TEXT: ANDREAS WILINK
Zwei »Oscars« in elf Jahren kann die Kölner Hochschule für Medien auf ihrem Konto verbuchen. 1997 gewann Raymond Boy als Absolvent der KHM den sogenannten »Studenten-Oscar« für »Ein einfacher Auftrag«. Vor drei Wochen hat Reto Caffi in Beverly Hills die Trophäe, offiziell Student Academy Award, in Empfang genommen. Sein Abschlussfilm »Auf der Strecke« ließ die nominierte Konkurrenz aus 29 Ländern hinter sich. Der 1971 in Zürich geborene Caffi, der das Postgraduierten-Studium Fernsehen/ Film 2004 in Köln begonnen hatte, steckte eineinhalb Jahre Zeit in das auf 35 mm gedrehte »Strecken«-Stück, während der ihn seine Professoren Frank Döhmann, Horst Königstein und Andreas Altenhoff betreuten. Sein »Oscar« ist kein Einzelkind: Caffi hat für seine vorangegangenen Kurzspielfilme mehr als 30 Preise eingesammelt und mit seinem jüngsten Werk nicht nur in Los Angeles, sondern schon auf internationalen Festivals, etwa in Clermont-Ferrand, Krakau, Babelsberg, Lünen und im amerikanischen Aspen reüssiert.
Der Schweizer ist nicht der einzige Renommier-Kandidat der KHM. Wir könnten auch von Hans Weingartner sprechen, dessen Hochschul-Schlussarbeit »Das weiße Rauschen« viel Aufmerksamkeit bekam. Und mit dem 31-jährigen, aus Bochum stammenden Daniel Burkhardt stellt die Hochschule zudem den soeben bekannt gegebenen 13. Marler Video-Kunst-Preisträger. Der Schüler des experimentellen Filmemachers Matthias Müller wurde, nachdem ihm im Jahr zuvor bereits in Marl der Sonderpreis zugesprochen worden war, für seine digitale Bildkomposition »Rauschen und Brausen 1« prämiert.
Offenbar lohnt der Blick auf die 1990 gegründete, interdisziplinär ausgerichtete KHM, an der zirka 330 Studierende im Fach »Audiovisuelle Medien« das Diplom machen können, dabei sehr projektbezogen arbeiten und Ergebnisse erzielen, die an Professionalität arrivierten Künstlern häufig in nichts nachstehen.
Aus Anlass der Tage der Offenen Tür, die Mitte Juli mit Präsentationen der Studierenden stattfinden, stellen wir im folgenden die beiden jüngst dekorierten Filme vor sowie eine weitere filmische Installation von Jens Pecho, die beim Rundgang zu sehen sein wird.
EINEN AUGENBLICK
»Auf der Strecke« von Reto Caffi
Man möchte den Titel um ein Wort ergänzen, und so ist es wohl auch gemeint: »Auf der Stre- cke« – bleiben. Die Strecke, das ist eine S-Bahn-Linie in einer Schweizer Stadt. Eines Abends wird während der Zugfahrt ein junger Mann von drei Typen zu Tode geprügelt. Es gibt einen Zeugen, der, als die Auseinandersetzung eskaliert, den Waggon bei der nächsten Station verlässt. Nicht aus Feigheit, eher aus opportunistischer Eifersucht. Er hält das Opfer für einen Nebenbuhler, den Freund einer Arbeitskollegin, in die er verliebt ist. Beider Streit hatte er zuvor beobachtet, die Beziehung des Paars aber fehlinterpretiert. Der junge Mann ist der Bruder, nicht der Liebhaber von Sarah. Am nächsten Tag erfährt er von seinem Tod. Unterlassene Hilfeleistung.
Reto Caffis 27-minütiger Spielfilm – eine motivisch klar entwickelte, perfekt erzählte Geschichte – ist eine subtile Studie über das Schau- en, fixiert auf die Person eines Warenhausdetektivs. Und ist das in seiner Kürze überraschend intensive, emotional tief lotende Psychogramm der Hauptfigur, seiner Gewissensnot und Schuldgefühle. Ein Mann, der alles im Blick haben muss, der von seinem Kontrollraum aus über Monitore die Verkaufsflächen beobachtet und Ladendiebe dingfest macht. Immer wieder sucht seine Videokamera die Buchverkäuferin Sarah, zoomt zu ihr hin, nimmt sie in den Fokus. Wir bleiben nah an den Gesichtern von Roeland Wiesnecker und Catherine Janke. »Die Augen verraten alles« sagt er, Sarah kontert später mit: »Hier sieht man wirklich alles.« Aber beide übersehen etwas. Der Kontrolleur, der zum Voyeur wird (oder ist es umgekehrt?), registriert eine Situation, aber zieht die falschen Schlüsse. Am Ende richtet der »Peeping Tom« wieder die Kamera auf Sarah, die den unsichtbaren Übergriff dennoch auf ihrer Haut zu spüren scheint. Es ist, als würden sie sich über die Distanz hinweg ansehen und doch »das Menschenrecht des Auges« (Aby Warburg) betrügen. Diesem Augenblick ist kein Glück beschieden.
