»Ein Bus ist ein Bus und noch ein Bus mehr sind zwei Busse, yeah, yeah, yeah.« Erwin Grosche hat den Blues. Er lässt seine Stimme seufzen, während im Hintergrund eine Gitarre verschwommen jault. Grosche beschreibt die Welt, so wie sie sich ihm präsentiert, wie er sie durch seine großen kullerigen Augen wahrnimmt. Es ist eine andere Welt als jene, die seine Mitmenschen sehen, die sich ins hektisch rotierende Getriebe der Zeit geschmeidig eingefügt haben und ölig funktionieren, wie sie sollen. Grosche funktioniert nicht. Nie und nimmer. Will er nicht, macht er nicht. Wichtig ist ihm nur der Bus an sich, aber auch der öffentliche Personennahverkehr. Grosche hat herausgefunden, dass die meisten Busse verwunschen sind und dass sie diesem Schicksal nur entrinnen können durch die Selbstanzeige einer jungfräulichen Schwarzfahrerin.
Wenn man solch eine Szene staunend erlebt, hat man genau zwei Alternativen. Man prüft seine eigene Wahrnehmung auf Anzeichen seltsamer Dysfunktion, oder man befasst sich mit dem Auslöser der Verwunderung, mit Erwin Grosche. Der wird im November 50 Jahre alt und von seiner Agentur als Kabarettist, Kinderbuchautor, Schauspieler und Sänger geführt. Der Ostwestfale schreibt Gebete für Kinder, tritt als seltsamer Nebendarsteller schon mal in einem Fernsehkrimi auf, und manchmal steht er eben auch auf der Bühne und versucht sein meist recht überschaubares Kleinkunstpublikum zu entführen in eine andere Welt, in Grosches ziemlich eigenartige Welt.
Manchmal gerät Grosches Welt ein wenig in Unordnung. Da sitzt er dann in einem Düsseldorfer Café und räsoniert über seine Verlorenheit, über seine Probleme, die er mit großen Städten und kleinen Dingen hat. »Ich begreife Düsseldorf nicht«, sagt er und deutet diskret auf den Nachbartisch, wo sich gerade jemand gesund ernährt. »Ich begreife auch den Salat nicht«, bekennt er, und wo er einmal dabei ist, fummelt er am Rand seiner Tasse herum und hebt das beiliegende Stück Gebäck hoch: »Auch nicht das Plätzchen.« Dabei müsste ihm als Sohn eines Bäckers doch die Gabe, das Wesen von Backwaren verstehen zu können, quasi in die Wiege gelegt sein. Aber nein, er behauptet steif und fest, dieses Backwahnprodukt nicht zu verstehen. Dabei ist er doch der Mann, der einst so wunderbar die Eigenart von Kochkäse analysieren konnte. Der Kochkäse, so hatte er herausgefunden, symbolisiert einige der großen Mysterien des Seins. Der Kochkäse zieht sich nach der kraterbildenden Entnahme eines Teils seiner selbst gerne zusammen, als sei nichts gewesen. Eine makellose Ebene bildet er, eine, die aussieht wie unberührt. Grosche mag den Kochkäse dafür, dass der nie aufgibt und auf seiner Vollkommenheit zu bestehen scheint. Aber er sieht auch ein bisschen verächtlich hinab auf das industrialisierte Milchendprodukt. »Der Kochkäse glaubt, durch sein Zurückweichen einem erneuten Eingriff des Menschen zu entgehen. Wie dumm der Kochkäse ist«, urteilt Grosche. Dabei reize es doch gerade, das Vollkommene zu zerstören: »Deshalb heiraten doch Männer Frauen.
Deshalb werden doch nach Büchern Filme gedreht.« Grosche kann das ganz wunderbar, große Gedanken in kleine Dinge projizieren, so seine Weltsicht erklären und dabei noch saukomisch sein. »Man kann nicht beschreiben, wie groß das Trostlose ist«, sagt er: »Aber man kann sagen, wie der Kochkäse ist.« Das Wissen um die Größe des Trostlosen hilft Grosche aber auch nicht weiter, wenn er fern seiner Heimat weilt, weit weg von Paderborn, weit weg von seiner Realität. »Wenn ich in fremden Städten bin ohne meine Rituale und ohne meinen Kaffee, dann bin ich nicht in der Wirklichkeit«, klagt er. Am liebsten ist er eben einfach nur in Paderborn und steht so in der Gegend herum und schaut.
