Text Katrin Pinetzki
Am Anfang, könnte man sagen, war der Neid. Kaum anders sind die Radikalität und der Furor zu erklären, mit der zum Beispiel Aktionskünstler Wolf Vostell dem Fernsehen zu Leibe rückte. Man wäre gerne schon dabei gewesen, als sich vor 52 Jahren, am
14. September 1963, rund 100 Kunstfreundinnen und –freunde in der Erwartung eines mehrstündigen Spektakels in Rudolf Jährlings Wuppertaler Galerie Parnass versammelten. Busse kutschierten die Teilnehmer zu neun verschiedenen Orten im Stadtgebiet, unter anderem ins Kino »Camera«, wo das Publikum abgefilmtes, zur Unkenntlichkeit verzerrtes Fernsehbild untermalt mit Lärm und einigen Pistolenschüssen ertragen musste – ein Stress-Test, eine Anti-Berieselung. Oder nein: Noch lieber hätte man vier Monate zuvor in South Brunswick, New Jersey dem »TV-Burying« beigewohnt, als Vostell einen Fernseher mit Torte bewarf, mit Schnitzeln dekorierte, mit Stacheldraht umwickelte und vergrub – bei laufendem Programm.
Seltsam infantil und irgendwie hilflos muten diese Happenings heute an. Wie aber sonst hätten Künstler auch damals auf das neue Massenmedium reagieren sollen? Noch waren ihnen die technischen Möglichkeiten verwehrt, mit denen die »Glotze«, die »Flimmerkiste« plötzlich Aufmerksamkeit absorbierte und das Publikum scheinbar zur passiven Masse machte. Man wehrte sich mit allen Mitteln der Kunst, decollagierte (wie Vostell) oder nagelte (wie Günther Uecker). Nur Nam June Paik ging einen Schritt weiter und versuchte, sich die Technik anzueignen. Er experimentierte zur gleichen Zeit – ebenfalls in der Galerie Parnass – damit, Fernsehbilder künstlerisch selbst zu erzeugen, zu manipulieren.
Im Kunstmuseum Bonn, das die künstlerische Beschäftigung mit dem Fernsehen untersucht, nehmen diese historischen Arbeiten aus den Anfängen des Fernsehens einen großen, zentralen Raum ein. Ein halbes Jahrhundert später können die Besucher wie damals in zwei Mikrofone raunen, husten oder rufen und beobachten, wie daraus ein Fernsehbild entsteht – oder zumindest ein abstrakt-dynamisches Bild auf dem Bildschirm. Anlässlich der Biennale von Lyon 1995 hatte Paik einige seiner Arbeiten rekonstruiert. Sie sind nun auch in Bonn zu sehen. Es sind Arbeiten, die jüngeren Besuchern ohne erklärende Kommentare kaum mehr zugänglich sind – wie bahnbrechend Paiks Ansatz und Wille war, selbst zum Sender zu werden, lässt sich im Youtube-Zeitalter kaum mehr nachvollziehen.
Während Nam June Paik das Fernsehen quasi über seine Eingeweide verändern wollte, ging der Schweizer Karl Gerstner mit »Auto-Vision« etwas weniger radikal über die Oberfläche. Mit Plexiglaslinsen, die er an der Vorderseite eines TV-Geräts anbrachte, schuf er wirkungsvolle Verfremdungseffekte, die Mitte der 1960er Jahre staunen machten: Gerstners Linsen zerlegten das Bild. Erst ist der Künstler einfach, dann doppelt und dreifach auf dem Bildschirm zu sehen, bald verschwimmt oder rotiert das Bild. In einer Art TV-Lecture, die man hier ebenfalls ansehen kann, doziert Gerstner, in Anzug, Krawatte und ordentlich gescheitelt, über das Wesen der Kunst: Nicht ein bestimmtes Material oder Medium sei dafür ausschlaggebend, sondern die Idee; ein engagiertes Plädoyer für die in der Entstehung begriffene Medien-, bzw. Videokunst und ein gewisser Widerspruch zu Marshall McLuhan. Der Kommunikationstheoretiker hatte soeben seine These von der jedem Medium immanenten Botschaft veröffentlicht: The Medium ist the message!
Das Abarbeiten am Medium als solchem war nur die erste Phase. In Windeseile hatte das Fernsehen es geschafft, Tagesabläufe und Rezeptionsgewohnheiten zu verändern, ja, zu beherrschen. Und so richtete sich der Blick vieler Künstler zunehmend auf die Inhalte und Mechanismen des Mediums. Was macht das Fernsehen mit den Zuschauern, mit der Gesellschaft? Was macht es mit unserem Bild von der Welt?
