INTERVIEW: ANDREJ KLAHN
Dunkle Keller-Räume, bescheiden möbliert, auf den Fensterbänken eine Sammlung alter Schreibmaschinen, die irgendjemand da mal hat stehen lassen. Das Büro von Petra Wenzel und Werner Lippert im NRW-Forum kontrastiert hart mit den großzügigen Sälen im Erdgeschoss, in denen die beiden Ausstellungsmacher 15 Jahre lang gezeigt haben, was in Museen in dieser Mischung nicht zu sehen ist: Mode, Werbung, auch Design, Architektur und immer wieder üppige Fotografie-Ausstellungen. Mit »FotoA-Z« blicken sie nun zurück auf eine erfolgreiche Zeit. Zu sehen sind »Fotografen, die wir gezeigt haben und die, die wir immer schon gerne gezeigt hätten«. Danach ist Schluss. Das Duo hat seinen Vertrag nicht verlängert, und das Land hat die Gelegenheit genutzt, um aus der Förderung auszusteigen. Rückblickauf ein zukunftsweisendes Ausstellungskonzept, das am 5. Januar 2014 Geschichte sein wird.
K.WEST: Das Plakat, mit dem Sie »FotoA–Z« bewerben, zeigt eine Pistole, deren Lauf gegen den Schützen gerichtet ist. Es wurde viel darüber spekuliert, wie symbolisch das zu verstehen ist. Von einem Attentat auf die Kunst war die Rede. Andere bezogen die Waffe auf das Ende des NRW-Forum. Wie müssen wir das verstehen?
LIPPERT: Das ist alles vollkommen überinterpretiert, wie so häufig. Albert Watson hat das Motiv geschossen für eine Kampagne, die wir für das Schauspielhaus konzipiert hatten, für »Lulu«. Wir fanden das Bild immer toll und haben ihn gefragt, ob wir es nehmen dürfen.
K.WEST: Und das war’s dann.
LIPPERT: Das Motiv sagt, diese Ausstellung ist selbsreferentiell. Natürlich kann ich auch sagen: Der Schuss geht nach hinten los. Es stimmt ja, das Programm des NRW-Forum in seiner jetzigen Form wird beendet. Und das ist ein trauriges Ereignis.
K.WEST: Sie blicken mit der letzten großen Ausstellung auf 15 Jahre NRW-Forum, aber sie bekommen ausschnittweise auch das jüngste Kapitel der Fotografie-Geschichte in den Blick.
LIPPERT: »FotoA-Z« ist eigentlich unser persönlicher Blick auf die letzten Jahrzehnte der Fotografie. Alles, was hier hängt, haben wir oder hätten wir gerne zeigen wollen.
K.WEST: Der Vorgänger des »NRW-Forum Kultur und Wirtschaft« war das »Landesmuseum Volk und Wirtschaft«. Ein Haus, das ein Imageproblem und kaum Besucher hatte und kurz vor der Schließung stand. Was hat Sie an diesem Himmelfahrtskommando gereizt?
WENZEL: Wie sagt man so schön: »Wir waren jung und hatten Spaß«. Und wie meistens, bei einem Startup, sieht man, Gott sei Dank vielleicht, nur die Chancen und weniger die Risiken.
K.WEST: Aber den Ausstellungsetat mussten Sie größtenteils selbst besorgen.
LIPPERT: Natürlich hat uns gereizt, ein Museum stark nach betriebswirtschaftlichen und markentechnischen Gesichtspunkten zu betreiben. Das hat eine entscheidende Rolle gespielt.
WENZEL: Doch den Namen »NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf« als echte Marke aufzubauen, das ist ein bisschen so, als würde man mit einem Betonklotz am Bein spazieren gehen wollen. Aber wir hatten diese Idee entwickelt, also mussten wir auch beweisen, dass sie funktioniert. Wenn ich heute zurückschaue, dann kommen mir einige Sachen, die wir damals gemacht haben, sehr seltsam vor. Es war ein »learning by doing«.