Neulich war er mal in der Hauptstadt. Das muss ganz gruselig gewesen sein. »Berlin hat mich völlig geschafft, zu edel, zu schick. Das ist da, als würde man ständig fotografiert «, sagt er. Dieser Not ist der Träumer vom Dienst prompt entronnen und geflohen in den Zoo zu den Krokodilen. Auch welche, die lange einfach nur so daliegen und die Welt auf sich einströmen lassen. Nur die Ruhe, scheint solch ein Krokodil zu sagen. Auf jeden Fall erschienen Grosche die Echsen vertrauter als die durchschnittlichen Berliner.
Nicht von ungefähr heißt deshalb wohl auch sein neues Bühnenprogramm, das am 21. Oktober beim Köln Comedy Festival Premiere feiert, »Die Wirklichkeit und andere Übertreibungen – Kurzszenen und Kleinorgien «. Mit dem tourt er durch die Lande und verteilt poetische Sonderbarkeiten unter die Leute, wie er das schon mit »Der Warmduscher- Report« getan hat und weiter tun wird. Dabei erfüllt ihn das Reisen an sich mit Grauen. Oft macht er die Augen zu, wenn er sich in große Städte fahren lässt. Zu viele Eindrücke, zu viele Bilder, zu viel von allem. Das will er nicht an sich ran lassen, und am liebsten wäre er eigentlich immer in Paderborn, wo das Leben seinen geregelten Gang geht. »Ich möchte nur noch schreiben«, sagt er dann: »Ich möchte nicht mehr in Urlaub fahren und auf Partys gehen.«
Er sagt das, aber ein paar Sätze weiter merkt er an, dass er sowieso nie auf Partys geht. Weil er nicht will und weil er nicht eingeladen wird, und wenn man ihn doch mal einlädt, dann kommt er einfach nicht. Erwin Grosche wirkt ein bisschen wie ein auf diese Welt geworfener Gast. In diesen Tagen veröffentlicht er gemeinsam mit dem Gitarristen Toto Blanke eine neue Platte. Die trägt den Titel »Der Berg« und enthält auch den Blues vom Bus. »Es ist schön, dass es die Platte mit dieser Musik gibt, aber das wird keinem gefallen«, sagt der Schöpfer. Er traut den Menschen da draußen nicht so recht zu, dass sie zurecht kommen mit all den quietschenden Gitarrenklängen, mit plötzlichen Jodelattacken und seinem gelegentlich leicht trunken wirkendem Minnegesang.
Aber auf den Erfolg der Platte ist er sowieso nicht angewiesen. Über 30 Platten und ebenso viele Bücher hat er veröffentlicht. Viele Kinderbücher sind darunter, neuerdings vermehrt solche, die sich um die Bibel drehen. Dieser Tage erscheint »Mach alles wieder gut«, ein Büchlein, für das Grosche 50 Trostgebete gesammelt und verfasst hat. »Gott des leisen So und So / Herr der stillen Welt / wo du bist, machst du uns froh / wo du fehlst, man fällt«, heißt es da in einer Strophe. Obwohl ihm die Kirche als Institution immer unheimlich war, hat der Familienvater Grosche mit 45 angefangen, in der Bibel zu lesen und dabei eine erstaunliche innere Verwandtschaft entdeckt. »Ich habe gemerkt, wie religiös meine Texte sind, ohne dass das Wort Gott drin vorkommt«, sagt er. Im Wintersemester doziert er an der Bochumer Kinderuni über das Thema »Beten«. Als Kunst will er seine Gebete nicht verstanden wissen, eher als Kunst der rechten Wahl. »Ich habe das Schlichteste genommen, was mir einfiel.« Aber auch damit wird Grosche nicht in den künstlerischen Olymp aufrücken. Sein Fahrplan sieht anders aus. Er dreht Filme für sich und die Freunde, aber als Star mag er nicht gesehen werden, auch nicht als kleiner. »Ich möchte gar nicht Roger Willemsen sein«, sagt er und weiß sehr genau, dass er literarisch sowieso zu den Underdogs zählt, allein schon des Genres wegen: »Menschen, die für Kinder schreiben, werden überhaupt nicht ernst genommen.«
Grosche lebt von der gezielten Deplatzierung. »Wo ich bin, ist meistens verkehrt«, sagt er und versucht aus dieser von ihm gar nicht als solche empfundene Not eine Tugend zu machen. »Ich möchte nicht, dass alles so wichtig ist«, fordert er. Man müsse doch nicht unbedingt etwas können, um ein glückliches Leben zu haben, sagt er: »Ich sehe nicht ein, dass man was werden muss. Wenn man nichts kann, das ist was Besonderes.«
Dann rührt er in seinem Kaffee und schaut ein bisschen verloren auf den Salat am Nebentisch. Er versteht ihn offenbar immer noch nicht, und dann sagt er ganz leise: »Das ist alles ein Versteckspiel, was ich mache.«