Zum Beispiel zwingt es allem Geschehen, allen Bildern seine eigene Logik auf. Es nivelliert. Der US-Zeichner Joe Biel ließ sich zu einer fast vier Meter langen Arbeit inspirieren, an der er fünf Jahre arbeitete und die man angesichts des raumfüllenden Formats kaum »Zeichnung« zu nennen wagt: In »Veil« (englisch für »Schleier«) zeichnete Joe Biel 1124 über- und nebeneinander gestapelte, über Kabel miteinander verbundene Fernsehgeräte, auf deren Bildschirmen akribisch abgezeichnete Fernsehbilder zu sehen sind, aber auch Motive aus Kino, Fotografie und Kunstgeschichte. Aus der Entfernung wirkt die Bilderflut zwar bunt wie das Leben, aber dennoch seltsam homogen, als seien die Bilder eingesperrt in die Geräte, als sei der Blick auf sie seltsam verengt und begrenzt.
Einen ganz anderen Ansatz wählte die 1978 geborene Berliner Performance-Künstlerin Yvon Chabrowski. Genial einfach stellt sie die manipulative Kraft des Fernsehens bloß: Sie re-inszenierte ein berühmt gewordenes Fernseh-Interview mit Lady Di, mit dem die Prinzessin in ihrem Kampf gegen ihren Mann und das Königshaus zu punkten hoffte. In der Videoarbeit »An interview with H.R.H. The Princess Of Wales« von 2008 fehlen sowohl Interviewer als auch Kulisse – zu sehen ist nur die Schauspielerin, die Dianas Antworten nachspricht und dabei Mimik und Gestik des Vorbilds genau einstudiert hat. Plötzlich fallen all die subtilen Tricks auf: der ständige Augenaufschlag, die sanfte Stimme, die verschränkte, bescheidene Haltung.
Das Fernsehen hat die Kunst verändert, indem es Künstler anregte, inspirierte, herausforderte. Eine eigene Kunstform hat das Fernsehen zwar nicht hervorgebracht – aber an der Entstehung der Medienkunst als neues Genre hatte es durch seine bloße, provozierende Existenz seinen Anteil. Umgekehrt gilt das viel weniger: Weder Künstler noch ihre Kunst konnten das Fernsehen nachhaltig stören oder verändern, als zu stabil und selbstreferentiell erwies sich das System.
Doch es gab immer wieder tapfere Versuche. Dafür steht Christoph Schlingensief, einst Hausregisseur an der Berliner Volksbühne. Mit seiner Talkshow »Talk 2000«, deren acht Folgen 1997 auf RTL, Sat.1 und im ORF liefen, unterwanderte er das System Fernsehen und unterlief konsequent Erwartungen. Er lud Behinderte, Arbeitslose, echte und falsche Prominente ein, beleidigte seine Gäste, schnitt ihnen das Wort ab und ließ sich im Gegenzug von seinem Gast Harald Schmidt an die Wand quatschen. In Bonn sind mehrere Fernseher wie in einer Talkrunde im Kreis angeordnet, die 25-minütigen Sendungen laufen in Dauerschleife. Wir können mit Kopfhörern von einem zum anderen Bildschirm, von einer zu anderen Sendung wandern, der passende Ton wandert automatisch mit – zappen mal anders. Amüsant waren diese Talkshows, subversiv, entlarvend – aber letztlich wirkungslos. An seine Grenzen hatte Schlingensief das Medium mit »Talk 2000« jedenfalls nicht gebracht.
Die neueren Arbeiten, behauptet der mit klugen Aufsätzen u.a. von Umberto Eco und den Kuratoren Stephan Berg und Dieter Daniels bestückte Katalog, thematisieren »die Auflösungserscheinungen des ehemals so monolithischen Mediums Fernsehen im Zeitalter der Digitalisierung«. Dieses Versprechen allerdings löst die Schau nicht ein. Man kann sie insgesamt als Abgesang verstehen, ja – doch die schwindende Relevanz des Fernsehens spiegelt sich noch nicht in den Arbeiten. Auch in einer der neueren Arbeiten von 2014 arbeitet sich Stefan Hurtig, Jahrgang 1981, ebenso am Fernsehen ab wie seine Vorgänger, nur dass ihm inzwischen alle technischen Möglichkeiten offen stehen. »Challence (Leider kein Foto)« besteht aus einem an Ketten von der Decke baumelnden Flachbildschirm, auf dem ein rot geschminkter Mund vor schwarzem Hintergrund immer wieder Heidi Klums charakteristischen Satz aus ihrer Model-Show spricht: »Ich habe heute leider kein Foto für dich« – die ganze mit dem Fernsehen verbundene Verlockung, Hoffnung, Frustration, Beschränkung und Beschränktheit komprimiert.
»TELEGEN. Kunst und Fernsehen«, Kunstmuseum Bonn, bis 17. Januar 2016, Tel.: 0228/776260