K.WEST: Findet man leichter Sponsoren, wenn man sich Ausstellungmanager und nicht Direktor nennt? Das klingt für den Kunstbetrieb geradezu provozierend effizient.
WENZEL: Wir sind qua Definition unseres Vertrages keine Direktoren. Uns war das immer ziemlich egal.
LIPPERT: Manchmal kann es natürlich ganz nützlich sein, wenn auf der Visitenkarte Direktor steht. Doch wir brauchten das bisher eigentlich nicht.
K.WEST: Was steht denn auf Ihrer Karte?
LIPPERT: Wir haben keine Karte des NRW-Forum.
K.WEST: Sie waren Creative Director bei TBWA, Herr Lippert. Warum wollten Sie lieber Ausstellungen machen?
LIPPERT: Zwischen der Werbung und dem Ausstellungsmachen hatte ich zwischenzeitlich viele Jahre eine eigene Werbeagentur. Schon damals kümmerten wir uns für unsere Kunden sehr stark um Kultur-Sponsoring.
WENZEL: Da haben wir bemerkt, wie wirkkräftig die Kombination von Kunst und Wirtschaft sein kann, wenn man sie intelligent und vorsichtig betreibt. Man darf als Sponsor nur nicht auf die Idee kommen, das ganze Museum in der Farbe des Firmenlogos streichen zu wollen.
K.WEST: Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Dirk Elbers hat im letzten Jahr angeregt, man könne doch mal die Kuppel der Tonhalle in den Farben des Sponsors ausleuchten. Ist das ein gute Idee?
WENZEL: Nun ja, so hat man vor 15 Jahren gedacht. Als wir hier anfingen, hatten ganz viele Häuser noch nicht verstanden, dass ihr einziges Vermögen die kulturelle Unberührbarkeit ist. Wir hätten uns im NRW-Forum nie ein Auto ins Foyer stellen lassen, um eine Ausstellung zu finanzieren.
K.WEST: Aber Sie wollten ein anderes Museum.
LIPPERT: Wir wollten nichts zeigen, was ein konventionelles Museum ausstellen könnte. Stattdessen sollte das Programm konsequent in der Jetztzeit verankert sein. Der andere Ansatz betraf das Publikum. Damals war viel von »neuen Kulturinteressierten« die Rede. Von Menschen, die nicht mehr mit einem Bildungsanspruch ins Museum gehen, die sich inspirieren lassen und nicht einschüchtern lassen wollen. Und genau dieses Publikum wollten wir haben.
WENZEL: Das ist vollkommen unabhängig vom Alter – wir sehen auch viele ältere Menschen hier. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie sehr kommunikativ sind, sie kommunizieren mit unserem Aufsichtspersonal und verlassen sich auf das eigene Urteil. Sie wollen sich Kunst nicht erklären lassen, sie wollen ihren eigenen Zugang dazu finden. Und sie mögen es auch gerne ein bisschen lauter.
LIPPERT: Wer das NRW Forum betritt, fällt direkt ins Café. Das war eine bewusste Entscheidung. Wir haben auch von Anfang an ganz bewusst keine Security-Mitarbeiter für die Bewachung der Räume engagiert, sondern Studenten der Kunstakademie oder der Fachhochschule, die sich für das interessieren, was wir hier zeigen und die es den Besuchern auch vermitteln können.
WENZEL: Wir waren auch die ersten und einzigen in der Stadt, die ihr Haus, immerhin bereits 1999, täglich bis 20 Uhr geöffnet hatten. Damals galt noch, dass nach 18 Uhr kein Mensch ins Museum geht. Unsere Zielgruppe ist anders.
LIPPERT: Und wir haben ein wirklich schnelles Rad gedreht. Wir haben für Ausstellungen nicht drei Jahre Vorlaufzeit gehabt, sondern in der Regel nur zwölf Monate.
