Text: Volker K. Belghaus
Stur, herzlich, wortkarg, fleißig, humorlos, zupackend – diese vermeintlich westfälischen Charakterzüge hat man vorsichtshalber direkt auf die Rückseite des Kataloges gedruckt. Affirmativ-ironisch, damit keiner auf falsche Gedanken kommt; jedes Wort versehen mit einem Hashtag, was beim Ausprobieren aber lediglich die Erkenntnis bringt, dass es in Großbritannien Energydrinks namens »Stur« gibt, die aussehen wie Shampooflaschen. Natürlich ist man schnell bei den Klischees von karger Provinz mit ebenso kargen Menschen, die in typografisch reizvollen Städten wie Höxter, Ochtrup, Vlotho, Netphen oder Anröchte wohnen. Typen wie Franz Müntefering, der Tommy Lee Jones aus Arnsberg – kantig und sympathisch sprachfaul. Der Westfale als solcher funktionierte schon immer gut als einfach gestrickte Witzvorlage – nicht nur bei Kabarettisten mit Rentnerbrille und Bauernkittel. Schon Voltaire ätzte in einem Brief an Friedrich den Großen äußerst menschen- und pumpernickelfeindlich: »Majestät, in großen Hütten, die man Häuser nennt, sieht man Tiere, die man Menschen nennt. Die leben auf einträchtige Weise mit den anderen Haustieren durcheinander. Ein gewisser trockener, schwarzer und klebriger Stein, bestehend, wie man sagt, aus einer Art Roggen, ist die Nahrung.« Heinrich Heine hingegen charakterisierte die Westfalen in seinem Wintermärchen liebevoller: »Sie fechten gut, sie trinken gut, / Und wenn sie die Hand dir reichen / Zum Freundschaftsbündnis, dann weinen sie; / Sind sentimentale Eichen.«
Aus feierfreudig-rheinischer Sicht ist dieses Westfalen immer noch ein merkwürdiges Anhängsel hinter dem Bindestrich, es besteht aber selbst aus mutwillig zusammengeklumpten Bevölkerungsgruppen und Mentalitäten, aus Sauer- und Siegerländern, Ostwestfalen, Münsterländern (nicht die Hunde, Herr Voltaire!) und den Menschen am östlichen Ruhrgebietsrand. Vor 200 Jahren, ab dem Jahr 1815, wurden diese Landstriche zur preußischen Provinz Westfalen vereinigt und dem preußischen Königreich zugeschlagen. Westfalen war eines der Ergebnisse des Wiener Kongresses und kam nur durch zähes Ringen zustande. Männer wie der Reformer Freiherr Karl von Stein und Ludwig von Vincke als 1. Oberpräsident schufen damals die grundlegenden Strukturen des heutigen Westfalen.
Das Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte inszeniert die vergangenen Jahrhunderte unter dem Titel »200 Jahre Westfalen. Jetzt!« als »performative Ausstellung«, die in sechs Bereiche aufgeteilt ist – Prolog, Gewächshaus, Siedlung, Straße, Horizont und Territorium. Letzteres versteht sich als wandlungsfähiger Ort und wird während der Laufzeit mehrfach umgebaut, um Platz für neue Themen zu schaffen. (…)
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200 Jahre Westfalen. Jetzt! Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Dortmund, bis 28. Februar 2016, www.200jahrewestfalen.jetzt