Das Frankreich der Kunstgeschichte ist ein Ort, an dem die Künstler in ihren Ateliers vom Impressionismus bis zum Surrealismus die Stile prägen, engagierte Händler in ihren Galerien auch schwierigste Kunst fördern und ein großer Sammler-Kreis sich letztlich doch immer vom relevanten Zeitgenössischen überzeugen lässt. Offensichtlich sieht die Realität dieser Tage anders aus. Wenn Frankreichs Premierminister der bedeutendsten Kunstmesse seines Landes, der Pariser FIAC, einen Besuch abstattet, bringt er Versprechen mit, die sich »Maßnahmen zur Verbesserung der Lage« nennen und, so Dominique Villepin, »Frankreich wieder zu einem der lebendigsten Zentren für zeitgenössische Kunst« machen sollen. Das meint fiskalische Erleichterungen wie die Chance, mit Kunst-Schenkungen Erbschafts- oder Vermögenssteuer auszugleichen.
»Ein französischer Bourgeois der Provinz hängt sich eben immer noch am liebsten irgendein Gemälde des 18. Jahrhunderts in seine Räume«, beklagt Gilles Fuchs die Situation.Der Sammler muss es wissen, denn er ist Präsident der Association pour la Diffusion Internationale d’Art Français, einer Gemeinschaft, die sich der Verbreitung französischer junger Kunst verschrieben hat, vor allem auch im eigenen Land. Jenseits des Rheins sieht der Collectionneur dagegen einen Kunstmarkt, der gierig das Neue aufnimmt, zu profilierten Sammlungen fügt und rasch auch seine Identität als Kunstfreund kommuniziert.
Während eines Kolloquiums zum Auftakt des Projektes »Des deux côtés du Rhin – Auf beiden Seiten des Rheins« tauschten sich zwei Tage lang internationale Experten zum Thema Sammeln aus. Eine Doppelschau mit Arbeiten der Fonds régionaux d’art contemporain (FRAC) war Anlass dieser Diskussion zwischen Kuratoren, Kritikern, Politikern, Künstlern und eben Sammlern. Eine Reise, die auch in Problemzonen der aktuellen Museumslandschaft führte (wie wird man in Zeiten drastisch gestauchter Ankaufs-Etats mit potenten Sammlern umgehen?). Die Fälle der Flick-Sammlung im Hamburger Bahnhof oder der Abzug bedeutender Arbeiten aus dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst, die ohne Wissen der Öffentlichkeit und der Künstler keine Ankäufe, sondern lediglich befristete Dauerleihgaben waren, belegten die Dringlichkeit, mit der Museen sich um frisches Geld und auch um einen runderneuerten Kodex bemühen sollten. Doch in Frankreich ist offensichtlich weniger die Massivität oder Raffinesse der Sammler das Problem, immer wieder ging es um Grundfragen der Vermittlung: Wie bringt man zeitgenössische Kunst überhaupt an den Mann? Eine historische Antwort war die Gründung der FRACs anfangs der 80er Jahre, als Kulturminister Jack Lang seinem Präsidenten gleichmäßig über das Land verteilt 24 regionale Kunstzentren abtrotzte. Vorbei an allmächtigen Museumsdirektoren und gewachsenen Strukturen sollten sie vor allem zeitgenössische Kunst ans Publikum bringen.
Die Finanzierung war einfach, was die Region an Mitteln aufbrachte, wurde von Paris aus verdoppelt. Ein durchschlagendes Konzept, das dazu führte, dass in Bibliotheken, Verwaltungszentren und Schulen mit einem Mal junge Kunst gezeigt wurde; Atelierstipendien, Ausstellungen und vor allem die Ankäufe pumpten Geld in die Kunstszene. So entstand ein staatlicher Kunstbesitz, der sich zum Jubiläum des Programms im Jahr 2002 ohne Übertreibung als größte Sammlung zeitgenössischer Kunst weltweit bezeichnen durfte: 17.000 Werke von über 4.000 Künstlern wurden von unabhängigen Kommissionen ausgewählt. Eine Kollektion, in der sich die »Bandbreite französischer und internationaler Kunst der vergangenen 30 Jahre repräsentiert «, heißt es stolz im Katalog einer Doppelschau, zu der sich erstmals das Museum Ludwig und die Kunstsammlung K21 zusammentaten. Beide Häuser durften aus dem Bestand der FRACs auswählen. Die Resultate heißen »Ambiance« in Düsseldorf und »Mouvement« in Köln. Wobei man die Titel nicht als allzu verbindliche Überschriften verstehen sollte.
