Künstler und Weltverbesserer neigen bekanntlich zur Verhaltensauffälligkeit. So auch jener junge Mann, der in den frühen 20er Jahren den Küchenschrank seiner Eltern leuchtend gelb anstrich. Das war so etwas wie ein Fluchtversuch, den Anton Stankowski da in der Gelsenkirchener Bergarbeiterwohnung unternahm. 1906 geboren, war für ihn eigentlich eine Karriere als Kumpel vorbestimmt. Der entzog er sich durch eine Ausbildung zum Dekorations- und Kirchenmaler; im Jahr 1926 begann er ein Studium an der Folkwangschule in Essen. Dort begegnete er Max Burchartz, der im Sinne von Bauhaus, De Stijl und den russischen Konstruktivisten das Fach »Werbegrafik und Raumgestaltung« lehrte. Durch ihn wurde Stankowski nachhaltig beeinflusst; Burchartz war zu dieser Zeit ein bekannter experimenteller Gestalter, Fotograf und Maler und prägte das geistige Klima der Folkwangschule. Parallel zum Studium arbeitete Stankowski in der Bochumer Agentur »werbe-bau« bei Johannes Canis, entwarf dort beispielsweise konstruktivistische Kampagnen für die Hattinger Supermarktkette »Hill« und textete für sie mit charmanter Werbe-Poesie »Frühmorgens, wenn die Wecker krähen.« 1928 kehrte Stankowski dem Ruhrgebiet den Rücken und wechselte auf Empfehlung von Burchartz nach Zürich in die Werbeagentur von Max Dalang. In den 50er Jahren kam er nach Deutschland zurück, gründete in Stuttgart sein eigenes Atelier, in dem er mit Karl Duschek Werbematerialien und Erscheinungsbilder (Corporate Designs) entwarf. Er lehrte »Visuelle Kommunikation« auf dem Olymp der deutschen Nachkriegsgestaltung, der Fachhochschule für Gestaltung in Ulm. 1998 starb Stankowski mit 92 Jahren in Esslingen am Neckar.
Nun ist sein Werk ins Ruhrgebiet zurückgekehrt. Nach Stuttgart und Zürich (Stankowskis Lebensstationen) zeigt das »Quadrat« in Bottrop das Schaffen des Malers, Fotografen und Gestalters Stankowski – in direkter Nachbarschaft zu dessen großem Geistesverwandten Josef Albers und seinen farbigen Quadraten. »Für Stankowski waren die Kunst und die angewandte Kunst zwei Seiten derselben Medaille«, sagt Direktor Heinz Liesbrock. In der Tat, schaut man sich um in der Ausstellung, wird deutlich, wie sehr Stankowski die Grenzen zwischen den Stilen und Medien überschritt. Das Hauptelement seines Schaffens, die Diagonale, findet sich sowohl in seiner Malerei als auch in seinen Erscheinungsbildern wieder. Der jedem geläufige »Schrägstrich im Quadrat«, das Signet der Deutschen Bank von 1974, zeigt dies besonders deutlich. Stankowski belässt es nicht bei der formalen Strenge des Signets selbst, sondern befreit (beispielsweise in Broschüren) die Schräge aus ihrem quadratischen Gefängnis, um dieses Element frei im Raum anzuordnen. Aus der Ferne betrachtet entsteht so eine Verbindung zu seinen Gemälden, auf denen die Diagonale als grafisches Gestaltungselement zum Einsatz kommt, oder die Leinwand selbst die Schräge ist (z.B. »Un-Quadrat rot«, 1981).
Konzentration durch Weglassen, dieses Konzept bestimmt Stankowskis Arbeit. Vom »Finden, vereinfachen, versachlichen und vermenschlichen« spricht Stankowski, und dass »das letzte das schwerste« sei. Das klingt ein bisschen waldorfhaft, und tatsächlich kommen einige Entwürfe Stankowskis etwas zu niedlich daher, wie die IBM-Anzeigen aus den 50er Jahren, in denen er aus den Buchstaben der Schreibmaschine Schmetterlinge, Fische und Sonnen formte. Das hat etwas sehr Gebrauchsgrafisches, etwas was das Talent Stankowski gar nicht nötig hatte. Ebenso merkwürdig überholt wirken auf den zweiten Blick die »Stankogramme«, jenes Personenleitsystem des »Stadthaus Bonn« aus den 70er Jahren: Da leiteten Stelen mit konstruktivistischen, farbigen Elementen die Bürger durch das Haus, sorgten Etagenziffern an den Aufzügen für Orientierung, zeigten Silhouetten von ausgestreckten Fingern die jeweilige Etage an. Einerseits hervorragend gestaltet, wirkt das Leitsystem andererseits heute wie das visuelle Pfeifen im Walde – dass ein paar bunte Tafeln die Zweckarchitektur jener Zeit humaner machen oder die Bürokratie freundlicher dastehen lassen könnten, erweist sich im Rückblick als blauäugig.
