TEXT UND INTERVIEW: STEFANIE STADEL
Ältere Herren, die den Wilden Mann markieren – für ihn kein schöner Anblick. Wenn man ein gewisses Alter erreicht habe, könne man nicht mehr kreischen, findet Albert Oehlen. In den 80ern machte er Furore mit kernigen Sprüchen und provokanten Kunststücken. Oehlens »Selbstporträt mit verschissener Unterhose und blauer Mauritius« von 1984 kann als kultiges Schlüsselwerk der rotzig-radikalen Jahre gelten. Es war die Zeit des Punk, und Oehlen probte zusammen mit Freunden wie Werner Büttner oder Martin Kippenberger eifrig die Pose des Künstler-Rebellen.
Inzwischen ist er 55, sicher kein älterer Herr; aber weit weg vom angry young man. In Hagen zeigt Oehlen jetzt Arbeiten der vergangenen zwei Jahre. In spontan anmutenden Abstraktionen, die sich zuweilen mit Werbe-Plakaten vereinen, setzt er fort, was ihn eigentlich schon seit Jahrzehn-ten umtreibt: Die malerische Untersuchung dessen, was eigentlich ein Bild ausmacht.
Als Sohn eines Designers kam er 1954 in Krefeld zur Welt. Sein Berufsleben begann Albert mit einer Lehre zum Verlagsbuchhändler in Düsseldorf. Danach setzte er sich nach Berlin ab, zog nachts durch die Kneipen, jobbte am Tag und lernte nebenbei den Jurastudenten Werner Büttner kennen. Beide zusammen gingen 1977 zum Kunststudium bei Sigmar Polke nach Hamburg.
In einer Zeit, da die Malerei als absolut gestrig galt, ent-schied sich Oehlen für Pinsel und Leinwand. Allerdings nicht, weil er so gern malte, sondern weil er die Kritik am Gemälde nicht von außen betreiben wollte. Es ging ihm darum, die Malerei mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Seither hat Oehlen vieles ausprobiert – die Abstraktion, Kunst per Computer, ganz graue Bilder, Werbe-Plakate auf der Leinwand, Malen mit den Fingern.
Inzwischen betreibt er seine Experimente zurückgezogen in der Schweiz. Genauer in Gais, ein hübsches Örtchen im Appenzeller Land. Dort lebt und malt der Familienvater. Letztes Jahr präsentierte er seine Werke daheim im Museum am Dorfplatz.
Größere Bühnen fand Oehlen zuletzt etwa in London, Neapel, Paris. Nun ist Hagen an der Reihe. Alexander Klar, Kurator und Direktor des Emil-Schumacher-Museums, lud den Maler ein, weil er in seinen Werken Parallelen zu Schumachers gestisch-expressiver Malerei seit den 50er Jahren sah. Allerdings ist der gemeinsame Nenner kleiner, als man denken könnte. Wer Oehlen kennt, weiß, dass in diesen Bildern nicht alles so spontan ist, wie es scheint.
K.WEST: Herr Oehlen, wie kommt es zu den Plakaten in Ihren jüngeren Bildern?
OEHLEN: Auf der einen Seite habe ich mir immer einen Pop-Aspekt gewünscht. Das war ein Anlass, mich mit dem Material zu beschäftigen – also die Plakate zu sammeln. Aber im Wesentlichen geht es darum, dass sie eine Stimmung in das Bild hineinbringen. Und zwar so eine trashige, schrottige Stimmung, die Werbung ja oft auslöst. Natürlich hat es auch mit dem Widerwillen zu tun, den man gegen diese Werbung empfindet. Auch darum geht es in den Bildern.
K.WEST: Reagieren Ihre Übermalungen auf Formen, Farben, Motive der Plakate?
OEHLEN: Nein, es sind eigentlich zwei Elemente, die im Bild nebeneinander stehen. Die Übermalungen bedeuten keine Aggression, ich will nichts zumalen. Plakat und Malerei sollen zusammen das Gemälde ergeben
K.WEST: Neuerdings lassen Sie manchmal die Plakate weg.
OEHLEN: Wenn sie nicht nötig sind … Ich habe eben nach einer Weise versucht, davon wegzukommen.
K.WEST: Sie machen aber eigentlich genau das Gleiche wie vorher, nur ohne Plakate?
OEHLEN: Ja, das ist richtig. Eigentlich ging es mir nur darum, ein abstraktes Gemälde unter neuen Voraussetzungen zu machen. Also unter den jetzigen, gegenüber denen vor 50 Jahren.
K.WEST: Wie viel Plan, wie viel Überlegung steckt eigent-lich dahinter?
OEHLEN: Viel Überlegung, wenn auch nichts Kompliziertes. Es sind zunächst Vorsätze, wie das Bild anzulegen ist. Was ich davon erwarte. Und dann besteht der Malakt auch zu 90 Prozent aus Überlegung – nicht aus Action. Auch wenn manchmal Action stattfindet, besteht doch der Hauptteil der Arbeit darin abzuschätzen, was man hat, was das bedeutet, und was man daraus machen will.