EINE LANGE WEILE
»Rauschen und Brausen I« von Daniel Burkhardt
Das Haus steht da im leeren Raum wie eine Skulptur, turmhoch, schmal, mit zahllosen Stockwerken, die sich wie Waben staffeln; die Fassade, durch umlaufende Balkone wie gezahnt, wird hier und da aufgelockert von einer roten Markise, die der gleichförmigen Frontfläche eine Variation zufügt. Das Panoramabild in Beton, begleitet von einem dumpf-hellem Grundton (Komposition: Gerriet K. Sharma), hält sich eine kleine Weile, dann addieren sich links und rechts gleich aussehende Gebäude hinzu – aus drei werden fünf werden sieben werden neun werden elf usw. Das Einzelobjekt, monolithisch schroff herausgehoben, mutiert in einem rücklaufenden Zoom, multipliziert, distanziert und anonymisiert sich und verschwindet hinter der seriellen Reihung, bis nur noch eine Struktur grauer Streben und Streifen wie für eine minimalistisch entworfene Tapete übrig bleibt.
Die Statik des Hauses aber wird gleichzeitig dynamisiert und gebrochen durch die Bewegung des Vordergrunds. In nächster Nähe zur positionierten Kamera pulsiert ein unaufhörlicher Verkehrsstrom, kreuzt unseren Blick, formiert sich flimmernd zum Laufband, schafft farbige Lineaturen oder huscht und würfelt wie Kinderspielzeug, wenn mit Reklameaufschriften bedruckte Autos das Objektiv passieren. Es ist, als kombiniere sich hier Tatis »Traffic« mit den utopischen Hochstraßen aus Fritz Langs »Metropolis«. Die Farbelemente und -Pigmente scheinen das Bild zunächst aufzulockern, dann es zu löchern und aufzulösen. Der gesamte nur knapp fünfminütige Vorgang von Daniel Burkhardts Videoloop variiert vom Konkreten zum Abstrakten, gleicht dem wimmelnden Hin und Her von Weberschiffchen, die ein horizontales Muster vor der Vertikale entwerfen. Der präzise erfasste Gegenstand ist in künstliche Fernen gerückt, dort wohin uns der Gleichlauf und Irrlauf der zweiten oder dritten Moderne und einer urbanen Monokultur katapultiert hat.
HÖRDENKMAL
»Medley« von Jens Pecho
Man gerät unter Beschuss. Die Munition liefern 143 verschriftlichte Musikfragmente. Die Kanonade der Four-Letter-Words stammt aus Songtexten und bildet – arrangiert und montiert zum Endlosband – eine Verkettung homophober Inhalte. Unter einem Medley stellt man sich ja eher den hübsch komponierten Zusammenschnitt und -klang bekannter Musikstücke vor. Dass Jens Pecho seinem Videoloop diese neutral harmlose Bezeichnung gab, lockt auf die falsche Fährte. Umso irritierender, dann die Weiß auf Schwarz notierte Demagogie lesen zu müssen, begleitet von dem typisch diffus martialischen, machohaften Sound: »faggots«, »sissies«, »queer«, »fuck« sind die dominierenden Vokabeln des vulgär-rabiaten Raps, dessen indoktrinär hämmernde, indes sich gern als fun tarnende Parolen so recht erst in der Massierung zum Ausdruck kommen und ihr schwulenfeindliches Aggressionspotenzial erkennen lassen.
Als Hörmal bildet »Medley« gewissermaßen die Fortsetzung, Ergänzung und Gegenführung zu dem vor kurzem erst im Tiergarten eingeweihten Berliner Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten homo- sexuellen Männer und Frauen: Wo auf dem Video der von dem dänisch-norwegischen Künstler-Duo Michael Elmsgreen und Ingar Dragset entworfenen Betonstele ein sich küssendes männliches Paar zu sehen ist, dröhnt uns in Jens Pechos Belastungsprobe das ewig gestrige – und leider vermehrt wieder heutige – Lied entgegen.
Tage der Offenen Tür in der KHM, 16. bis 19. Juli 2008, www.khm.de
13. Marler Video-Kunst-Preis; Ausstellung bis 10. August 2008 im Skulpturenmuseum Glaskasten Marl; www.marl.de