Eine »Neue Mitte« wollte die Stadt da hinsetzen, wo sich einst zwischen Alt-Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld die Gutehoffnungshütte breitgemacht hatte. Doch das vorgebliche Stadtzentrum besteht aus wenig mehr als einem Einkaufszentrum, dem CentrO.
Nur wenige Meter davon entfernt befindet sich das ehemalige Hauptlagerhaus der Gutehoffnungshütte, 1925 gebaut nach Plänen von Peter Behrens: ein Überbleibsel nur und doch architektonisch das Beste, was die »Neue Mitte« zu bieten hat. Die erste Ausstellung im Behrens-Bau lädt dazu ein, diese Perle inmitten der mediokren postindustriellen Konsumwelt kennenzulernen. »Abgefahren« heißt die Ausstellung über Straßenbau im Rheinland, und mit ihr ist das Haus bei seiner jüngsten Rolle als Schau-Platz des Rheinischen Industriemuseums angekommen.Wie beim benachbarten Gasometer ist der Ort ebenso den Besuch wert wie die Veranstaltung.
Die Konzernherren wünschten sich ein zentrales Lager für alles, was die 30.000 Beschäftigten der Gutehoffnungshütte für ihre Arbeit brauchten: vom Maschinenteil über den Fahrradschlauch bis zum Schreibpapier.Neben der alten Firmenzentrale sollte das Lagerhaus nicht nur praktisch sein, sondern auch Macht und Modernität des Konzerns repräsentieren. Den Architekten-Wettbewerb gewann 1920 Peter Behrens, der sich, unter anderem, als Chefgestalter der AEG einen Namen gemacht hatte. Was nach seinen Plänen bis 1926 in Oberhausen entstand, nannte Behrens später seine »beste und reifste Schöpfung«: Da sei es ihm gelungen, seine »Kunstanschauungen am klarsten zu verwirklichen«. Über 90 Meter dehnt sich der Stahlskelett-Bau horizontal, fünf Stockwerke ist er hoch. Erschließungstürme, zurückspringende Dachgeschosse, Fenster und Gesimsbänder beleben die großen Flächen und die Silhouette. Mit seinen kubischen Formen ist das Lagerhaus nüchterner als Behrens’ 20 Jahre ältere AEG-Turbinenhalle in Berlin und gewiss keine »Kathedrale der Arbeit«. Dennoch und obwohl der Arbeit in einem Materiallager wenig Heldisches anhaftet – das mächtige Gebäude strahlt Pathos aus.
Bis 1992 diente der Behrens-Bau den Nachfolgefirmen der GHH, dann war er überflüssig.Bis dahin hatte er wie ein großes Schiff inmitten eines Geleitzuges aus Hochöfen und Werkhallen gewirkt; nun wurde rundum das Industriegelände abgeräumt. Umso mächtiger wirkte das kostbare Überbleibsel jetzt – und gleichzeitig ein wenig verloren, wie gestrandet.
Zum Glück ergab es sich, dass der Bau musealen Zwecken dienen konnte: Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) übernahm das Gebäude und nutzt es seit 1998 als Lager für die Sammlungen des Rheinischen Industriemuseums. Die Sanierung blieb unauffällig und ohne sterile Aufhübschung. Die Ausstellung »Abgefahren« ist nun ein erster Schritt zur Öffnung des Hauses. Noch ist nur das Erdgeschoss als Ausstellungsraum hergerichtet; überdies hat sich Hausherr LVR als oberster Straßenbauer und Pontifex im Lande selbst zum Gegenstand der Premieren-Ausstellung gemacht. Sie zu besuchen lohnt sich dennoch.
Der Vorplatz des Behrens-Baus sieht aus wie eine abgesperrte Baustelle. Doch der Zugang durchs alte Pförtnertor ist frei, und dahinter wuchert die Ausstellung gleich mit ihren dicksten Pfunden: einer vierspännigen Pferde-Straßenwalze und ihren dampf- und dieselgetriebenen Nachfolgern. Dazu ein Stück Chaussee, Kopfsteinpflaster und eine frisch angelegte Teerstraße. Seilbagger, Arbeiterbude, Feldbahnlok – vieles auf dieser Baustelle wirkt hoffnungslos altmodisch, obwohl solche Gerätschaften noch vor wenigen Jahrzehnten alltäglich waren. Selbst vom grotesken »Benzinfrosch«, der 1938 explosionsgetrieben vor den Arbeitern einherhüpfte und den Straßenbelag verdichtete, gab es kleinere Vettern noch lange nach dem Krieg. Ebenso die Sturmlaternen, die statt elektronischer Blinkleuchten an einer Absperrung hängen: Mancher Besucher mag den typischen Geruch verbrannten Petroleums dazu spüren und leise darüber erschrecken, welch altertümliche Technik ihm noch vertraut ist.
