TEXT: ANDREAS WILINK
Ein Alter Ego des Autors Hunter Stockton Thompson, dessen Berufsbezeichnung zumeist um die Vorsilbe »Kult« erweitert wird und der unter Kollegen als »der beste Schriftsteller unter Amerikas Journalisten und der beste Journalist unter den Schriftstellern« galt, heißt Raoul Duke, ist promovierter Sportjournalist und wird in die Wüste von Nevada geschickt.
Es sind die 70er Jahre, Vietnamkrieg und Nixon befördern die Revolte, unterwegs im Chevrolet Caprice dröhnen sich Duke und ein Kumpel zu. So wie die Welt ist, »neigt man dazu, extrem zu werden«, heißt es in »Fear and loathing in Las Vegas«. Das andere Ebenbild Thompsons, der sich auch »Dr. Gonzo« nannte, und der Cowboy und Popstar der Literatur war, heißt Paul Kemp: ebenfalls Journalist und keiner, der lange bei einer Sache bleibt.
In »Rum Diary«, dem lange für verschollen geltenden, erst 2004 auf Deutsch erschienenen Roman, kommt Kemp 1959 nach Puerto Rico und kriegt einen Job bei der Daily News. Aber Arbeit ist nicht das ganze Leben, sondern füllt nur die Stunden »von Mittag bis acht«. Der Rest muss totgeschlagen werden, in der Kneipe, bei durchwachten Nächten, auf der Hummerjagd, immer gut eingelegt in Alkohol. Es ist eine Hemingway-Welt, vorgerückt um ein halbes Jahrhundert und in der Gegenkultur und dem Anti-Establishment angekommen: die Männer sind ebenso in Waffen, schnelle Fortbewegungsmittel und in ihre Schreibmaschine vernarrt, dem Trunk ergeben, in ihrer Virilität gebrochen, vom Selbstzweifel geplagt, ohne festen Wohnsitz und transzendental obdachlos. Und es geht, wie in dem entsprechenden Song und in guten Büchern und Filmen üblich, um »Somebody to love«. Wofür eine Nixe aus Connecticut (Amber Heard) einsteht.
All das kann in Bruce Robinsons zwar entspannter, sonst kaum bemerkenswerter Verfilmung Johnny Depp, der mit Thompson bis zu dessen Tod durch eigene Hand 2005 befreundet war, hinter Sonnenbrille und mit Hut gut spielen: ein karibischer Prosa-Pirat. Den Sätzen fehlt der Sound einer Harley Davidson, und sie schlagen nicht ein wie Kaliber 45. Die Bilder, schön bunt und wie folkloristisch gemalt, sind zu heiter und zu wenig verschwitzt. Es ist heiß, laut, etwas albern und leider nicht so brillant wie die Ideen, für die Hunter S. Thompson berühmt war.
»Rum Diary«, Regie: Bruce Robinson, Darsteller: Johnny Depp, Amber Heard, Aaron Eckhart, Richard Jenkins, Michael Rispoli, Giovanni Ribisi; USA 2011; 119 Min.; Start: 2. August 2012.