Er verschweigt nicht eine einzige Runzel. Keine Furche, keine Falte, die der Maler nicht aufs Genaueste beschriebe. Die geschwollenen Tränensäcke. Haut, die schlaff vom Kinn der alten Dame herabhängt. Auf seiner über fünf Quadratmeter großen Leinwand bringt Chuck Close das alles überdeutlich zur Geltung. Es ist die Oma der eigenen Ehefrau, die er im riesenhaft vergrößerten Frontalporträt wenig schmeichelhaft verewigt. Close benutzt dazu nicht die Spritzpistole, wie in frühen Arbeiten, und auch nicht den Pinsel. Bei »Fanny Fingerpainting« dienen dem Künstler die farbbenetzten Finger als Malinstrumente.
Egal welche Technik er wählt, gleichgültig, welches künstlerische Verfahren er gerade bevorzugt: Der Bildgegenstand bleibt für Chuck Close in den vergangenen fast 40 Schaffensjahren der gleiche. Immer fort beschreibt er das menschliche Gesicht, monströs aufgeblasen, meist frontal in Szene gesetzt. Und jedes Mal dienen ihm Fotos als Vorlagen. Zunächst verfuhr Close dabei foto- oder hyperrealistisch. Später arbeitete er mit Fingerabdrücken oder schichtete Schnipsel aus Papierbrei. Schließlich zergliederte er das Antlitz in Raster unterschiedlicher Größe.
Das Aachener Ludwig Forum für internationale Kunst bietet jetzt einen konzentrierten Blick über das Schaffen des 1940 geborenen US-Künstlers mit 27 großformatigen Arbeiten in Öl, Acryl, Graphit – eine gute Zahl. Denn sie ist groß genug, um anschaulich alle Phasen zu belegen. Und sie ist nicht so groß, dass die Gefahr der Ermüdung durch Wiederholung geboten wäre, angesichts des immer gleichen Bildgegenstandes in monumentalen Variationen.
Einige Transportkisten, die nach Aachen kamen, waren so sperrig, dass sie nur mit Mühe durch die Türen im Ludwig Forum passten. Eine Arbeit reiste aus Budapest an, eine andere aus Wien. Der überwiegende Teil aber kommt aus wichtigen amerikanischen Museen. So stehen etwa das New Yorker Museum of Modern Art und die National Gallery of Art in Washington auf der Leihgeber-Liste.
Eines der Ausstellungsstücke, noch dazu ein recht prominentes, gehört zum Aachener Bestand: In »Richard« bannte der junge Chuck Close 1969 das Konterfei des bedeutenden Kollegen Richard Serra. Cool und herausfordernd zugleich blickt der Meister uns entgegen– mehr kaltblütiger Gangster denn sensibler Künstler.
Dieses wichtige Werk aus dem eigenen Fundus bot auch den Anlass für die Werkschau. Es weckte den Wunsch, mehr zu zeigen, den Weg des Künstlers weiterzuverfolgen. Nachdem der Plan bereits auf dem Tisch lag, erfuhr Museumsdirektor Harald Kunde, dass im Madrider Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía eine Close-Retrospektive in Vorbereitung war, und bewog das Institut zur Kooperation. Eine glückliche Gelegenheit, denn allein hätten die Aachener ein Projekt dieser Größenordnung an die Wände gebracht.
Der hauseigene »Richard« hängt im ersten Raum des dreigeteilten Parcours. Denn er gehört zu den frühesten eigenständigen Arbeiten des jungen Mannes, der schon als Kind gern malte und in der siebten Klasse den Lehrer mit einem drei Meter langen Wandbild zu beeindrucken suchte. Später beschritt Close den klassischen Studienweg. Als Twen bewunderte er die getropften Abstraktionen eines Jackson Pollock und imitierte eifrig Willem de Koonings saftige Malerei. Bis sich schließlich gegen Ende der 60er sein Widerspruchsgeist regte.
