// Dem Design mangelt es nicht an Nachwuchs. Allein in Deutschland sorgen mehr als hundert staatliche Hochschulen und private Institute dafür, dass jedes Jahr tausende Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängen. In China, so heißt es, seien es sogar an die 80.000 jährlich. Doch der Weg vom hoffnungsfrohen Talent zum Designer, der von seinem Einfallsreichtum leben kann, ist weit. Umso mehr, wenn das Berufsziel darin bestehen sollte, den Status eines etablierten »Autorendesigners« zu erreichen. So bezeichnet man neuerdings diejenigen Designer, die zwar einen Namen haben, aber sich nicht als Star sehen (und sich auch nicht so aufführen möchten).
Der Münchner Konstantin Grcic ist einer von ihnen: unlängst von der Zeitschrift art zum weltweit wichtigsten Designer gekürt, und doch kein Weltstar wie Philippe Starck. Grcic wurde beinahe ein Jahrzehnt lang als das deutsche Nachwuchstalent schlechthin gehandelt. Nun tritt ein ehemaliger Mitarbeiter in seine Fußstapfen, Stefan Diez. Auch er hat den Sprung vom talentierten Absolventen zum Autorendesigner geschafft. Für den Nachwuchs hat die Kölner Möbelmesse, die sich seit geraumer Zeit »imm Cologne« nennt, vor ein paar Jahren ein Förderprogramm im Rahmen eines Wettbewerbs für Designabsolventen aufgelegt, das sich ein gutes Ansehen in der Branche erarbeitet hat. Das allein ist bemerkenswert, weil der Ruf der Designwettbewerbe generell durch einige unseriöse Schwarze Schafe in Mitleidenschaft gezogen wurde, bei denen es nur darum geht, möglichst viele Teilnahmegebühren zu kassieren.
Der junge Südtiroler Marco Dessi weiß jedoch aus Köln nur Gutes zu berichten und freut sich schon auf die Messe (19. bis 25. Januar). Er gehört zu den 31 Ausgewählten aus aller Welt, die in Halle 3.1 unter der Überschrift »d3 design talents« präsentiert werden. 475 Designer aus 38 Ländern hatten sich für den Bereich »d3 contest« beworben, daneben gibt es noch zwei weitere: für junge Selbstständige und für Hochschulen. 2007 zählte Dessi bereits zu den Designern, die von der Messe – damals noch unter dem Titel »inspired by Cologne« – als Talent einen Ausstellungsplatz gestiftet erhielten. Mehr noch: Auch die Reise, die Übernachtungen und der Transport der Exponate sind Teil des Preises. Abgesehen vom materiellen Gewinn, steckt der eigentliche Wert für ihn darin, dass er in kürzester Zeit in Kontakt mit vielen Leuten außerhalb der Hochschulszene gerät: Fachpresse, Hersteller, Netzwerker, Kollegen.
Der Berliner Jacob Brinck bestätigt diese Einschätzung. Er konnte 2008 Erfahrungen bei der Mailänder Möbelmesse sammeln, dem schärfsten Konkurrenten der Kölner, und profitierte davon, dass die umstrickte Leuchte »Matt« ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde. Für einen seiner Entwürfe fand er sogar einen Hersteller, was er nicht erwartet hätte. Seine Hoffnungen sind zwar verhalten, aber teilzunehmen an der größten Ordermesse der Welt ist schon was. Vielleicht wird ein Produzent auf ihn aufmerksam und schlägt ihm ein gemeinsames Projekt vor.
Marco Dessì, Wien: Heizkörper »Radiator«. Foto: Silvester Buzàsi
Brinck hat sich zuletzt in mehreren Arbeiten mit dem Thema Ordnung bzw. Unordnung beschäftigt. Ihn interessiert das tägliche Durcheinander, das unvermeidlich am Schreibtisch, im Wohn- oder Schlafzimmer entsteht, wenn der Mensch nicht preußisch diszipliniert ist. Auf diese allzumenschliche Schwäche nimmt er spielerisch Bezug. Sein Schreibtisch »Clark« gewinnt erst durch das chaotische Ablegen von Stiften, Blättern, Büchern und Aktenordnern seine endgültige Form. Ein Hocker, den er als Teil der Diplomarbeit entwickelte, funktioniert allein dadurch, dass die abgelegten Kleidungsstücke, die sich sonst im Laufe einer Woche im Schlafzimmer verteilen, dort hineingestapelt als bequemes Sitzkissen dienen. Das Regal »Bill«, das auch auf der Messe zu sehen sein wird, besteht aus einzelnen länglichen Containern, die wie Blumenkästen aufeinander stehen und das, was in sie hineingeworfen wird, verwahren. Was vorne liegt, bleibt rasch greifbar, was sich hinten ansammelt, ist das Zeug, das man zwar nicht täglich braucht, wovon man sich aber dennoch nicht trennen möchte.