K.WEST: Können Sie sich noch an die ersten Reaktionen erinnern?
WENZEL: Das Feuilleton war distanziert bis feindselig. Und die Kollegen haben die Nase gerümpft. Unsere Peter Lindbergh-Ausstellung wurde sehr beargwöhnt. »Oh Gott, ein Modefotograf im Museum, wie fürchterlich«, hieß es.
LIPPERT: Zur Eröffnung des NRW-Forum gab es Headlines, die hießen: »Amerikanische Verhältnisse am Rhein«. Und das war durchaus nicht nett gemeint, sondern spielte auf die Vermutung an, dass es jetzt in diesem Haus nur noch Kommerz und kommerzielle Themen geben könnte.
K.WEST: Was hat sich in den letzten 15 Jahren verändert?
LIPPERT: Alles. Das zeigt sich an Ausstellungen wie »Radical Advertising«. Die Werbung hat sich radikal verändert, fast ins Gegenteil verkehrt. Damals war das »Guerilla-Marketing« auf seinem Höhepunkt. Heute müsste man eine Ausstellung über Twitter und Facebook machen.
K.WEST: Hat sich diese Haltung verändert?
LIPPERT: Damals wurden wir für vieles kritisiert, aber heute würde so manches Haus auch gerne mal eine Modeausstellung machen.
WENZEL: Und wenn dann noch Claudia Schiffer zur Eröffnungsparty käme, wären die Kollegen wohl auch nicht wirklich unglücklich. Nur zugeben würden sie es nicht.
K.WEST: In den letzten 15 Jahre ist Berlin nicht nur zur politischen, sondern auch zur kulturellen Hauptstadt geworden. Hat sich die Landflucht Richtung Berlin auch auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
LIPPERT: Wir hatten eigentlich bei jeder größeren Ausstellung das Problem, dass die Künstler oder Modeschöpfer irgendwann anriefen und mit Berlin kamen. Irgendwann hatte ich Alexander McQueen am Telefon, der mir erzählte, er sei gestern mit David Bowie essen gewesen, und der habe ihm sagte: »Toll, dass du eine Ausstellung machst. Aber wo zur Hölle ist Düsseldorf. Warum machst Du das nicht in Berlin?«
WENZEL: Was einen Tag vor der Eröffnung ein bisschen unglücklich ist.
LIPPERT: Mario Testino wollte unbedingt eine Ausstellung in Berlin machen. Doch die hätten sich da nicht entscheiden können und kein Geld gehabt, so sagte er. Und dann: »Machen wir es in Dreigottesnamen in Düsseldorf.«
K.WEST: Was haben Sie den Künstlern über Düsseldorf erzählt?
LIPPERT: Wir versuchen da nichts zu beschönigen. Die erste Wahrnehmung ist immer: Wie kann man in so einer kleinen Stadt leben. Am zweite Tag heißt es: Wow, nette Mädels und alle so super gut angezogen. Und am dritten Tag: Toll hier, so grün und der Rhein … und man kann nach Köln fahren und den Dom besichtigen.
WENZEL: Und das Haus ist einfach schön. Es besticht alle mit seiner Ruhe und Ernsthaftigkeit.
K.WEST: Laufen Häuser, die sehr auf Sponsorengelder angewiesen sind, nicht Gefahr, ihre Programmautonomie zu verlieren?
LIPPERT: Das ist einer der Gründe, warum wir uns immer dagegen gewehrt haben, einen Hauptsponsor zu haben.
WENZEL: Es mag einfach klingen, aber es hängt immer von der Stärke der Direktoren ab, von ihrer Fähigkeit, mit dem Sponsor zu tanzen. Denn es geht ja letztendlich darum, sich gemeinsam so lange hin und her zu schunkeln, bis am Ende beide wirklich zufrieden sind. Ein guter Direktor, jemand wie Kasper König etwa, lässt sich von einem Sponsor nichts unterschieben.
