TEXT: KATJA BEHRENS
Nachhaltigkeit ist ein ausgesprochen populäres Konzept. Es kann sich auf ökologische und soziale Sachverhalte beziehen, kann Stadtplanung und Politik einschließen oder auch einfach eine tiefere Nachdenklichkeit im Umgang mit den endlichen Ressourcen einklagen.
Als Richard Buckminster Fuller (1895–1983) in den späten 1920er Jahren seine Visionen einer besseren, weil für alle Menschen lebbaren Welt in Erfindungen und Architekturen Gestalt werden ließ, wurde er oft genug als Spinner abgetan, als Utopist und Naivling. Das lag sicher zum Teil an seiner unorthodoxen Systematik, daran, dass er sich die Freiheit nahm, in der Wissenschaft auch spielerisch und intuitiv vorzugehen. Indes, seine Phantasien und Konstruktionen waren durchaus handfest – auch wenn sie aussehen, als kämen sie von einem anderen Stern. Denn die visionären Vorschläge gingen einher mit realistischem Ingenieurshandwerk und dem Mut zum Experiment, dem Mut, auch das Scheitern als Teil des Findungsprozesses anzusehen. Das strukturelle Koordinatensystem der Natur wurde zur Grundlage seines ganzheitlichen Denkens. Alles ist mit allem verknüpft – das war die Botschaft, mit der der Großneffe der bekannten amerikanischen Feministin Margaret Fuller besonders Naturwissenschaft und Technik herausforderte.
Nachdem der Sohn aus gutem Hause in den 1910er Jahren gleich zwei Mal aus Harvard rausgeflogen, Marinesoldat geworden, mit 32 Jahren bankrott und nach diversen Gelegenheitsjobs ohne Arbeit ist, beschließt er, anstatt seinem Leben ein Ende zu setzen, etwas zu wagen. Er beginnt, als Architekt zu arbeiten. Er entwickelt neue, futuristische Gebäudekonzepte, die sein ökologisches Denken mit dem Glauben an die Segnungen der Technik verbinden. Entwirft große runde Leichtbauten, die von Luftschiffen bewegt werden sollen, stromlinienförmige Boote und Automobile (die tatsächlich fahren) sowie Badezimmer und Wohnhäuser aus Stahl und Glas, wie das an ein Ufo erinnernde »Wichita House« in Kansas. Rechte Winkel sucht man hier vergeblich.
1929 stellt er der staunenden Welt erstmals sein »Dymaxion House« vor. Es ist die Zeit der großen Utopisten, die Zeit der Stromlinienform. Um einen zentralen Versorgungsturm herum liegen hexagonal angeordnet die Wohnräume, aufgehängt an Kabeln. Das runde Gebäude (dessen Name sich aus dynamic, maximum und tension, Spannung, zusammensetzt), wurde zwar nie realisiert, gilt aber zu Recht als Vorläufer der später so erfolgreichen geodätischen Kuppeln oder »Domes«. Diese leichtgewichtigen, freitragenden Fachwerkkonstruktionen sind nicht nur extrem stabil und preiswert, sondern auch ohne große Probleme selbst zusammenzubauen. Sie wurden der Renner, weltweit existieren heute mehr als 300.000 dieser vielseitig einsetzbaren Ballhäuser.
Nachdem Fuller 1953 eine erste Kuppel für das Hauptgebäude der Ford Motor Company in Dearborn, Michigan entwickelt hat, wird bald das U.S.-Militär sein größter Kunde. Vor allem als Radar- oder Forschungsstationen werden die Domes verwendet. Später sieht man sie auch als Notunterkünfte, als mobile Behausungen in Aussteiger-Communities oder in Science-Fiction-Filmen. Die Kuppeln basieren auf der Weiterentwicklung einfachster geometrischer Grundkörper (wie Tetraeder und Oktaeder) und sind äußerst robust. 1954 wird das Konstruktionsprinzip patentiert. Später, als Chemiker in der elementaren Modifikation des Kohlenstoffs eine ähnliche Struktur wie bei den Kuppelbauten erkannten, taufte man diese sphärischen Moleküle nach Fuller »Fullerene« oder kurz »Bucky Balls«.