Weil Chaos die größte anzunehmende Herausforderung für einen Designer darstellt, zumindest in Deutschland, dem Heimatland des ordnungstiftenden Industriedesigns, hat sich auch Marco Dessi damit auseinandergesetzt. Sein Entwurf »Chaostheorie« ist während des Studiums in Wien entstanden, als er an einem Wettbewerb des Porzellanherstellers Rosenthal teilnahm. Die Teller und Schüsseln des Services sind unmerklich asymmetrisch. Auf den ersten Blick bemerkt man die Abweichung von der geraden Norm nicht. Erst, wenn die Dinge gestapelt werden, gerät die Anschauung ins Wanken. Eine zweite Arbeit wurde oft veröffentlicht und hat großes Interesse, auch bei Herstellern, hervorgerufen: »Radiator«. Im Künstlerjargon müsste man sagen: eine Neuinterpretation des Themas Heizkörper. Zweifellos gewinnt die formale Schlichtheit der aneinander gereihten quadratischen Heizflächen eine überraschende Dimension dadurch, dass die Flächen nicht stur parallel aufgehängt sind, sondern Stückchen für Stückchen kippen, so dass die gesamte Struktur in eine sanfte Rotation versetzt wird.
Aber die Bearbeitung der formalen, künstlerischen Dimension ist nur ein Aspekt des Designs. Mit den technischen, herstellungsbedingten und kaufmännischen Aspekten wurde Dassi im Verlauf der Gespräche konfrontiert, die er nach seiner Präsentation auf der Kölner Messe 2007 führte. Nüchtern resümiert er: »Ich musste sehr schnell lernen, dass ein Produkt funktionieren muss. Sehr gut sogar. Das Romantische am Entwerfen, das im Mittelpunkt der Hochschulausbildung steht, geht bei diesem Teil der Arbeit größtenteils verloren.«
Die Techniker fragten ihn etwa nach den erzielten Heizwerten seines Heizkörpers. So weit hatte er sich aber bis dato nicht vorgewagt. Bislang hat sich noch kein Hersteller dazu entschlossen, seine ungemein gelungene Studie in Serie zu produzieren. Das gilt auch für seinen Entwurf »Girella« (Spindel). Das Stromkabel wird bei diesem Nachttischlämpchen einfach um die Halterung gewickelt, die Beleuchtung dadurch manuell gedimmt: Je mehr man abwickelt, desto heller strahlt die Lampe. Hierbei ist die produktionstechnische Aufgabe noch nicht gelöst, dass die aufgestaute Hitze die Halterung zum Schmelzen bringt.
Der Entwurf spannt wiederum den Bogen zurück zu Konstantin Grcic. 1998 hatte er für den italienischen Hersteller Flos mit »Mayday« den Inbegriff einer modernen mobilen Leuchte entwickelt: Ein milchiger, konisch zulaufender Lampenschirm um ein Leuchtmittel mit langem Stromkabel, das an zwei Haken außen aufgewi-ckelt wird. Das Objekt ist so unprätentiös wie praktisch. Heute zeigt es sich, dass Grcic damit ein Thema besetzt hat, das der Nachwuchs vielfältig variiert.
Die Berlinerin Stephanie Jasny zum Beispiel wurde für »Cordula« von der Kölner Messe ausgewählt: Ihre Bodenleuchte ging aus der Liaison von Baustellenstrahler und Kabeltrommel hervor. Yvonne Fehling (Karlsruhe) hat es mit ihrer Wi-ckelleuchte schon bis in die Empfehlungsseiten der Frauenzeitschrift Brigitte geschafft. Sie wird mit ihrer Kollegin Jennie Peiz den Entwurf »Stuhlhockerbank« präsentieren, der bereits mehrfach publiziert wurde und dessen Titel alles ausdrückt, was dazu zu sagen wäre: Die Sitzgelegenheit für den öffentlichen Raum scheint wie aus der Fusion von Stuhl und Hocker gewachsen.
Fehling und Peiz haben schon einen eigenen Web-Shop etabliert, in dem sie ihre Produkte anbieten, darunter ein tausendteiliges Puzzle, das nur aus weißen Stücken besteht. Gesunden Geschäftssinn kann man ihnen also nicht absprechen. Aber möglicherweise lernen sie noch mehr durch ihre Teilnahme am »d3 contest«. Als besondere Attraktion wartet auf den Nachwuchs in diesem Jahr auch ein zweitägiger Workshop – mit Arik Levy, dem israelischen Stardesigner aus Paris. //
imm cologne, Fachbesucher: 19. bis 23. Januar, Publikums-tage: 24. und 25. Januar 2009: www.imm-cologne.de