TEXT: ULRICH DEUTER
Als im März 2007 der britische Architekt David Chipperfield den Wettbewerb um den Neubau des Essener Museums Folkwang gewann, stellte sich bei den meisten Beobachtern das ein, was man »ein gutes Gefühl« nennt: Ja, das könnte was werden. Nun zeigt sich, der Schein der Computer-Animationen, die damals einen großzügig-zurückhaltenden, abwechslungsreich-klaren und vor allem sehr lichtreichen Entwurf versprachen, trog nicht: Der Neubau des Folkwang-Museums, der nun vollendet ist, erfüllt alle Erwartungen.
Welch ein gewaltiger Unterschied! Wo man sich jahrzehntelang von hinten über einen verdrucksten Eingang in ein bunkerähnliches Gebäude schlich, da fliegt man jetzt von vorn, von der Bismarckstraße eine breite Treppe auf eine Empfangsebene hinauf, auf der sich das Bau-Ensemble selbstbewusst, aber nicht dominant über die Umgebung erhebt. Wo früher die Verschlossenheit eines Kunsttresors herrschte, die den Stadtraum ausschloss, da fällt heute der Blick bereits vor der Tür durch breite Glasfronten ins Innere und auf die Kunst – nicht das Gebäude zu betreten, wird ab jetzt Anstrengung kosten, sondern es nicht zu tun.
Schon die Eingangssituation offenbart das Gestaltungsprinzip: den Hof. Um begrünte Höfe ist der ganze kubische Bau gruppiert, der Blick durch Glasfronten öffnet die Räume auf sie hin und über sie hinweg auf andere Räume, ein aufregendes Spiel mit Innen und Außen entsteht. Der Hof war schon der begehrteste Teil des sogenannten Altbaus von 1960, der erhalten geblieben ist, von ihm habe er den »court yard« als Prinzip übernommen, sagt Chipperfield. Dieses Prinzip verbindet sein Werk mit jenem Altbau (von Horst Loy und Werner Kreutzberger) auf so feinfühlige Weise, dass das halbe Jahrhundert Architekturgeschichte dazwischen wie weggeweht scheint. Ist der Altbau das Thema, so ist der Chipperfield-Bau die Variation darüber. Eine moderne Sinfonie des Bauens in der Klassischen Moderne.
Es sei in gewisser Weise altmodisch, sagt Chipperfield, wie er hier mit dem Boden, den Wänden, dem Licht umgehe; der Bau besitze sehr einfache Qualitäten. In der Tat. Sie genau machen seine Größe aus. Die Balance nicht nur zwischen innen und außen, sondern auch zwischen Flucht und Nähe, Weite und Geborgenheit ist vollkommen. An jeder Stelle öffnen sich Blickachsen in alle vier Richtungen, überall kündigt sich ein Stück Durchblick, Fenster, Ausblick an, ohne dass je Verspieltheit aufkäme. Dieses Haus meint es ernst. Und gut mit der Kunst. Jeder Punkt animiert zur Bewegung, auch die intimeren Räume weisen auf den nächsten hin. Jeder Raum ist von einer so wohltuenden Kraft, dass man bedauert, ihn sich demnächst mit der Kunst teilen zu müssen. Die nach der Eröffnung am 30. Januar 2010 sukzessive einziehen wird.
Wenn es einen Begriff für diesen Chipperfield-Bau geben müsste, dann ist es Noblesse. Freilich vollkommen nur innen. Außen hält das vorgeblendete, etwas unwirklich erscheinende glaskeramische Material im Grünspanton den groß und lässig hingestreckten Baukörper in der Schwebe zwischen Funktionalbau und Bedeutungsarchitektur; doch bildet die Parzellierung der Fassade durch die Addition der Kachelflächen in ihrer (technisch bedingt) relativ geringen Größe einen gewissen Gegensatz zur Großzügigkeit des Inneren. Dort sind die dominanten Farben das Grau des Bodens und der Fensterflächenrahmungen sowie das Weiß der knapp sechs Meter hohen Wände. Wobei dieser Boden, entgegen der ursprünglichen Planung, die Parkett vorsah, durchgängig aus geschliffenem Beton mit Rheinkieseleinschluss besteht – elegante Bescheidenheit ist die Wirkung. Alle Ausstellungsräume (mit Ausnahme derer für Fotografie und Grafik) genießen Oberlicht, befinden sie sich doch sämtlich auf einer einzigen, nicht überbauten Ebene. Selbst der Wechselausstellungsraum mit seinen gewaltigen 1.500 Quadratmetern völlig stützenfreier Fläche besitzt diese Beleuchtungsqualität übers gesamte Deckenmaß. In dem kolossalen Saal wird ein Raumteilungssystem für variable Stellwände sorgen – wohl dem, der ihn so leer erleben kann, wie er derzeit ist. Er ist ein Ereignis.
So wie die ganze Geschichte des neuen Folkwang-Museums ein Ereignis ist. Zur Erinnerung: Als 2006 die Debatte um den dringend sanierungsbedürftigen Museumserweiterungsbau von 1983 im Rat der Stadt Essen im Gezänk zu versanden drohte, beschloss der Vorsitzende der Krupp-Stiftung, Berthold Beitz, »den Bürgern der Stadt« einfach ein neues Museum zu schenken und gab dafür 55 Millionen Euro. Zum Kulturhauptstadtjahr sollte es fertig sein. Das wurde es, innerhalb von zwei Jahren wurde der alte Neubau abgerissen und der neue errichtet. Nicht einmal die Bausumme (die gedeckelt war) wurde überschritten. Beitz’ damals geäußerter »einziger« Wunsch, er möge die Eröffnung des neuen Folkwang-Museums noch erleben, ist in Erfüllung gegangen; Beitz ist jetzt 96.
Der frisch gewählte neue Oberbürgermeister der beschenkten Bürgerschaft, Reinhard Paß (SPD), aber hat eine Träne im lachenden Auge. Die Unterhalts- und Betriebskosten für das Geschenk liegen mit 4,7 Millionen Euro jährlich erheblich über denen des Vorgängerbaus. Hinzu kommt der Preis für ein weiteres neues Haus: das Ruhr Museum auf Zollverein. Allein im nächsten Jahr aber erwartet die Kommune ein Defizit von 400 Millionen Euro. Das kein Beitz stopfen kann. Und das Befürchtungen weckt vor einer wunderbaren Hülle, in der nichts mehr passiert.
Ab 30. Januar 2010. 20. März bis 25. Juli 2010: »Das schönste Museum der Welt«, die Geschichte der Folkwang-Sammlung vor 1933. www.museum-folkwang.de