TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Ewiger Räumungsverkauf – es sind diese Teppichhäuser meist orientalischen Namens, die an den Ausfallstraßen der Städte seit gefühlt Jahrzehnten mit den immer gleichen Sprüchen werben, aber trotzdem nie zumachen: »Alles muss raus!«, »Räumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe!« Innen liegen riesige Stapel von Orientteppichen grellster Bemusterung und Färbung – ein Bodenbelagsfriedhof fern jeder visuellen Innovation oder gar Provokation.
Überhaupt haben Teppiche in Sachen Coolness einen schweren Stand. Jede noch so kleine Butze wird heutzutage mit Parkett, oder, weil billiger, mit Laminat zugebrettert. »In klinisch durchgestylten Wohnungen mit hochglanzpolierten Betonböden fühlt sich niemand wohl«, sagt Teppichdesigner Jan Kath und bietet Alternativen vortrefflichster Güte. Omas Perser war gestern, heute rockt Kath mit seinen Entwürfen die internationale Bodenbelagsszene.
Kaths Teppiche sind die radikale Neuinterpretation der Sache – mit leuchtenden Farben, ungewöhnlicher Materialbeschaffenheit und Mut zum großen Auftritt, mehr Kunst als Design. Das spiegelt sich auch in seinem Slogan »Contemporary Rug Art« und auf seiner Internetseite wieder. Dort kann man sich durch aufwändig programmierte 3D-Räume eines virtuellen Museums klicken, nur dass statt Kunstwerken Kaths Teppiche an den Wänden hängen. Auch im realen Leben, in einer großzügigen und luftigen Fabrikhalle in Bochum, präsentiert er seine Werke auf diese Weise. Aber nicht nur die Hängung zieht den Kunstvergleich nach sich – auch die Muster und Farbigkeit der Teppiche erinnern an Bilder von Gerhard Richter, Anselm Kiefer oder Josef Albers. Und dann findet sich tatsächlich doch ein »Gemälde« in Form eines Teppichs in Kaths Konferenzraum. Steht man dicht davor, sieht man erst mal nichts als geknüpfte weiße und hellgrüne Flächen, die sich erst mit einigem Abstand zu einer reduzierten Darstellung von Edouard Manets »Picknick im Gras« formen.
Von seinem »Showroom« in Bochum werden die Teppichrollen verschickt, meist versehen mit einem pinkfarbenen Aufkleber in Herzform und der freundlichen Aufforderung: »Handle with Love!« Zu Kaths Kunden gehören Unternehmen wie Boss, St. Oliver oder das »erfolgreichste französische Modelabel«, er experimentiert für Dior und Tiffany; seine Teppiche findet man in arabischen Königshäusern, in den privaten Suiten des Hotels Four Seasons in Kairo oder in Rupert Murdochs New Yorker Penthouse.
Von Bochum in die ganze Welt, und in dieser hat vor 20 Jahren alles angefangen. Da ließ er das Ruhrgebiet und das heimische Teppichgeschäft seiner Eltern hinter sich – »damals bin ich hippiemäßig durch die Welt gereist, nach Indien und Goa, einfach drauflos.« Irgendwann ist er dann eher zufällig in Nepal gelandet, traf dort Freunde der Familie, die ihn baten, als Qualitätskontrolleur in deren Teppichproduktion einzuspringen. Was Kath auch tat, und als später ein Nachfolger für die Manufaktur gesucht wurde, hob er, leicht größenwahnsinnig, die Hand. Eine gute Entscheidung, bis heute nutzt er die Erfahrung der Arbeiter und lässt seine Teppiche vor Ort produzieren – nicht nur in Nepal, sondern auch in Marokko, wo er seine Kollektion »Le Maroc Blanc«, seine Weiterentwicklung der klassischen Berber, fertigen lässt. Die einheimischen Facharbeiter werden leistungsgerecht bezahlt, was Kath das »Fair Trade«-Siegel eingebracht hat, außerdem profitiert er von deren Fachwissen. Anders als die Konkurrenz besteht er darauf, keine billige Import-Wolle aus Australien zu verarbeiten. »Das ist die Holland-Tomate unter den Wollen; sieht zwar schön aus, hat aber keine Qualität.« Dann lieber Himalaya-Wolle, die zu solchen Kunstwerken wie der »Erased Classic«-Kollektion wird. Die Motive dieser Teppiche zitieren italienische Wandbespannungen und indische Saris, sehen alt, abgewetzt und wie mit Säure übergossen aus. Kath ist fasziniert von dieser Ästhetik des Verfalls und ließ sich dafür auf den Industriebrachen des Ruhrgebiets inspirieren. Auf dem grau-monochromen Untergrund des Teppichs »Roma Vendetta« sieht es aus wie nach einem Gemetzel, dabei besteht das scheinbar herunterlaufende Blut aus roter Wolle und ist exakt, Knoten für Knoten, eingewebt. Dank komplexer Webtechnik kann man mittlerweile wie auf den Pixeln eines Fotos jeden einzelnen Knoten ansteuern, was zu diesen faszinierenden Ergebnissen führt.
Aber Kath kann auch Blümchen. Und Schmetterlinge. Oder pinkfarbene Rehe. Die findet man in seiner farbintensiven Kollektion »Gamba Mauro & Spice«, zu der auch die Teppiche gehören, die an die Quadrate von Josef Albers erinnern. Oder er entwirft eine Kollektion wie »Mauro«, deren Grundmaterial aus himalayanischen Brennnesselfasern besteht, die nach der Bearbeitung den Charakter von Wildseide bekommen.
Trotz aller Weltläufigkeit: Jan Kath wird nicht nur auf dem Teppich bleiben, sondern auch in Bochum. Hier gehen seine Kinder zur Schule, hier ist die Familie, hier hat er kürzlich ein Haus an seine Fabrikhalle angebaut. Und bald wird er in der Essener Akazienallee einen Showroom eröffnen. Neue Kollektionen gibt es auch: »Radi Deluxe«, quasi ein Remix seiner bisherigen Teppiche, in sehr mutiger Farbgebung und mit ebenso farbigen (giftgrün!) Fransen. Oder »Sliced«, die die Natur zum Vorbild hat. Querschnitte durch elegante (Halb-)Edelsteine wie Smaragd, Hämatit, Quarz und Achat. Steinplatten, die sich als Teppich entpuppen und für die Handwerker in der Produktion eine Herausforderung sind. Das Muster ist dermaßen komplex, dass fast bei jedem Knoten das Material gewechselt werden muss. Kath: »Diese natürliche Anarchie von abertausend Farbpunkten macht die Stücke so einzigartig.« Und dann zeigt er noch etwas, was man die Rache an den bereits erwähnten Orientteppich-Tempeln nennen könnte. »Pimp my Rug« heißt diese Kollektion, die eigentlich keine ist. Kath bedient sich aus den reichhaltigen Lagerbeständen der Orientteppiche, die sich zunehmend schlecht verkaufen; entfärbt diese so, dass nur das Muster erhalten bleibt, und zieht sie dann durch ein Farbbad. Auf einmal leuchten Omas alte Schätzchen in Türkis, Pink oder Orange. Rug’n’Roll!