Es ist ein Schlag ins Gesicht, real und im übertragenen Sinn. Das morgendliche Erwachen im Ehebett beginnt mit der Ausführung grundloser Gewalt per Hand gegen die Ehefrau, als sei es ein Ritual, dass erfüllt werden muss als Ausweis männlicher Dominanz: Ich schlage, also bin ich. Bin der Überlegene und bin der Herr im Haus. Ein Freibrief, ausgestellt von der katholischen Kirche, dem Erbe des Faschismus, der gesellschaftlichen Ordnung und Übereinkunft. Wir sind im Italien der Nachkriegsjahre. Amerikanische GIs bevölkern die Straßen Roms und senden ihre Blicke aus, als sei jede Frau eine italienische »Maria Braun«. Es gibt kein Frauenwahlrecht, keine Autonomie, dafür Ungleichheit bei Bildung und Beruf, vor Gott und der Welt. »Halt den Mund!« gilt öffentlich wie privat.
All das sehen wir in den Farben des Neorealismus, den Farben von Roberto Rossellini, Vittorio de Sica, dem frühen Fellini und Visconti: also in Schwarzweiß.
Delia (Paola Cortellesi, die zugleich Regisseurin dieses ihres Debüts ist) und ihr Mann Ivano Santucci (Valerio Mastandrea) leben mit ihren drei Kindern in einer dunklen Souterrainwohnung, wobei die Schwiegertochter auch noch Ivanos bettlägerigen Vater zu versorgen hat, der seine Patriarchen-Allüren und -Ansichten an den schnauzbärtigen Prolo-Sohn, der seine Frau misshandelt, aber die Tochter vergöttert, weitergibt. Es ist die Generation der Heimkehrer aus dem Krieg, der Gewaltanwendung gelehrt, Versagensängste ungut produziert und perpetuiert und mit vermutlich traumatischen Erfahrungen belastet hat. Das Nicht-Hinterfragen von alltäglicher Entrechtung und Demütigung, die die Frau zu ertragen hat, ist das Erschütternde dieser Familiengeschichte, gerade auch deshalb und dadurch, weil sie es mit einer Leichtigkeit präsentiert und darstellt, dass man meinen könnte, gleich biege Sophia Loren um die Ecke, um sich zum Rendezvous mit Marcello Mastroianni zu treffen.
Die Vergangenheit ist nicht vergangen
In Italien wurde »Morgen ist auch noch ein Tag« ein gigantischer Kinoerfolg mit mehr als fünf Millionen Zuschauern und Zuschauerinnen, denen der Femizid keine historisch abgelegte Tatsache, sondern akute Gegenwart ist, und die heutzutage widersinnigerweise unter einer Ministerpräsidentin Meloni ihren Status neu zu verteidigen haben. England und Frankreich folgten, und nun kann sich auch das deutsche Publikum über diese twistende emanzipatorische Früherkennung und Entwicklung zur mündigen Bürgerin amüsieren, politisch aufrüsten und berechtigt empören, dass die Vergangenheit keineswegs immer schon längst vergangen ist.
Dennoch, der Genre-Mix, der Sozialdrama und Komödie, bitteren Ernst und spielerische Ironie mischt und sich wenig darum kümmert, die porträtierten Kerle aus ihrer Prototyphaftigkeit zu holen und ihnen Eigenleben zu geben (das sie vielleicht nicht haben und gewiss nicht verdienen), ist etwas gewöhnungsbedürftig und setzt den Verfremdungseffekt dramaturgisch ein, der wiederum mit heiter plinkernder oder schmelzender und schwingender Musik und Musical-Sound untermalt wird.
Couragiert, listig, würdevoll
Denn Delia hat Mutterwitz, mit dem sie ihre katastrophale Situation, die Fehlentscheidung dieser Heirat (Liebe ist nur ein einmal gegebenes Wort) und überhaupt ihr Schicksal, das aus viel zu viel Arbeit und Aufzucht besteht, couragiert, listig und würdevoll bewältigt, betrachtet und schlagfertig kommentiert. Dabei verschwistert sie sich mit ihrer Freundin, der Markthändlerin Marisa, die ihren Mann herunterputzt, oder einer Geschäftsfrau, die sich selbstbewusst behauptet. Und lernt, dass es einen Ausweg aus der fremdverschuldeten Unmündigkeit gibt.
Dass ein Musterleben hier konsequent konsumabel gemacht worden ist, ist eine Schwäche von Cortellesis Film, die ihn stark sein lässt.
»Morgen ist auch noch ein Tag«, Regie: Paola Cortellesi, Italien 2023, 118 Min., Start: 4. April