TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Manchmal braucht es nur ein Stück Knete, um einen Tisch zu entwerfen. Für Daniel Michel war die graue Masse experimenteller Ausgangspunkt für seinen »Reconnected Table« – eine ovale Form mit glatter Oberfläche, an deren Unterseite die Masse drei stalaktitenartige Ausformungen aufweist, in die Nadeln gesteckt wurden, die die Tischbeine symbolisieren sollten. Auf den ersten Blick nicht mehr als eine dreidimensionale Ideenskizze, eines von den schnell angefertigten Modellen, die jeder Designer auf seinem Schreibtisch stehen hat. Für Michel war das kleine Tischchen auch nur der erste Schritt – das Modell wurde von einem 3D-Scanner abgetastet und am Computer in ein polygonales Gitternetz umgerechnet, das Daniel Michel immer weiter reduzierte und das Gitter dabei so vereinfachte, dass nur noch wenige jener Knotenpunkte übrigblieben, die die dreieckigen Netzelemente miteinander verbinden. Das Resultat bildet den Unterbau des »Reconnected Table«; aus den dünnen, virtuellen Linien des Computermodells sind in der realen Welt Buchenholzstäbe geworden, verbunden mit Steckverbindungen aus Polyamid. Auch die Form der polygonalen Tischplatte richtet sich nach der Struktur der Unterkonstruktion.
Das alles hört sich komplex an, gehört aber zum gestalterischen Konzept von Daniel Michel. Der gebürtige Leipziger und Wahl-Düsseldorfer ist ausgebildeter Goldschmied und hat an der FH Düsseldorf Produkt- und Schmuckdesign studiert. Der dortige Studiengang ist stark konzeptuell ausgerichtet; ein Umstand, der Michels Arbeit und Entwürfe geprägt hat. Ihn reizt das Experiment – welche technischen Systeme lassen sich beim Entwurf und der Fertigung nutzen und inwieweit beeinflussen diese komplexen Rechenmodelle die Arbeit des Designers? Er nutzt die Technologie bewusst, wie bei seiner »Google-Vase«. Sie ist ein Remix vorgefundener Designformen; als ersten Schritt lieferte ihm die Google-Bildersuche unter dem Begriff »Vase« entsprechende, teils kitschige Vorlagen. Acht Vasen-Formen und Dekors wurden von ihm ausgewählt und mit Hilfe einer 3D-Konstruktions-Software räumlich bearbeitet und um einen virtuellen, zentralen Punkt arrangiert. Die Übergangsformen zwischen den verschiedenen Vasen-Stücken hat die Software selbst miteinander verschmolzen und verbunden. Danach wurden die Texturen und Dekors hinzugefügt. Das so entstandene Gittermodell wirkt auf dem Bildschirm wie der Aufriss eines futuristischen Wolkenkratzers und dient als Vorlage für den 3D-Drucker, der die Vase, mit Hilfe eines Lasers, aus Keramikpulver Schicht für Schicht aufbaut. Auch die Texturen werden in diesem Prozess mit »ausgedruckt«.
Trotz des konsequenten Einsatzes von Technologie wirken Michels Entwürfe nie kalt oder seelenlos. Das rührt daher, dass vor der Technik oft natürliche Materialien stehen, wie die Knetmasse beim »Reconnected Table« oder eine Schüssel voll weißer, milchartiger Flüssigkeit im Fall der Acrylglas-Schale »Form Follows Foam«. Deren polygonale Struktur leitet sich aus den Luftblasen ab, die entstehen, wenn man mit einem Strohhalm Luft in die Flüssigkeit pustet. Ein Clip auf Daniel Michels Web-Seite veranschaulicht das Gestaltungskonzept.
