// »Gelenkter Zufall«, »geplante Spontaneität« – Widersprüche in sich. Gerhard Richter macht sie zu Prinzipien seiner Arbeit. Der Maler selbst verglich seine Taktik einmal mit jener des Generals Kutusow in Tolstois »Krieg und Frieden«: Nicht eingreifen, nichts planen, nur beobachten, wie die Dinge laufen – »um im richtigen Moment die sich von selbst ergebende Bewegung zu forcieren«. Was das bedeutet, wie es funktioniert und zu welch beeindruckenden Ergebnissen die Strategie führt, wird jetzt gleich doppelt anschaulich – in zwei, dem ersten Anschein nach, sehr unterschiedlichen Sparten des Schaffens.
Kölns Museum Ludwig zeigt Richters abstrakte Gemälde: Ergebnisse eines langwierigen Prozesses, der sich Malschicht für Malschicht zum ganz und gar unvorhersehbaren Bild vortastet. Und das schöne Museumsschloss Morsbroich in Leverkusen lädt zur Begegnung mit den in Sekundenschnelle geschaffenen Fotoübermalungen des Künstlers ein. Ein Erlebnis, das in mancher Hinsicht verblüfft. Zunächst wegen der eindrucksvollen Wirkungen, die Richter hier mit einfachsten Mitteln erzielt. Zum anderen, weil diese spannende Seite im Werk des Künstlers einer größeren Öffentlichkeit bisher weithin verborgen blieb. Nicht zuletzt überrascht Richters Auftritt in Leverkusen aber auch durch seinen privaten Charakter, der sich kaum in Einklang bringen lässt mit dem lange gültigen Image des Stars.
Ist er doch bekannt als einer, der sich abschottet, keinen hinter die Fassaden schauen lässt. Vehement hat Richter über Jahrzehnte jeden privaten Bezug zu seinen Bildern geleugnet. Manch ein Kritiker sprach deshalb schon von einem »Werk ohne Autor«. Im Museum Morsbroich nun blättert er freimütig sein Familienalbum auf – das Material für die Übermalungen stammt fast ausnahmslos aus dem persönlichen Schnappschussreservoir.
Da sieht man die Familie beim Urlaub auf Juist oder im winterlichen Engadin. Richter fotografierte das Mutterglück und den Kindergeburtstag. Daneben stehen Aufnahmen von Spaziergängen im Kölner Nobelvorort Hahnwald, wo die Familie lebt. Für die Übermalungen wählte er meist Fotos zweiter Wahl – verwackelte unscharfe Aufnahmen, Dubletten, überschüssige Bilder, die sonst vielleicht im Papierkorb gelandet wären. Diese kleinen, unscheinbaren Abzüge kramt er hervor und rückt ihnen mit Farbresten aus der eigenen Gemälde-Produktion zu Leibe.
Mal überlagern millimeterdicke Farbschleier weite Teile der fotografischen Oberfläche, mal breitet sich die Farbe wie eine Lache mitten auf dem Motiv aus. Oder es bleibt bei Flecken, Klecksen, Sprenkeln, die das fotografische Geschehen auf wunderbare Weise beleben. Etwa, wenn knallrote Pünktchen gleich Schneeflöckchen vom Himmel rieseln.
20. Nov. 1999, Öl auf Farbfotografie, 14,9 x 10,0 cm. Van den Valentyn Foundation, Köln (zu sehen in Leverkusen)
Diese erste umfassende Ausstellung zum Thema vereint um die 500 Übermalungen. Nicht wenige stammen aus Richters Archiv, den größten Teil aber hat Museumsdirektor Markus Heinzelmann in zig Privatsammlungen zwischen Köln, Tokio und Los Angeles aufgetan. Trotz der Masse kommt beim Weg durchs Museumsschlösschen nicht die Spur von Langeweile auf. Die Spannung hält sich bis zum Schluss. Das liegt natürlich auch an den fotografischen Motiven, die mal unter, über, zwischen oder hinter den Farben aufscheinen. Unwillkürlich versucht man, dem Privaten auf die Spur zu kommen, folgt dem Malerstar interessiert ins Atelier, forscht nach bekannten Gesichtern. Den Reiz steigern dabei überall die raffinierten Wechselspiele zwischen dem fotografischen Fond und der Zugabe in Öl, neuerdings auch in Lack.
Oft sind es zuerst farbliche und formale Parallelen, die beide »Realitäten« – die fotografische und die malerische – miteinander verbinden. Immer wieder ergeben sich dazu inhaltliche Assoziationen. Etwa wenn sich blaue Farbwogen über den Strand legen oder Schlieren in orange und gelb, züngelnden Flammen gleich, das Idyll einer verschneiten Gebirgslandschaft bedrohen. Schwarzweiße Farbpfützen werden in der Vorstellung zu Flügeln eines riesigen Vogels, der über eine Häuserschlucht schwebt. Und wie eine Bildstörung im Fernsehen wirken jene regelmäßigen Streifen, die das Bild von Richters Ehefrau überziehen – der Maler lichtete sie kurz nach der Geburt des Sohnes mit blutunterlaufenen Augen ab.
