TEXT: ANDREAS WILINK
Sie bewegen sich seitlich vom Rand des Feldes auf die Spielfläche, als würden sie eingewechselt, als sei der Tanz ein Match. Ein hartes play, in dem es um alles geht. Vor allem ums Überleben im Asphaltdschungel. Lichtinseln erhellen die Schwärze, wie wenn ein schwebender Fremdkörper sein Auge anknipst. Das Dutzend Tänzer, verstärkt um ein blondes toughes Girl, wirft sich in virtuosen kurzen Solo-Nummern auf die Bühne, verklammert sich auch mal zum Duo, seltener zu Gruppenbildern. Immer wieder Pausen, um sich zu sammeln, neu zusammenzurotten, eine Attacke zu starten.
Der Eindruck bleibt spielerisch, aber dahinter liegt eine herausfordernd aggressive, zumindest offensive Aufladung. Die jungen Kerle aus Bruno Beltrãos 1996 gegründeter Grupo de Rua, in Shirts, in kurzen oder Jogginghosen, lassen die Muskeln spielen, ballen Fäuste, fahren drohend ihre Arme aus, lauern, posieren, gehen in die Hocke, winkeln die Beine an, schlackern sich aus. Balzen und Bolzen: wehrhaft, protzend, einschüchternd, Überlegenheit demonstrierend, Führungsanspruch behauptend.
Die Kampftechnik Capoeira, die zurückgeht auf die Sklavenzeit, als die Geschundenen zu ihrer Gegenwehr als Waffe nur Hände und Füße hatten und entsprechende Techniken entwickelten, kombiniert »CRACKz« mit Streetdance und Hip-Hop. Das Gesetz der Straße regiert die Choreografie. Reine Muskelkraft ist veredelt durch Grazie, Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit. Fließend, rhythmisch, perfekt austariert und koordiniert sind die artistischen Abläufe.
Zwei wuchtige Tänzer umkreisen einander, ohne sich jedoch zu berühren. Mönchisch geradezu wirken sie, Schattenboxer, die ihre Mitte ausloten, aber aus wachem Instinkt den anderen (potenziellen Gegner) beobachten: Sublimation von Gewalt in stilisierte Form. Angewandter Nietzsche-Zarathustra. Man denkt an Stierkampf, Rudel-Regeln, Platzhirsch-Gebaren, auch an mythologische Figurationen. Zumeist ohne Begleitung von Musik (aber das könnte sich seit der Uraufführung im Mai beim Kunstenfestival des Arts in Brüssel noch ändern), höchstens, dass kurz einmal ein Jazz-Saxofon round midnight den Blues singt, läuft die physisch packende Choreografie ab – bis zum Schlussbild eines Septetts, das sich abwehrbereit in Position bringt. Frontal sich in den Hüfen wiegt, die Brust heraus drückt und die Hände ineinander klatscht. Beat ist!
24., 25., 31. August sowie 1. September 2013, PACT Zollverein, Essen. www.ruhrtriennale.de