TEXT: STEFANIE STADEL
Er war sieben, als er sich mit seiner Mutter auf den Weg machte. Aus dem Iran ins Ungewisse: Europa. Ihr erstes Ziel hieß Paris, wo die Maschine aus Teheran Ende der 80er Jahre landete. »Das erste Bild, das fest haften geblieben ist, sah ich auf dem Flughafen dort: Die nackten Beine von einer langen Frau mit Minirock«, so erinnert sich Azin Feizabadi.
Auch anderenorts werden sie ihn überraschen – die »nackten Menschen, vor allem die Frauen«. Denn Frankreich ist nicht die letzte Station der Reise. Auf der Suche nach Asyl werden Mutter und Sohn während der kommenden Monate Halt in Holland, Österreich, Belgien machen, bis sie schließlich in Dortmund ankommen und für einige Jahre bleiben.
Inzwischen ist der kleine Junge von einst Anfang dreißig. Dem Ruhrgebiet hat er längst den Rücken gekehrt. Feizabadis neue Heimat heißt Berlin, wo er als Künstler und Filmemacher wirkt. Seine jüngste Arbeit jedoch führte ihn nach vielen Jahren noch einmal zurück zum Ort seiner Kindheit und Jugend. Die Anfrage der Kunststiftung NRW habe ihn sofort hellhörig werden lassen: Eine Arbeit für Dortmund wurde erbeten, die den Bezug zur Stadt und ihrem Museum suchen sollte. Die Verbindung zur Stadt machte die Sache besonders spannend für den Künstler – und letztendlich auch für sein Publikum. Denn das filmische Ergebnis von Feizabadis Erinnerungsreise lebt zum einen von der sehr autobiografischen Note und zum anderen von Dortmund, damals und heute.
Die Story des Films startet allerdings nicht vor Ort. Sie beginnt in Paris, wo der Junge aus Teheran angekommen war und die ersten nackten Überraschungen erlebt hatte. Eine Männerstimme aus dem Off lässt die monatelange Asyl-Odyssee Revue passieren. Aus Sicht des Siebenjährigen durch Holland, Österreich, Belgien …
Doch schwebte dem Filmemacher mehr vor als die reine Doku, das chronologische Abarbeiten der eigenen Erlebnisse. »Der Betrachter soll, wenn er den Film gesehen hat, nicht nur meine Geschichte kennen, er soll sie auch erfahren haben«, so sein Wunsch. Deshalb habe er sich entschieden, über die eigene Vergangenheit hinauszugehen. Feizabadi bringt die Gegenwart ins Spiel in Gestalt von Rusbeh Sarfaraz: 28 Jahre alt, Vollbart, Baseballkappe, XXL-T-Shirt – ein Kind der Stadt. Im Film besetzt er die Hauptrolle und übernimmt den Namen des Dortmunder Stadtpatrons Reinoldus.
Wie Azin war auch Rusbeh einst mit seiner Familie aus dem Iran hierher gekommen. Heute organisiert er Partys im »Village Club« und spielt Fußball bei Fortuna 66. Feizabadi filmte ihn in der Fußgängerzone, im Kino, im Club, beim Abhängen mit Kumpels am See – kein professioneller Schauspieler, ein Non Actor ist er, wie man sagt. Und seine Rolle vor der Kamera ist nicht klar zu definieren: Spielt er vielleicht Feizabadi oder doch eher sich selbst? Das lässt sich nicht beantworten, ist aber im Grunde auch einerlei in diesem sich über mehr als eine Stunde erstreckenden Gewirr sich kreuzender Erzählstränge. Im Hin und Her zwischen Fiktion und Dokumentation, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Bildern und erzählter Vergangenheit.
Wer sich darauf einlässt, mag hinter dem Ganzen mehr entdecken. Fragen vielleicht nach dem Wesen der Erinnerung: Wie schauen wir zurück? Wie beleben wir vergangene Geschehnisse? Wie können wir Geschichte überhaupt erzählen, fern von Fakten, und wie kann man sie erleben, ohne die Tatsachen zu kennen? Inwieweit ist Erinnerung organisch, also nicht konserviert und festgesetzt, bis ins kleinste erforscht und dokumentiert wie das Artefakt im Museum?
Eine Bemerkung Feizabadis zielt genau in diese Richtung: »Als ich meiner Mutter das Skript zu meinem Film zeigte, hat sie immer wieder protestiert: Nein, das war nicht so, wir waren doch gar nicht in dieser oder in jener Stadt«. Aber, so sein Einwand, er wolle nichts wissen von der Wahrheit. »Es ist meine Erinnerung. Es sind Bilder, die mich geprägt haben. Meine Wahrheit.«
NOCH MEHR NEUIGKEITEN VOM PROJEKT 25/25/25
Ingrid Luche putzt den Eingangsbereich des Von der Heydt-Museums in Wuppertal mit einem golden-funkelnden Vorhang heraus und setzt das Foyer so buchstäblich in Szene. »The Gold, the Night and the Noon« nennt die französische Künstlerin ihr Werk, das einen farblichen Hauch von Cabaret oder Souvenir in die hehren Hallen zaubert. Ein bisschen Glamour und Thea-tralik, wo sonst kühle Gediegenheit herrscht.
Katrin Mayer ist für ihre Arbeit »Screens« tief eingetaucht in Bielefelds Historie als Leinenweberstadt. Und noch tiefer in die Architekturgeschichte der von 1966 bis 1968 nach den Plänen des amerikanischen Architekten Philip Johnson erbauten Kunsthalle. Ganz besonders interessierten Mayer dabei die Wandpaneele – jene Hängeflächen auf den roten Sandsteinplatten. Die heute mit weißer Wandfarbe bestrichenen Rigipsplatten waren ursprünglich mit naturfarbenem Leinen bespannt. Daran will die Künstlerin erinnern, indem sie original Bielefelder Leinenstoffe auf die Paneele appliziert. Für den 3. September ist ein Künstlergespräch mit Katrin Mayer angesagt.
Ulrich Urban hat in der Kunsthalle Recklinghausen gewirkt und präsentiert seine Arbeit dort erstmals am 5. September. Passend zum Schauplatz befasst sich der Künstler mit Kohle. Vor allem interessierten ihn die chemisch-materielle Ebene des Rohstoffs und seine Wirkungen auf den menschlichen Körper. Am 14. September, 12 Uhr, wird es ein Künstlergespräch mit Ulrich Urban geben, das Katharina Sieverding mit ihm führen wird.
Azin Feizabadi im Museum Ostwall im Dortmunder U. Eröffnung: Samstag, 6. September 2014, 19 Uhr. Nach der Eröffnung wird der Film bis zum 21. September in der ständigen Sammlung zu sehen sein. Tel.: 0231 / 5024723. www.kunststiftungnrw.de