Für die Form seiner Lampe »Converted Lampshade« hat Michel vorher mit einem Stück Papier experimentiert. Seine Grundidee war, den klassischen, konischen Lampenschirm »aufzufalten« und dem Licht eine neue Form zu geben. »Converted Lampshade« ist wie »Lightstripe« und »Bye Bye Bulb« Michels Antwort auf das Ende und die Abschaffung der herkömmlichen Glühbirne. Statt aber kulturpessimistisch den Verlust einer traditionellen Technologie als Untergang des Abendlands zu beklagen, denkt Michel schon weiter. Weiter als die klobigen Energiesparbirnen, die für ihn nur einen Übergang markieren, hin zum Einsatz von platzsparenden und effizienten LEDs. Die LED-Technik ermöglicht ganz neue Gestaltungsansätze. Die zu kantigen Wellen aufgefaltete »Converted Lampshade« ist eine dünne Aluminium-Platte, die gleichzeitig als Kühlkörper für die darin verbauten vier Hochleistungs-LEDs dient, die eine starke Abwärme entwickeln.
»Lightstripe«, die wie alle seine Lampenentwürfe fast skulpturalen Charakter hat, wurde konsequent auf das Wesentliche reduziert. Der gewellte Korpus besteht aus einem CNC-gefrästem Alu-Dibond-Streifen; einem dünnen und flexiblen Material, das auch Fotografen zum Aufziehen ihrer Bilder nutzen und das für die 36 flachen LEDs als elektrischer Leiter dient, was eine weitere Verkabelung spart. »Bye Bye Bulb« hingegen zitiert die Formen der Vergangenheit – ein unbespannter, gitterartiger Lampenschirm, der scheinbar mit einem Glühbirnengewinde ausgestattet ist. Ein Spiel mit den Erwartungen – im Gewinde ist stattdessen eine 10 Watt Hochleistungs-LED untergebracht.
Auch beim Schmuckdesign schreckt Michel nicht vor Technologie zurück. Für die Schmuckserie »Window Shopping« war er mit der Digitalkamera auf der »Kö« unterwegs und hat die Auslagen der Luxus-Juweliere fotografiert; protzige, brilliantenbesetzte Stücke wie ein Ring in Blütenform im Fenster von »Bucherer«. Die Fotos wurden mit einem speziellen Computerprogramm zu räumlichen, polygonalen 3D-Modellen umgerechnet und anschließend im bewährten 3D-Drucker ausgedruckt. Das Ergebnis ist keine direkte 1:1-Kopie, da die Fotos keine vollständigen 3D-Daten liefern. Wie schon bei der »Google-Vase« errechnet der Computer die fehlenden Verbindungen, was zu interessanten Verzerrungen und Verklumpungen der »Kopie« führt. Mit der Benennung der neuen Schmuckstücke bedankt sich Michel artig beim Händler: »Danke, Bucherer!«
Die Polygone lassen ihn auch bei seinen »eigenen« Schmuckentwürfen nicht los. Die Broschen seiner »German Series« haben den speziellen, kantigen Netzcharakter und spielen mit deutschen Befindlichkeiten. Die vergoldete Polyamid-Brosche in Bananenform trägt den Namen »Danke, Herr Scholz! or How the Imperialistic Phallus invaded the Part of Germany where the Sun arises« – womit aber kein Düsseldorfer Juwelier gemeint ist, sondern Helmut Kohl, von dem eine Bekannte aus dem Ausland dachte, er würde Scholz heißen.
Michel spielt mit der Technik und lässt sich von ihr inspirieren. So schafft er es, aus Bildfehlern Schmuck zu machen. Die Pixelwolken, die bei gestörtem DVBT-Empfang auf dem Fernsehschirm aufflackern, hat er per Screenshot gesichert, aus dem Fernsehbild ausgeschnitten und auf Alu-Dibond aufgezogen; versiegelt mit Acrylglas. So kann man die Bildstörung der letzten »Domian«-Sendung als Brosche an der Jacke tragen. Oder aber direkt den Grund- oder Aufriss eines Sarges – die Brosche »Coffin to go« besteht aus schwarz beschichtetem Stahl; ihre acht Flächen werden von Michel in verschiedene Varianten gefaltet. Vorbild dafür war passenderweise ein Gedicht von Charles Bukowski: »Und außerdem ist die Miete zu hoch«.