»Ambiance« bedeutet zwar durchaus, dass Yori Kusamas »Dots Obsession (Infinity Mirrored Room)« als überwältigend getupftes, rotweißes Spiegelkabinett neben einer sanft illuminierten Sitzsack-Lounge der Britin Angela Bulloch und einem kalt beleuchteten Raum von Dominique Gonzales-Foerster im Zentrum der Ausstellung im Untergeschoss des Ständehauses einrichtet. Der weich formulierte Zusammenhang wird aber auch von Ugo Rondinones grünweiß geringeltem Kreis, ganz konventionell auf Leinwand gepinselt, nicht überstrapaziert oder von einem drastisch verfärbten Schwarzweiß-Foto des Albaners Anri Sala. Der Rundgang zerfällt in viele White Cubes, innen verdunkelten Boxen, in denen so unterschiedliche Arbeiten wie »Forever and Ever«, ein Film der Niederländer Jeroen de Rijke und Willem de Rooij über die Traumstätten Bollywoods oder die dramatische Übereck-Detonations-Projektion »Les Explosions« gezeigt werden. Eine kleine Lounge neben den Bullaugen zum Schwanenspiegel gilt zudem der Entwicklung von Ambient-Musik seit Eric Satie. Die Kuratoren haben offensichtlich versucht, das Ausgewählte zu einem sanften Fluss zu vereinen.
Die Hängung überlappt sich schmiegsam, wenn in unmittelbarer Nähe zu Heimo Zobernigs vielfach geborstenem Riesenspiegel sich ein ganzes Gewölk von metallisch silbrigen Glockenspielen zum »Sans titre (le Carillon d’après ›Dream‹ de John Cage)« zusammenzieht wie ein latentes Gewittergrummeln oder Liam Gillicks von der Decke hängende »Projected Location Platform # 1-6« sich mit einer Reihe von Fotos von Philip-Lorca di Corcia verschränkt.
Rheinaufwärts sieht es musealer aus, direkter und weniger moderiert darf die Kunst aufeinanderprallen – mit häufig erstaunlich stimmigen Ergebnissen. Simon Starling hat sein »Work Made ready for Kunsthalle Bern« auf zwei Podeste ausgestellt, das eine trägt die Kopie eines Eames-Bürostuhles, das andere sockelt ein Aluminiumfahrrad auf. Zwei Objekte, die ein Bäumchen-wechsel-dich aufführen, denn für den Sessel schmolz der schottische Künstler ein Fahrrad ein, und das Rad goss er aus dem Aluminium eines Designklassikers. Dass zwischen den beiden Sockeln jetzt ein gasgefüllter roter Luftballon des Schweizers Roman Signer aufsteigt, dessen Schnur durch ein Loch im Boden in das untere Stockwerk führt, irritiert, erhöht aber die Neugierde auf Zusammenhänge und Gegensätzlichkeiten.
Die über drei Etagen ausgestreute Schau findet ihre Mitte wahrscheinlich am ehesten in Chris Burdens »Another World«, einem buntlackierten Modell des Eiffelturms, an dem wie an einem Kettenkarussell zwei Spielzeugschiffe befestigt sind. Regelmäßig fliegen die Boote den Besuchern um die Ohren: ein Mouvement, das genauso spielerisch das Thema akzentuiert, wie die Fahnen in Markisenstreifen am zehn Meter hohen Mast von Daniel Buren, die vor dem Hauptbahnhof aufgepflanzt wurden. Die »Elsternfalle« von Andreas Slominski scheint dagegen vor allem voll latenter Bewegung; als umgedrehter Korb stützt sie sich auf einen Stock, bereit zuzuschnappen und tatsächlich im abendlichen Dunkel eines Seitenlichtsaales fast unsichtbar.
Dass in der französischen Provinz tatsächlich Kunst auf der Höhe ihrer Zeit gesammelt und ausgestellt wird, wird nun im Rheinland anschaulich. Dass die Kommissionen dabei tatsächlich zuweilen einen sperrigen Geschmack entwickeln und pflegen dürfen, spricht für die doch eigentlich zutiefst bürokratisch organisierte Kunstförderung. Vor allem im Museum Ludwig wird mit Arbeiten wie den »Ten Events Glasses« von George Brecht, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer gleichzeitigen Werkschau des großen Fluxus-Pioniers direkt an die Kunstgeschichte anknüpfen können, die außerordentliche Qualität und Originalität der inzwischen teilweise spezialisierten Sammlungen deutlich – wie auch in schönen Arbeiten von Raymond Hains, Jacques Villeglés und Robert Filliou.
Eines wird offenbar: In Frankreich dürfen die Kommissionen großzügig, mutig und nachhaltig ankaufen und dabei auch eigene Schwerpunkte setzen. Die FRACs können Anstoß sein, den Stellenwert der Bildenden Kunst innerhalb der öffentlichen Kulturförderung wieder höher zu bewerten. Dass in der Bundesrepublik mit ihren föderalen Strukturen und einer historisch gewachsenen reichen Szene mit bürgerschaftlich getragenen Kunstvereinen, öffentlichen Kunsthallen und musealen Sammlungen des Zeitgenössischen das französische Fördermodell nur in Details zur Blaupause gereicht, steht außer Frage.
Doch es geht den deutschen Institutionen und der Verwaltung zumeist nur noch um Bestandssicherung; eine vergleichbare Anstrengung der Politik wäre ein Novum. Hierzulande sind Kunstmessen nicht der Rahmen, in dem das Staatsoberhaupt auftritt, schon gar nicht, um etwas zu verschenken. //
Bis 12. Februar. Katalog 25 Euro. Tel.: 0211/8381600, www.kunstsammlung.de sowie 0221/221-26165, www.museenkoeln.de/museum-ludwig