TEXT: INGO JUKNAT
Einen Hang zu Verschwörungstheorien kann man Adam Curtis nicht absprechen. In seinen Filmen geht es oft um einsame Strippenzieher, die – unbemerkt von »den Massen« – Geschichte manipulieren. Edward Bernays ist so einer. Der Neffe von Sigmund Freud spielt die Hauptrolle in »The Century of the Self«, Curtis‘ berühmtestem Dokumentarfilm. Er erzählt davon, wie »die Mächtigen« im letzten Jahrhundert die Theorien Freuds verwenden, um den Menschen erst Waren, dann Politik anzudrehen. Schlüsselfigur dieser Manipulation sei Bernays. Er gilt als Pionier der Public Relations, das Life-Magazin wählte ihn unter die »100 einflussreichsten
Amerikaner des 20. Jahrhunderts«. Heute sei er »fast völlig unbekannt«, heißt es im Film. Das kann man zumindest bezweifeln. Sicher ist, dass Bernays ein Standardwerk über Propaganda geschrieben hat, als das Wort noch keine Goebbels’schen Konnotationen hatte. In dem Buch bezeichnet er die Beeinflussung der öffentlichen Meinung als legitime (und notwendige) Handlung demokratischer Regierungen. Einfach formuliert: Politik muss verkauft werden. Gefahren sah Bernays durchaus. Ein PR-Berater »darf niemals die Pflichten gegenüber einer Gruppe vor die Pflichten setzen, die er gegenüber der Gesellschaft hat.«
Aber werden wir heute überhaupt noch von Regierungen beeinflusst? Adam Curtis ist sich nicht mehr sicher: »Ich glaube, wir haben in den letzten 20, 30 Jahren eine Wende erlebt – von einer regierten Welt hin zu einer, die gemanagt wird.« Sein Lieblingsthema sei »die Art und Weise, wie Macht in der Gesellschaft ausgeübt wird«, hat der Filmemacher einmal gesagt. Das neue Projekt für die Ruhrtriennale ist da keine Ausnahme. Diesmal geht es um die Macht von Bildern und Tönen aus der Vergangenheit. »Wir sind umgeben von diesen Collagen, die den Blick auf die Zukunft verstellen. Sie vermitteln uns die Illusion, dass wir in einer freien und wunderbaren Welt leben. Dabei ist es eigentlich eine sehr statische.«
Allzu viel will Curtis noch nicht verraten. Fest steht, dass die Show in der Duisburger Kraftzentrale die »Halluzination« dieser historischen Bild- und Soundschnipsel auf die Spitze treiben will. Die Methoden, die kritisiert werden, sind gleichzeitig Mittel der Kritik. Elf Monitore bombardieren das Publikum mit Video und Ton, dazu läuft die Musik von Massive Attack. Live eingespielt bzw. live gesamplet. Ein Teil der Sounds sind Fundstücke aus Archiven: Da fließen Songs von Barbra Streisand mit sibirischem Punkrock aus den 80er Jahren und Massive Attacks eigenen Stücken zusammen. Um das Spektakel zu komplettieren, hat Curtis Unterstützung von Es Devlin angefordert. Die Bühnen- und Kostümbildnerin ist in der Hochkultur und im Pop gleichermaßen zuhause. Die größten Opernhäuser der Welt zählen ebenso zu ihren Kunden wie Kanye West oder Jay Z, für deren Konzerte Devlin Installationen und Outfits beisteuerte. Zuletzt war sie an der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in London beteiligt. Wie bei den Bühnenshows, die sie für Popstars konzipiert hat, kommen in der Kraftzentrale auch Tänzer zum Einsatz.
Zentral für die Aufführung bleibt jedoch die Zusammenarbeit von Adam Curtis und Robert del Naja. Die Initiative ging von dem Massive-Attack-Sänger aus. Ob er nicht an einem neuen Kunstprojekt – halb Film, halb Konzert – mitmachen wolle, hatte er den Filmemacher gefragt. »Ich fühlte mich geschmeichelt«, erzählt Curtis. Die Kombination der beiden Künstler ist weniger kurios, als sie scheint. So unterschiedlich ihre Medien sind, so gut passen ihre Arbeiten zusammen. Curtis’ Filme setzen sich häufig aus suggestiven Schnipseln zusammen (so sehr, dass auf Youtube schon ein Video existiert, das diese Methode parodiert), während Massive Attack Songs aus atmosphärischen Samples bauen. Theoretisch kann man die Ruhrtriennale-Aufführung auch als ungewollte Kritik an dieser Arbeitsweise sehen. Gerade Curtis ist bekannt dafür, obskures Archivmaterial in neue Kontexte zu setzen und mit Bedeutung aufzuladen – also genau die Halluzination zu liefern, die von ihm kritisiert wird.
Allen Botschaften zum Trotz ist die Show in Duisburg nicht als reines Kopfkino gedacht. »Es ist eine Art politisches Entertainment«, erklärt Curtis. »Lustig, zum Teil. Aber auch furchteinflößend.«
Massive Attack V. Adam Curtis, 29.-31. August 2013, Kraftzentrale Landschaftspark Duisburg-Nord. www.ruhrtriennale.de