TEXT: ANDREAS WILINK
»Sich mit einer Sache anfreunden, setzt voraus, dass man die Sache im Übermaß betreibt.« Schreibt Oscar Wilde. Thirza Bruncken, die mit der Ironie als theatralischer Schwester der philosophischen Skepsis per Du ist, folgt ihm bei dieser Einsicht. Übermaß der Dekonstruktion und Demontage, Übermaß der Zurschaustellung der Absichten und Methoden und der Konfrontation mit den Konventionen der Konversations-Komödie bis zur vollständigen Niederlage kommunikativen Handelns.
Und das geht so. Am Ende, wenn in Oscar Wildes »Bunbury« aus Jack Worthing doch noch ein richtiger Ernst und bald ein wirklicher Ehemann geworden ist, verbietet Thirza Bruncken ihm und seinen Mitspielern den Mund. Die Darsteller drücken die Hände vors Gesicht und bringen nur noch Gestammeltes und Gepresstes hervor. Der Text erscheint zum besseren Verstehen auf einem Laufband – und trennt Sprecher und Sprache. Die Übereinkunft, sich miteinander sinnvoll auszutauschen und sei es in Floskeln und der Form halber, gerät am Theater Krefeld/Mönchengladbach total außer Façon.
Jack (Cornelius Gebert) und Freund Algernon (Paul Steinbach) sind um ihre Originalität und Individualität betrogen, die sie als Gentlemen doch für selbstverständlich halten. Sie haben sich, wenn sie an die Rampe treten, um zwei weitere Anzugträger verdoppelt – gleich gekleidet in Schwarz, mit Melone und roter Krawatte – und damit verdinglicht. Einer im Quartett ist der Butler (Daniel Minetti), der Wildes Theorien über die soziale Frage und sozialistische Utopie zum Besten gibt. Womit er sich von den amourösen Albernheiten, betreffend die Fräuleins Cecily (Helen Wendt) und Gwendolen (Felicitas Breest), distanziert, aber gleichwohl den Anschein vermeidet, ernsthaft das Politische und Ideologische erörtern zu wollen. Wäre ja auch gelacht, wenn es um etwas gehen sollte.
Dies alles ist bei dem in Oxford zum Professor für Ästhetik promovierten Dandy Wilde bereits enthalten und Teil seiner quecksilbrigen Künstler-Persönlichkeit. Hier nun verschärft, zugespitzt, in aller Konsequenz und penetrant präzise exekutiert, wobei Songs wie »Loco-Motion« und Nancy Sinatras wehmütige Ballade »Bang Bang« helfen und gleichzeitig die 1960er Jahre aufrufen. Wozu auch die dezente Op-Art der Schriftbilder gehört, die über weißen Vorhangstoff huschen und mal den Begriff »flauschig« oder nur ein »hä« und »tja« buchstabieren.
Der Spielbetrieb führt sich selbst ad absurdum: Die Lacher kommen aus der Konserve; vom Band tönen Verkehrs- und Flugzeuglärm, Vogelgezwitscher macht die Natur zum Witz; die ambitioniert aufgekratzten Akteure auf Christoph Ernsts Drehbühne mit Designer-Interieurs verbiegen sich zwanghaft in verbaler Aerobic, wippen und twisten zu Rock und Pop, klappen rhythmisch zusammen und mutieren zu Körperautomaten. Sie funktionieren wie auf Knopfdruck. Thirza Bruncken hält den Finger drauf.
Auff.: 3., 5. und 8. Juli 2012, Theater Mönchengladbach.