K.WEST: Der Oberbürgermeister hat sich im letzten Jahr darüber beklagt, dass sich Düsseldorfs Kulturhäuser zu wenig um langfristige Sponsoren bemühen würden.
LIPPERT: Ja? Interessant. Richtig ist, dass der ganze Sponsoring-Bereich in Deutschland weitaus weniger entwickelt ist als in Amerika. Die öffentliche Hand friert hier ihre Ausgaben für Kulturinstitute ein und schickt die Institute in den Markt, um sich Geld zu besorgen, bedient sich aber selbst auch dort. Ich spreche dann mit einer Firma über eine Kooperation für eine Ellen von Unwerth-Ausstellung, und gleichzeitig bittet die Stadt darum, die Bambi-Bewerbung zu unterstützen. Das ist ein Problem. Auch mag man der Auffassung sein, dass die Sicherung der Museumsbudgets eine kommunale Aufgabe ist.
K.WEST: In »FotoA-Z« lassen Sie Jeff Wall über das Museum der Zukunft nachdenken. Es geht um die Frage, ob es künftig nicht viel mehr lunare, dunkle Räume brauche. Worauf wird es Ihrer Einschätzung nach zukünftig ankommen?
LIPPERT: Nicht nur die Ausstellungsarchitektur, sondern auch das Ausstellungmachen muss sich in dem Maße verändern, wie sich auch die Kunst und die Gesellschaft verändern. Die Kunst wird digital, die Besucher werden älter, darauf wird man Rücksicht nehmen müssen. Der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund wird stetig wachsen. Wir werden ernsthaft darüber nachdenken müssen, wie man die Informationsbedürfnisse der zukünftigen Besucher berücksichtigt. Und das Ausstellungmachen selber wird sich verändern, weil der Anteil medialer Projekte immer größer wird. Viele klassische Museen sind nicht unbedingt darauf vorbereitet, mediale Arbeiten zu zeigen, zu pflegen, zu archivieren, zu dokumentieren und den technischen Wandel mit zu vollziehen. Da kommen große Herausforderungen auf sie zu.
K.WEST: Zu hören ist, dass aus dem NRW-Forum ein Haus der Fotografie werden könnte. Ist das eine gute Idee?
LIPPERT: Der Kern des NRW-Forum war nicht die Fotografie. Wir haben 95 Ausstellungen gemacht, nur 50 davon widmeten sich der Fotografie. Wofür das Haus heute steht, ist nicht zuletzt thematische Vielfalt. Wir haben Mode, Architektur, Werbung, oder Design gezeigt. Was nicht heißen soll, dass ein Haus der Fotografie nicht wunderbare Sachen zeigen kann. Aber es ist nicht mehr das NRW-Forum, es ist etwas vollkommen anderes.
K.WEST: Was hätten Sie sich als Nachfolge gewünscht?
WENZEL: Ich hätte es spannend gefunden, jemanden zu haben, der das NRW-Forum 2.0-mäßig weiterentwickelt, mit einem frischen Blick. Jemand, der mir etwas beibringt, mich erstaunt.
LIPPERT: Wir haben ja angeboten, dass wir noch ein halbes oder ein Jahr länger arbeiten, um den Entscheidern Zeit zu geben, so jemanden zu suchen.
K.WEST: Ein Ausstellungshaus, das ein sehr junges Publikum hat, viele Besucher anlockt, regelmäßig präsent ist in den überregionalen Medien und dazu auch noch eine sehr hohe Eigenfinanzierungsquote hat – all das ließe vermuten, dass Ihnen die Kulturpolitiker der Republik zurzeit die Türen einrennen.
LIPPERT: Unsere Akzeptanz in der Kulturpolitik ist geringer als viele sich vorstellen können. Da ticken die Uhren noch anders.
»FotoA–Z«, bis 5. Januar 2014 im NRW-Forum, Düsseldorf. www.nrw-forum.de