Die Schau technischer Geräte setzt sich im Erdgeschoss des Lagerhauses fort. Die Aussteller sind sich der Faszination bewusst, die solche Apparate auf männliche Kinder jeden Alters ausüben. Eine Carrera-Autobahn unter Glas zollt dem Spieltrieb Tribut; nicht minder eine ausrangierte Autobahn-Warnleuchte, an der man endlich mal nach Belieben zwischen »STAU!«, »Baustelle«, »Überholverbot« und freier Fahrt hin- und herschalten kann.
Ganz ernst reflektiert die Ausstellung ideologische Hintergründe zum technischen Wandel von der staubigen Chaussee bis zur mehrspurigen Piste. Zum Beispiel Mythen um jene Autobahnen, die noch immer viele Deutsche Hitler zugute halten. Tatsächlich, das zeigt »Abgefahren« noch einmal, stammten Idee und Anfänge der Autobahn aus der Weimarer Zeit. Tatsächlich hatte die Landschaftsarchitektur der Autobahnen ihre Vorläufer, zum Beispiel in amerikanischen Parkways. Tatsächlich waren die bekannten Bilder schaufelschwingender Arbeiterkolonnen bloße Propaganda zum Ruhme deutscher »Faustarbeit«, denn Arbeitsbeschaffung war in den 30er Jahren überflüssig, und man nutzte in Wahrheit schon »Kosten senkende Großgeräte«. Andererseits waren die Autobahnen fast ohne kriegerische Bedeutung und von den Militärs als Orientierungssystem für feindliche Luftflotten eher gefürchtet.
Absonderlich ist der Blick auf die Straßenbegeisterung der Nachkriegszeit. Der während der 60er Jahre in Bochum gezeichnete Wunschtraum eines wuchernden städtischen Schnellstraßennetzes etwa ist in seiner Gedankenlosigkeit halb belustigend, halb erschreckend. Den Wendepunkt markiert die Ausstellung mit Emil Schults Grafik für das »Autobahn«-Album der Düsseldorfer Gruppe Kraftwerk. Das war 1974, ein Jahr nach der Ölkrise. Und wie die elektronische Musik zwischen naiver Begeisterung und demonstrativer Langeweile beim »Fahrn fahrn fahrn auf der Autobahn« zu oszillieren schien, so ist auch das Cover-Design Schults ambivalent: Der Heckflossen-Mercedes und der Faltdach- Käfer, die sich da auf modernem Autobahn- Band begegnen, haben 1974 längst ihre Zeit hinter sich. Früher war Straßenplanung einfach: »Zuerst«, so wird ein ehemaliger Oberbaurat zitiert, »habe ich einen Strich auf die Karte gemacht. Dann bin ich rausgefahren und habe geprüft, ob das geht …« Doch als ein Ende der Benzinherrlichkeit erstmals abzusehen schien, waren Straßenbauer nicht mehr überall als Fortschrittsboten willkommen.
Bürger setzten sich immer häufiger gegen Straßen zur Wehr. Über dem seit Ende der 60er geplanten Ausbau der A1 zwischen Leverkusen und Kamen »gingen zwei Amtsleiter in Pension«, so ein genervter Ingenieur.
Und wo Bürger den Kürzeren zogen, wurden sie ausfällig: »Scheiß Autobahn« ließ ein Anwohner der A 52 akkurat auf seine Hauswand pinseln. Es spricht für die Straßenbauer des LVR, dass ihre Ausstellung das nicht verschweigt. Vom Behrens-Bau ist in dem ebenerdigen Ausstellungsraum nicht viel zu spüren. Er gibt jedoch die Möglichkeit, zwischendurch von der Autobahn ab- und mit einem der wohnzimmergroßen Lastenaufzüge des Lagerhauses zum fünften Stock zu fahren. Dort, in einem renovierten Raum mit vielen Fenstern, gibt es eine kleine Ausstellung über den Architekten und Gestalter Peter Behrens und eine große Aussicht auf das Gelände der ehemaligen Gutehoffnungshütte – nebst Informationen über die versunkene Industriewelt rund um Behrens’ Meisterwerk. Die alte Mitte.
Oberhausen, Essener Str. 80. Bis 28. Mai 2006; Tel. 01805-743465; www.rim.lvr.de