Chuck Close entschied sich, einen ganz anderen Weg einzuschlagen: Zunächst verbannte er den Pinsel und mit ihm jede Spur der malerischen Handschrift. Die Spritzpistole wurde fürs Erste zur unpersönlichen Alternative. Der Künstler schwelgte nicht länger in Farben, sondern beschränkte sich auf schlichtes Schwarzweiß. Auch was den Bildgegenstand angeht, vollzog Close damals eine Kehrtwende weg von mystifizierten Abstraktionen hin zu ganz alltäglichen, ausdrücklichen Motiven, zu Gesichtern vertrauter Personen aus seiner Umgebung.
An die Stelle des spontanen Malaktes trat ein langwieriger minutiöser Arbeitprozess, in dem er sein Bild, wie er selbst sagt, in »kleine, sich addierende Informationseinheiten« aufbrach. Close: »Wenn einen das Ganze überwältigt, wenn man nicht weiß, wie man die Nase darstellen soll, muss man es eben lassen. Dann muss man die Nase auf hundert kleine Einzelteilchen reduzieren und der Reihe nach die Darstellung erst des einen Teilchens, dann des anderen lösen, ohne sich dabei groß Gedanken zu machen, und am Ende hat man dann die Nase.«
Von dieser Idee rückt Close nicht ab. Auch nicht, als er in den 80er Jahren experimentierlustig eine neue Werkgruppe einläutet. Die Finger kommen ins Spiel, sie malen, hinterlassen, gleich Stempeln, ihre Abdrücke auf dem Malgrund. Daneben entstehen nun riesige Collagen aus gleich oder unterschiedlich geformten Papiermaché-Teilchen. Man denkt an Mosaiken. Tatsächlich äußerte Close unlängst seine Faszination für römische Mosaikfußböden: »Oh wow, das Haupt eines Löwen – aus nur sieben Steinchen«, so denke man beim Blick nach unten. Und gerade, wenn man sich darauf einlasse, wenn man den Kopf als dreidimensionale Form wahrnehme, zerfalle er wieder in seine flachen Einzelteile.
Solche Bilder und Bemerkungen machen ganz deutlich, was Close als Maler bewegt: Sicher ist es nicht der Blick ins Innere, den er beim Porträtieren sucht. Niemals will er malend die Psyche seiner Modelle erforschen. Close bleibt an der Oberfläche. Nicht den Menschen seziert er, sondern dessen fotografisches Abbild.
Wundern könnte es einen da, dass der Maler für diese Forschungen immer und ausschließlich Menschen als Modelle wählt, die er sehr gut kennt. Die eigene Familie, Freunde, geschätzte Kollegen. An anderen Physiognomien habe er schlicht kein Interesse, sagt der Künstler. Auftragsarbeiten kommen für ihn deshalb nicht in Frage. Er malt Tochter, Ehefrau, Großmutter, Robert Rauschenberg, Richard Serra, John Chamberlain. Oder den Künstlerfreund Alex Katz, dessen Gesicht Close 1991 in ein flirrendes Raster aus Grisaille-Tönen auflöst.
Drei Jahre zuvor nur hatte Close eine schwere Krankheit erlitten, die ihn vom Hals abwärts lähmte und beinahe das Ende seiner Künstlerlaufbahn bedeutet hätte. Seither sitzt er im Rollstuhl – und malt, trotz allem, weiter. Mit Hilfe einer Manschette, die den Pinsel am Handgelenk fixiert und einer Art Hebebühne, die den Maler an jeden Fleck der Riesenleinwände hievt. Seine Porträts scheinen nun zunehmend freier. Das Raster wird weitmaschiger und füllt sich mit vielfarbigen Schnörkeln oder Windungen, die an Donats, Bohnen oder Bumerangs erinnern. Das fotografische Vorbild aber bleibt weiterhin wesentlich.
Manch einer sah ihn als Fotorealisten, doch diese Kennzeichnung will Close keinesfalls gelten lassen, selbst nicht mit Blick auf die haarscharfen Arbeiten der frühen Jahre. Seine Bilder seien schließlich Werke von Hand, sagt Close. »Mich interessiert die Künstlichkeit, nicht die Realität.«
Bis 2. September 2007. Tel.: 0241/1807-104. www.ludwigforum.de