K.WEST: Wie lange arbeiten Sie an einem Bild?
OEHLEN: Es gibt die Zeit, in der tatsächlich ein Pinsel über die Leinwand rauscht – das ist natürlich sehr wenig. Aber ich habe das Bild über Monate in meinem Blickfeld, immer unter Beobachtung – ob ich nun dabei Musik oder die Nachrichten höre, oder ob ich male.
K.WEST: Es hängt also über einen langen Zeitraum im Atelier.
OEHLEN: Ja. Ich habe dort zwei, drei, manchmal vier Bilder, mehr nicht. An denen arbeite ich, wenn mir etwas einfällt, oder ich beobachte sie eben.
K.WEST: Nun sieht das fertige Werk ja fast immer aus, als sei es ziemlich schnell entstanden. Ist das Absicht, soll es spontan anmuten? Oder ist Ihnen das egal?
OEHLEN: Vielleicht entspricht es ja meinem Schönheitsideal – frisch, locker, spontan. Nun kann man sich ja auch bei einem Buch vorstellen, dass es sich locker liest, obwohl es eigentlich sehr mühsam zusammengeschrieben ist.
K.WEST: Gibt es Zusammenhänge zwischen Ihren ganz frühen und den heutigen Werken? Gedanken oder Überlegungen von damals, die heute noch aktuell für ihre Kunst sind?
OEHLEN: Am Anfang war ich auf Rempelei aus. Hatte aber noch nicht alle Möglichkeiten ausprobiert. Das lernt man dann im Laufe der Zeit. Manchmal erinnert man sich an die Vorsätze von damals – aber man hat ja doch sein Werkzeug in der Zwischenzeit anders zurechtgelegt.
K.WEST: Was halten Sie von der Bezeichnung Bad Painting für Ihre frühen Arbeiten?
OEHLEN: Der Begriff gefällt mir. Natürlich ist Schlecht-malen nichts, was sehr lange trägt. Niemand kann auf Dauer nur rumpöbeln. Ich denke, wenn man wirklich immer nur Quatsch macht, dann fliegt es irgendwann auseinander.
K.WEST: Mit Ihrem Bad Painting haben Sie einst versucht, die Malerei in Frage zu stellen, sie mit ihren eigenen Mitteln anzugreifen oder zu erniedrigen.
OEHLEN: Das ist richtig. Ich wollte gegen den Status quo angehen. Das, was sich uns damals als Malerei gezeigt hat. Was gelobt wurde und Geld brachte. Das waren natürlich nicht Polke, Richter oder Konzeptkunst. Da waren ja auch jede Menge mittelmäßige Leute unterwegs.
K.WEST: Ein großer Schritt, vielleicht sogar ein Bruch zeichnet sich in Ihrem Œuvre Ende der 80er ab. Weg vom plakativen Motiv hin zur abstrakten Malerei. Wie kam es dazu?
OEHLEN: Das hatte ich mir schon länger gewünscht und vorgenommen. Ich schob es vor mir her. Dann bin ich nach Spanien gegangen. Zusammen mit Martin Kippenberger habe ich mir ein Haus gemietet. Wir beide wollten dort in der Abgeschiedenheit etwas Neues anfangen und uns dabei gegenseitig über die Schulter schauen. Da habe ich es schließlich geschafft.
K.WEST: Zwischen diesen frühen abstrakten Bildern und den Fingermalereien in Hagen gibt es ja visuell deutliche Bezüge. Nur dass die neuen Bilder auf weißem Grund sitzen.
OEHLEN: Damals fand ich es cool und gut, bis an den Rand zu gehen. Alles vollzumalen, alles zuzumatschen, das war eine Entscheidung damals. Jetzt dachte ich halt, man sollte doch mal ausprobieren, wie es auf weißem Grund wirkt. Natürlich erinnert es dann noch mehr an frühe abstrakte Malerei aus den USA, aber das ist mir recht. Die aktuellen Bilder sind außerdem freundlicher. Auch ein Aspekt: Früher war mir die Garstigkeit der Bilder wichtig. Heute ist mir die Freundlichkeit willkommen.
K.WEST: Sie leben seit zehn Jahren im Appenzeller Land.
OEHLEN: Ja, weil ich hier meine Schweizer Familie habe. Und weil es einfach schön ist.
K.WEST: Hat sich in dieser neuen Umgebung Ihre Kunst gewandelt?
OEHLEN: Nein, das steht in keinem Zusammenhang.
K.WEST: Hier und da liest man, Ihre Malerei sei ruhiger geworden. Gediegener. Wie sehen Sie das?
OEHLEN: Na gut, ich bin vielleicht nicht mehr ganz so hibbelig wie früher. Aber ich denke doch, dass in der Arbeit noch einiges passiert – oder?
29. Mai bis 22. August 2010. Emil-Schumacher-Museum, Hagen. Tel.: 02331/207-3138. www.esmh.de