ein Punkte-Raster (»dots in motion«), abstrahierte Stadtpläne von London, Barcelona und Paris in verschiedenfarbigen Versionen, sowie Gestaltungselemente aus Teilen von PET-Verpackungen. Bettina Gerlach ist von den grafisch reizvollen Unterseiten dieser Getränketüten fasziniert, hat die Farb-Skalen der Druckinformationen eingescannt und zur Tapete »my kitchen best« verarbeitet. Ungewöhnlich, aber lohnend: Im Jahr 2004 erreichte die Kommunikationsdesignerin mit ihren Werken eine Platzierung unter den ersten Zehn des Wettbewerbs »New Walls, Please!« der Tapetenstiftung und dem Rat für Formgebung.
Menschen, die in den 1970er Jahren aufgewachsen sind, wissen, was es bedeutet, wenn ganze Räume mit großen wie grellen Mustern austapeziert werden. Ihnen zur Beruhigung: Diese Tapeten sind zwar dekorativ, meiden aber den Kitsch. Und ganze Räume sollen mit »Endless Wallpaper« auch nicht beklebt werden, meistens bleibt es bei einigen Bahnen. Bettina Gerlach sieht ihre Entwürfe auch eher als »Wandbilder«, die visuelle Akzente setzen sollen. Wem das aber immer noch zu wild ist, der wählt die kleinere Form und kann zu den selbstklebenden Bordüren greifen, die das Angebot ergänzen.