TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Wer sagt eigentlich, dass Thomas Bernhard tot ist? Nur weil er seit 25 Jahren nicht mehr im Wiener »Bräunerhof«, vergraben hinter seiner geliebten NZZ, gesehen wurde? Weil er keine Buchseiten mehr vollschimpft oder im Vierkanthof in Obernathal nicht mehr Béla Bartók oder Prince hört, wie sein Halbbruder Peter Fabjan jüngst dem Rolling Stone erzählt hat?
In Alexander Schimmelbuschs Roman »Die Murau Identität« lebt Thomas Bernhard unerkannt auf Mallorca; ein Rentner von 83 Jahren, der sich bewusst weggestohlen hat aus der Welt, aus diesem Österreich und der öffentlichen Aufmerksamkeit. Im Buch ist es der fiktionale Journalist Schimmelbusch, der eines Morgens Reiseberichte von Bernhards Verleger Unseld in der Post findet. Datiert nach Bernhards Todesdatum im Jahr 1989, schreibt Unseld über Reisen zu seinem Autor nach Österreich, Mallorca, Montauk und New York, wo er Bernhard eine neuartige Therapie gegen dessen Lungeninfektion finanzierte, und ihm so das Leben rettete. Schimmelbusch begibt sich auf Spurensuche, trifft in New York Bernhards Sohn Esteban und schlussendlich auf den alten Meister im mediterranen Exil. Für dieses direkte Aufeinandertreffen muss man bedauerlicherweise bis zum letzten Kapitel warten, wird dann aber immerhin mit einer Bernhard-typischen Tirade über die grassierende »Kleinbürgerpest« belohnt.
»Da ich nun einmal nicht imstande war, die Menschen vernünftiger zu machen, war ich lieber fern von ihnen glücklich« – dieses Zitat Voltaires hat Thomas Bernhard seinerzeit seinem Erregungsroman »Holz-fällen« vorangestellt; nur kommt die ferne Existenz auf Mallorca in Schimmelbuschs Roman zu kurz.
Davon abgesehen ist »Die Murau Identität« ein smartes wie ironisches Buch über den Wahnsinn des Literaturbetriebs; voll übertreibender Anspielungen auf das Leben und Arbeiten Bernhards. Vor allem in den fiktiven Reiseaufzeichnungen Unselds gibt Schimmelbusch dem Affen Zucker, so beim Besuch des abgeschrammten Nachtclubs »Moonlight« in Steyrermühl, in dem Beethovens 4. Symphonie läuft und Bernhard mit dem Kopf auf dem Tresen direkt einschläft. Er lässt Bernhard seinen 65. Geburtstag 1996 in dessen tempelartiger Hacienda »Huevo del Lobo« aus weißem Marmor feiern – eine Anspielung auf Franz-Josef Murau und das Schloss Wolfsegg in Bernhards Roman »Auslöschung«. Wem das lustvolle Verschieben von Realität und Fiktion zu irrsinnig scheint, dem helfen vielleicht einige Gläser jenes Getränkes, das sich Schimmelbusch in New York bestellt: »Chardonnay Steinhof Reserve 2012«.
Alexander Schimmelbusch: »Die Murau Identität«; Metrolit Verlag, Berlin 2014, 208 Seiten, 18 Euro
Lesung am 20. März 2014 in der Bar »Zum scheuen Reh«, Köln. www.lit-cologne.de