TEXT: ANDREAS WILINK
Die Atmosphäre nimmt direkt gefangen. Bilder, Szenen, Eindrücke. Das konkret Geschilderte wird sogleich in eine emotionale Zustandsbestimmung überführt. Für Forrest, den Amerikaner in Rom, stimmt die Passform seines Lebens nicht mehr. Der Historiker und Broker kam mit seiner Frau zur Erholung nach Italien. Sie ist aber nach New York und zu den zwei gemeinsamen Töchtern zurückgekehrt. Die Ehe scheint nach acht Jahren gescheitert, als habe die fremde Umgebung einen Kurzschluss an den Kontaktstellen ausgelöst. »Rom macht reizbar«, begründet sie ihre Abreise. Rom macht aber auch reizempfänglich. Forrest bleibt – einsam, ruhelos und seiner selbst ungewiss. An der Piazza di Spagna fällt ihm ein Junge auf, der ihn finster mustert. Beim nächsten Mal spricht er ihn an – dieser Moment genügt, dass der 17-jährige Marcello seine abweisende Haltung ändert. »Lello« geht noch zur Schule und lebt bei der Familie, in der des Vaters strenge Kontrolle waltet.
»Zwei Menschen« – eine homosexuelle Liebe ohne Skandal und Pathos – erschien 1965 und dürfte ähnlich gewirkt haben wie James Baldwins im Jahrzehnt zuvor veröffentlichtes »Giovannis Zimmer«. Zwar hegt Forrest den Verdacht krimineller Absicht und promisken Verhaltens, doch sind es andere verwirrend widerstreitende Empfindungen, die beider komplizierte Beziehung bestimmen. Ihr Sex changiert zwischen Leibesertüchtigung, emotionaler Ersatzhandlung und dem Versuch, einem Mangel an Liebe zu begegnen. Forrests Wunsch nach Selbstverlust korrespondiert mit Marcellos Bewusstwerdung und bezwingend offener Verschlossenheit. Der eine wird für den anderen zum Spiegel, in dem sich das Selbstbild schärft.
Der Lilienfeld Verlag entdeckt den 1920 geborenen und Mitte dieses Jahres gestorbenen Donald Windham bereits mit dem zweiten Buch wieder: einem späteren, reiferen gegenüber dem beachtlichen Debüt »Dog Star«, das ebenfalls einen jugendlichen Ablösungsprozess schildert. Keine Romanze, eher eine Anatomie der Empfindungen und praktische Philosophie der Liebe: Die zehn Kapitel, im Wechsel zwischen der Perspektive Forrests und Marcellos, sind geschrieben in einer feingliedrigen Sprache, konzentriert und doch entspannt, nuanciert, präzise, farbig und von hoher Wahrnehmungsdichte. Dass für Forrest und Marcello die Dinge zum Ausgleich finden, scheint das Glück ihrer Begegnung zu bestätigen – ihre Trennung ändert daran nichts.
Donald Windham, »Zwei Menschen«, Roman, Aus dem Amerikanischen von Alexander Konrad, Lilienfeld, Düsseldorf, 2010, geb., circa 200 S., 19.90 Euro; Erscheinungsdatum: November 2010.