Aber zurück zu den klaren Entwürfen Stankowskis, denen man den revolutionären Moment noch heute ansieht. Sein »Berlin-Layout« von 1968 war eines der ersten Erscheinungsbilder für eine Stadt. Eine derart lässige Außenwirkung wünscht man Berlin heute noch. Da winkt kein stilisiertes Berliner Bärchen, das duckt sich kein Brandenburger Tor unter Buchstaben zusammen. Auf einer horizontalen Linie ist mittig eine Vertikale platziert, im so entstandenen rechten Feld steht in schwarzen Versalbuchstaben: BERLIN. Diese einfache Wortmarke bildet zusammen mit dem »tektonischen Linienelement« den Kopf von Drucksachen, ergänzt durch Farbflächen oder Fotos.
Immer wieder experimentierte Stankowski mit Foto- und Drucktechniken, deren Effekte von den heutigen Gestaltern als Normalität angesehen werden. So erscheinen Erdbeeren und Eier auf den Titeln der Zeitschrift Kochen im… (1933) teilweise transparent und überlappend. Oder der räumliche, wolkenähnliche »Sulzer«-Schriftzug über den collagierten Bergen auf dem Broschürentitel der Schweizer Lüftungsfirma – so frisch und luftig wie ein Bergsommer. Fotos wurden, nach dem Vorbild der russischen Konstruktivisten, in ungewöhnlichen Perspektiven aufgenommen oder im Fotolabor verzerrt; wie die beschürzte, strahlende Hausfrau auf dem »SuperBouillon Liebig«-Plakat von 1934.
Auch Stankowskis Ruhrgebietsfotografien zeigen diesen Einfluss: Stürzende Linien, Silhouetten von Schornsteinen, harte Kontraste. Stankowski hat sich für den Schatten der Dinge interessiert. Diesen Fotos wird in Bottrop viel Raum zugewiesen, zeigen sie doch den unvermittelten, wenn auch inszenatorischen Blick Stankowskis auf die Region. Will man der Person Stankowski noch näher kommen, lohnt ein Blättern in seinen (nachgedruckten) Skizzenbüchern. Hier fasziniert die unfertige Seite seiner Entwürfe, die unbegradigte Version seines Schaffens – die Magie des Beginnens.
Man wandelt durch die Exponate, die man mit Stankowskis Worten »Versuche der Möglichkeiten« nennen möchte, und ist beeindruckt von der zeitlosen Moderne, die sie ausstrahlen. Sicher, manche Entwürfe wie das oben erwähnte »SuperBouillon«-Plakat fungieren heute allemal nur noch als Zeitzeugen, inhaltlich wie gestalterisch. Weder der typografische Auftritt noch das transportierte Frauenbild sind noch zeitgemäß. Die geistige Haltung dahinter ist es aber allemal: die Reduktion eines Themas auf das Wesentliche. Das war Stankowskis große Fähigkeit. So besitzt das Wärmeversprechen des »Viessmann«Signets, in dem das gestapelte »S« zur Heizspirale wird, heute noch dieselbe Kraft wie 1966.
Nicht alle von Stankowskis Kunden glauben an die Dauerhaftigkeit seiner Entwürfe. So hat die Deutsche Bank das von ihm entworfene Logo zwar beibehalten, sein Designkonzept über die Jahre aber immer mehr verwässert – oder, wie die Verantwortlichen sagen würden, immer mehr angepasst. Das führt dann dazu, dass das Signet mittlerweile dreidimensional durch die Werbeblöcke fliegt. Auftraggeber wie Hans Viessmann hingegen schätzten Stankowskis gestalterische Arbeit und ließen der Markenentwicklung viel Zeit.
Die Ausstellung im »Quadrat« ist so gesehen ein optisches Atemholen vor dem visuellen Dekorationsterror der Informationsgesellschaft; der Anspruch an die Dinge zieht sich ins Museum zurück. Das Museum wird zur grafischen Kältekammer, zum konservierten Ideenraum für die jetzige und die nächste Gestaltergeneration, die erst begreifen muss, dass das Leben nicht linksbündig ist.
Bis 11. Februar 2007. Tel.: 02041/29716. www.stankowski06.de und www.quadrat-bottrop.de