// Trauer oder Triumph? Siegerlaune oder Grabesstimmung? Beides schwingt mit beim ersten Blick ins Entree. Zwei Dutzend Kränze hat Rirkrit Tiravanija da zum meterhohen Turm gestapelt. Man denkt kurz an Beerdigung, erkennt dann aber rasch, dass es Siegertrophäen sind, die den Ausstellungsstart in der Bonner Bundeskunsthalle markieren. Auf dem anschließenden Parcours kommen gut 40 Positionen deutscher Kunst aus den vergangenen vier Jahrzehnten zusammen – von Joseph Beuys bis Daniel Pflumm, von Gerhard Richter bis Rebecca Horn, von Martin Kippenberger über Gregor Schneider bis zu Wolfgang Tillmans.
Das alles stammt aus den beachtlichen Beständen der seit bald 40 Jahren still, aber stetig wachsenden Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland. Rund 1.200 Stücke von mehreren hundert Künstlern zählt diese wenig bekannte Kollektion inzwischen, ihr Wert wird auf mehr als 20 Millionen Euro geschätzt. Die Kuratoren konnten also aus dem Vollen schöpfen. Ihre Auswahl hatte zunächst in Brüssel die deutsche EU-Ratspräsidentschaft künstlerisch untermalt, jetzt ist sie zur »Visite« nach Bonn weitergereist.
Doch hat das Potpourri Tiravanijas aufgetürmte Vorschusslorbeeren wirklich verdient? Ja, das kann man sagen. Es bietet eine ganze Reihe schöner Einzelstücke, und die großzügige Inszenierung ist gelungen. Etwas angestrengt wirkt allerdings das System, mit dem die Schau ihr in jeder Hinsicht vielfältiges Material drei thematischen Schwerpunkten zuzuordnen sucht.
Nach der triumphalen Begrüßung trifft man auf ein comicartiges Frühwerk von Neo Rauch. Die damals amtierende Ankaufskomission hat den Anführer der Neuen Leipziger Schule 1996 entdeckt, lange bevor die Preise für seine Werke explodierten. Daneben hängt ein farbig-flirrendes, verwirrendes Großformat des heute ebenfalls hoch gehandelten Daniel Richter, es war bereits 1999 für die Sammlung erworben worden.
Den ständig wechselnden Ankaufskommissionen geht es immer wieder darum, gute Kunst zu erkennen und zu kaufen, solange sie noch erschwinglich ist. Denn verpasste Chancen sind mit dem Budget aus Steuermitteln nur schwer auszugleichen. Anselm Kiefer etwa sucht man bis heute vergeblich in der Sammlung des Bundes. Und Beuys kommt noch immer zu kurz. In Bonn hängt sein erst 2001 angekauftes Gesellschafts-Diagramm. Im politischen Kapitel der Schau begegnet es Katharina Sieverdings einst heftig diskutierter Fotoarbeit »Deutschland wird deutscher« und Georg Herolds ironischem Werk für die Wand, das die Grenzen Nazideutschlands in roh belassenen Dachlatten nachzeichnet.
Weiter geht’s mit einer ganzen Wand voll Kippenberger, mit Katharina Fritschs großer schwarzer Kunststoffmaus, mit einer Stehlampe von Isa Genzken und mit Rebecca Horns gefiederter »Paradieswitwe«. Zu den Vertretern der jüngeren Generation zählen Daniel Pflumm, der in einer vierteiligen Videoinstallation gekonnt glatte Werbebilder zitiert, und Wolfgang Tillmans, dessen großformatige Fotofolge Menschen in Londons U-Bahn auf die Pelle rückt.
Wichtiger als die zuletzt boomende deutsche Malerei scheinen in der Bonner Auswahl fotografische Dokumentationen jüngerer Zeit. Gregor Schneider ist zugegen mit 50 kleinen Fotos aus seinem »Haus u r«, das ihm 2001 bei der Venedig-Biennale einen Goldenen Löwen einbrachte. Ganz ähnliche Töne schlägt Florian Slotawa an, wenn er 1998/1999 diverse Hotelzimmer mit selbstgebauten Schlafhöhlen ablichtet.
Es sind vor allem neuere Ankäufe, die sich in der Bonner Auswahl vereint finden. Werke, die seit Mitte der 90er Jahre für die Sammlung des Bundes erworben worden sind bei Einkaufstouren durch die Kojen der einschlägigen Kunstmessen in Köln, Berlin und Basel. Fast eine halbe Million Euro steht der amtierenden Ankaufskommission dafür jährlich zur Verfügung.
Wenn die schönen Stücke nicht gerade zum Gastspiel im Museum oder Ausstellungshaus weilen, hängen die meisten von ihnen verstreut in Büros, Fluren und Foyers von Bundesgebäuden, in Ministerien, Gerichten, Behörden und Botschaften.
Genauso wollten es die Erfinder der Bundeskunstsammlung: Anders als die großen Landessammlungen, etwa in Düsseldorf oder Stuttgart, hatten sie es nicht darauf abgesehen, eine höchstrangige Kollektion mit herausragenden Werken internationaler Größen aufzubauen. Vielmehr soll- te es um die Förderung aktueller Positionen gehen, um ihre Repräsentation in eigenen Gebäuden und ihre Einbeziehung in das politische Leben.
Mit diesen Zielen war die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland 1970 an den Start gegangen. Auf Anregung des Künstlers Georg Meistermann und mit besonderer Unterstützung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und von Hans-Dietrich Genscher, seinerzeit Bundesinnenminister.
Schon seit den Anfängen findet sich Gerhard Richters geschäftige »Sekretärin« von 1964 in der Bundeskunstsammlung. Ein echter Oldie, der in Bonn auch auf Plakat und Katalog der aktuellen Ausstellung glänzt. Die Ankaufskommission von 1977 hat damit zweifellos einen guten Griff getan – heute würde diese frühe Fotoverwischung ein Vielfaches des jährlichen Ankaufsetats verschlingen. //
Bis 17. August 2008. Tel.: 0228/9171 200; www.bundeskunsthalle.de