Wer sich nach den eingehenden Betrachtungen der Minibilder im intimen Schlossambiente noch die Augen reibt, der mag Richters Aufgebot im Museum Ludwig zunächst als absolutes Kontrastprogramm empfinden. Reihenweise Riesenformate hängen da an den Wänden des Wechselausstellungstrakts. Die Schau konzentriert sich erstmals auf Richters abstrakte Gemälde – eine strenge Auswahl von 40 Arbeiten aus wichtigen Werkreihen der vergangenen rund 20 Jahren bringt sie zusammen. Die ebenfalls ungegenständlichen Graubilder und die kunterbunten Farbtafeln bleiben dabei außen vor. Gefragt sind allein jene expressiven Bilder, die Richter in Schichten anlegt.
Ausgehend von farbintensiven Gemälden wie »Claudius« oder »Courbet«, beide aus dem Jahr 1986, führt der Weg bis in die Gegenwart – etwa zu den zwölf Bildern der 2005 gemalten und erstmals in Europa gezeigten »Wald«-Serie. Im Zentrum inszeniert die Schau im gleißenden Neonlicht ein bemerkenswertes Treffen zwischen der Werkgruppe mit dem Titel »Bach« von 1992 und dem erst zwei Jahre alten »Cage«-Zyklus. Vielleicht werden im Kölner Miteinander keine stringenten Entwicklungen ablesbar, sehr wohl zeichnet sich aber eine Bewegung ab, die sich mit der Zeit aus dem illusionistischen Bildraum verabschiedet.
Es sei längst an der Zeit gewesen, diesem herausragenden Bereich im Œuvre einmal einen eigenen umfassenden Auftritt zu verschaffen, meint man in Köln. Sei doch bisher Richters Werk immer nur in seiner verwirrenden Vielfalt aufgefächert worden – mit den frühen verwischten Bildern nach banalen fotografischen Vorlagen, mit den Landschaften und Stillleben, den Farbtafeln, den gänzlich grauen Leinwänden, die den farbigen Abstraktionen vorangingen. Zuletzt hatte 2005 die große Düsseldorfer Richter-Retrospektive den Rundumschlag geschafft und einmal mehr unter Beweis gestellt, dass dieses Werk mit all seinen vermeintlichen Brüchen doch einer einzigen Frage folgt: Welche Möglichkeiten bleiben der Malerei in Zeiten medialer Massenbilder? Bei genauerem Hinschauen hängt alles irgendwie zusammen und einem Schritt folgt ganz logisch der nächste.
Für die Fotoübermalungen und die abstrakten Bilder ergibt sich überdies ein rein praktischer Zusammenhang. So benutzt Richter beim »Übermalen« seiner Schnappschüsse meist Farbreste, die nach der Arbeit an den ungegenständlichen Großformaten als schwere Masse am Rakel kleben geblieben ist. Meistens wählt der Künstler eine Stelle, die im Ton passt, und zieht das Foto rasch durch die nasse Farbe. Manchmal drückt er den Abzug aber auch hinein und hebt ihn dann vorsichtig ab, so dass scharfe Grate entstehen, die wie feine Verästelungen die Farbfläche durchziehen.
Das alles passiert in Sekundenschnelle und eröffnet dem Maler erstmals die Möglichkeit des raschen Schaffens – »eine schöne Freiheit«, wie er sagt. Bei den großen Gemälden der Kölner Schau verlaufen Zufall und Spontaneität in anderen Bahnen – Schicht für Schicht aufs Neue suchen sie sich ihren Weg. Richter arbeitet oft gleichzeitig an mehreren Leinwänden, bringt eine Lage auf, pausiert, und macht sich an die nächste. Er zerstört, ergänzt »und das immer so weiter mit zeitlichen Abständen, bis es nichts mehr zu tun gibt, das Bild also fertig ist.«
Dabei kommen Pinsel und Spachtel zum Einsatz. Noch häufiger aber der Rakel – »eine gute Technik, um die Überlegung auszuschalten«, so bemerkte er einmal. Richter will etwas entstehen lassen, es nicht kreieren. Deshalb räumt er dem Zufall eine tragende Rolle ein. Es sei aber nie ein »blinder Zufall, immer ein geplanter«, sagt er. »Und oft bin ich verblüfft, wie viel besser der Zufall ist als ich.« //
»Gerhard Richter. Übermalte Fotografien«, Museum Morsbroich, Leverkusen. Bis 18. Januar 2009. Tel.: 0214/855560. www.museum-morsbroich.de
»Gerhard Richter. Abstrakte Bilder«, Museum Ludwig, Köln. Bis 1. Februar 2009. Tel.: 0221/221-26165. www.museum-ludwig.de