TEXT: ANDREAS WILINK
Und noch einmal, Master Darwin und seine Theorie vom »survival of the fittest«, aber bei Sibylle Berg hinterrücks angewendet und anders herum, als gemeinhin gedacht. Auf der Werkstatt-Bühne des Theaters Bonn ruft der Dschungel. Aber ob der malerische Prospekt (Carolin Mittler) paradiesische Zustände suggeriert oder eher den Lebenskampf der Arten bebildert, wer weiß. Beide Lesarten haben etwas für sich, wie »Die goldenen letzten Jahre« zeigen. Vier Elendsgestalten hocken vis à vis der Zuschauer. Ein Klassentreffen bringt sie zusammen und erlaubt den Rückblick. Die Zukurzgekommenen sind langfristig anpassungsfähiger als die Kronen der Schöpfung, die Schönen, Sportlichen, Erfolgreichen, die im Gegenschnittverfahren das dialektische Prinzip des Textes komplettieren. Rita ist so unscheinbar grau, dass selbst ihre Eltern sie ignorieren. Bea hatte Kinderlähmung. Paul ist fett, Uwe spuckt, wenn er den Mund auftut. Als Kinder umher gestoßen, malträtiert und aussortiert, haben die deprivierten Kümmerlinge sich beizeiten mit ihrer Randlage abgefunden und ihre Schwächen produktiv gemacht. Es konnte nur aufwärts gehen. Der Außenseiter besetzt geduldig die Mitte, dem Hässlichen gehört die Welt, weil er von ihr nichts erwartet und die Techniken des Schönheitskults und konservierter Jugend bei ihm keinen Nutzen bringen.
Bergs Ballade vom besseren Leben, angstfreien Altern und Glück in der Nische ist in Schirin Khodadadians Uraufführungs-Inszenierung eine flotte, rabiat lustige, putzig ausgestopfte Typen-Klamotte, die ihre Antikörper (Susanne Bredehöft, Anke Zillich, Günter Alt, Stefan Preiss) beim Tanzen, Singen und Couch-Geflüster kräftig absahnen lässt. Der Rezensent sollte gar nicht erst versuchen, Bergs Pointen parieren zu wollen, deren Stücke stets dramatische Verdichtungen einer Lebenshilfe-Kolumne sind. Und es auch tunlichst unterlassen, den garstigen Humor der Freakshow auf Korrektheit zu untersuchen. Dafür ist das Leben eh zu kurz.