Eine der bekanntesten Fuller’schen Kuppelbauten ist sicher der – inzwischen einem Brand zum Opfer gefallene – Ausstellungspavillon der USA zur Expo 1967 in Montreal: die »Biosphère«, die das Design als Lebensutopie fortschrieb. Wunderbar auch die zum Patent zugelassene Landkarte, die die Welt vom Globus und seinen Verzerrungen auf die plane Fläche bringt. Endlich ist Grönland nicht mehr so groß wie Südamerika.
Mehr als fünfzig Jahre lang war Buck Fuller damit befasst, die Probleme der Welt zu lösen (oder zumindest einige). Er widmete sich Erfindungen zur Verbesserung des menschlichen Lebens auf einem Planeten, der immer mehr zu einem unwirtlichen Ort wurde. Er wollte »mehr mit weniger erreichen«, nicht als ästhetisches Dogma verstanden, sondern als handwerklich-technisches Credo.
Jetzt haben Sir Norman Foster, sein britischer Kollege und Freund, und der Madrider Architekturprofessor Luis Fernández-Galiano eine liebevolle Ausstellung zusammengestellt, die anhand von Fotografien, Zeichnungen, Modellen und Originalkonstruktionen die Highlights im künstlerischen Leben von Richard Buckminster Fuller nachzeichnet: »Bucky Fuller & Spaceship Earth«. Mit dabei ist ein Nachbau des »Dymaxion Car #4« sowie ein schnittiges Katamaran-Paddelboot, außerdem Dokumente, die Fullers Kontakte mit der künstlerischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Die Sommer 1948 und 1949, an denen der Architekt auf Josef Albers’ Einladung hin am Black Mountain College in North Carolina unterrichtete, gehören zu den am besten belegten. In der disziplinübergreifenden, improvisierten Atmosphäre war Fuller ganz in seinem Element. Dort begegnete er neben Josef und Anni Albers, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte, John Cage, Merce Cunningham, William und Elaine de Kooning, dem jungen Künstler Kenneth
Snelson und vielen anderen. Fuller war ein begnadeter Redner, zog die Zuhörer in Bann und auf seine Seite.
Später wurde er für seine Zusammenarbeit mit dem Militär in den 50er Jahren kritisiert, noch später, in den späten 60er Jahren, aber ist dann die Zeit reif für seine Utopien einer besseren Welt. Er wird zum Guru der amerikanischen Hippie-Gemeinde und damit zum Ziel paranoider Regierungsstellen, die seine Büros durchsuchen lassen.
Und die Architektenzunft? Sie ist immer noch gespalten ob seiner visionären Entwürfe. Viele betrachteten ihn skeptisch, für andere ist er ein Held und seiner Zeit weit voraus.
Wie stark dieser Quer- und Weit-nach-vorn-Denker das geistige und künstlerische Leben seiner und unserer Zeit beeinflusst(e), dokumentiert der zweite Teil der Herforder Doppel-Schau: »Wir sind alle Astronauten«. Arbeiten von 22 zeitgenössischen Künstlern setzen sich mit den Entwicklungen und gesellschaftspolitischen Utopien Fullers auseinander, eignen sie sich an, denken sie weiter, befragen sie kritisch. So erinnert etwa Luca Lenglet mit seinem schwebenden Turm aus Panzersperren spöttisch daran, dass Fuller sich vom US-Militär sponsoren ließ. Oder zeigt der Film von Simon Dybbroe Moller die einfache Handhabung eines gefalteten Körpers, der endlos von innen nach außen gekehrt werden kann.
Das wohl faszinierendste Objekt ist Attila Csörgös großes mechanisches Marionettentheater »Untitled (dodecahedron=icosahedron)«. Der Künstler verwandelt einen an Fäden, Gewichten und Rädern befestigten Zwölfflächner aus Fünfecken in einen Zwanzigflächner aus Dreiecken. Eine magische Verwandlung,
zittrig und zielgerichtet, von der man kaum die Augen lassen kann.
Richard Buckminster Fullers geodätische Kuppel war ein Erfolg; seine vielen phantastischen Entwürfe wie etwa die Überkupplung ganzer Wohnviertel Manhattans oder die Pyramide in der San Francisco Bay aber blieben Utopien: Sie mussten technisch und ideell scheitern. Die nachhaltige Fortentwicklung unserer Zivilisation lässt sich offenbar besser in kleinen Schritten als mit den ganz großen Entwürfen vollbringen. Große Entwürfe aber bleiben sie.
Marta Herford, bis 18. Sept. 2011. Tel.: 05221/9944300. www.marta-herford.de