TEXT: ANDREAS WILINK
Achtung! Das könnte Sie verstören. Soll es auch. Aber nur weil es Absicht ist, macht es die Irritation nicht geringer. Roee Rosen lässt nie außer Acht, dass das, was er tut, ein Akt von Inbesitznahme ist. Ein Übergriff – auf die (Selbst-)Darsteller seiner Filme, auf den Zuschauer, nicht zuletzt auf sich selbst oder auf den oder die, als die er sich gerade ausgibt. Camouflage. Masken, um sich kenntlich zu machen. Und um gesellschaftliche Befindlichkeiten zu enthüllen.
Da steht in »Confessions coming soon« ein Kind vor grüner, schwarzer, konstruktivistisch gepunkteter oder blutsuppig blubbernder Wand und berichtet in überbetontem Englisch, dass er das passive Opfer und Demonstrationsobjekt dieser künstlerischen Aktion sei. Ein Fall von Manipulation. Der Junge hebt seinen rechten Arm bis zur Höhe des Kopfes – eine Geste, die so stark besetzt ist, dass man sie nicht erklären muss. Sodann gibt der Kleine sich als Darsteller eines Clips aus, der den Filmemacher Rosen als Experte seiner skandalösen und kriminellen Eigenschaften bewerben will.
»Just imitate«, fordert Rosen in einer weiteren Probeaufnahme, die sich selbst wieder als Kunstprodukt ausgibt, dem Kind ab. Es geht dabei wieder um jene historisch kontaminierte Gruß-Pose.
Gegen Roee Rosen sind unsere Satiregipfel Bodensenken des Humors, und im Vergleich wäre jemand wie der legendäre New Yorker bad boy Lenny Bruce kaum weniger brav als der intellektuelle Schlemihl Woody Allen.
1963 geboren in Rehovot; Studium der Geisteswissenschaften in Tel Aviv und der Visual Arts in New York: Rosen ist in seiner Heimat Israel berüchtigt, als Filmemacher, Maler, Schriftsteller und Aktionskünstler. Er schließt auf spezielle Weise an den Surrealismus an. Ich sind bei diesem Dadamax viele Andere. Unberechenbar. Undurchschaubar. Unverkennbar.
Seine subversiven Filme betreiben mentale Hygiene mit rabiaten Reinigungsmitteln. Es sind schräge Todesfugen, schrille Gender-Studien eines Feministen und – wie »Hilarious«, worin vor kicherndem Publikum ein lesbischer Stand-up-Comedian, begleitet von einer Power-Frauen-Band, auftritt – zum Schießen komisch. Da werden rassistische, sexistische und politisch, ökonomisch, moralisch unkorrekte Witze gerissen, etwa über die Besatzung, über Nazis, jüdische Ärzte und Wallstreetmillionäre an Nine Eleven, die amerikanische Populärkultur und Israels community, über Damien Hirsts eingelegten Hai, Goldfische und Gefilte Fisch.
In »TSE« begibt Rosen sich in sexuelle Extremzonen von BDSM (besser bekannt als Sadomasochismus), um sie in den Aspekten von Freiheit, Dominanz, Kontrolle, Schmerz zu besprechen und dann in eine Allegorie sozialen Verhaltens, von Ritualen, Mechanismen und Ausdrucksformen im Verhältnis zur arabischen Bevölkerung und militanter Politik zu übersetzen. Außenminister Avigdor Lieberman, Chef der Partei Jisra’el Beitenu, erscheint als Dämon, so dass ein Exorzismus am Kollektiv-Körper des Staates vorgenommen werden muss.
Zu den jüngsten Arbeiten zählt »The Confessions of Roee Rosen«, zu dem die anfangs geschilderte Szene mit dem Jungen gewissermaßen den Prolog darstellt. Drei Gastarbeiterinnen, die des Hebräischen nicht mächtig sind und sich deshalb von einem Teleprompter in Lautschrift soufflieren lassen, sprechen einen scheinbar autobiografischen Text. Die erste Frau sagt (und es klingt fast wie ein Gebet), dass diejenigen, die sie kennen, wissen würden, dass sie während ihrer gesamten Karriere »mit Lügen, Skandalen, obszönen Bildern und falschen Identitäten« gearbeitet habe. Stimmt, Mister Rosen!
Zwischen radebrechender Deklamation und naiver Provokation, abstraktem Exhibitionismus und permanenter Distanzierung vollzieht sich ein Experiment in Sprechakten. Die einstündigen Bekenntnisse, die mit ironischen Verweisen scherzen und vorgeben, sich auf Augustinus und Rousseau zu berufen, markieren auch die Kluft in Verstehen und Verständigung, die sich in Israel für andersartige und andersfarbige Einwanderer auftut.
In »Dr. Cross« (1994) persifliert er eine Analyse-Situation vor der Silhouette einer Straßenschlucht in Manhattan zwischen Ärztin (mit Schnurrbart) und Patient (mit plüschigem Mauseohren-Kopfputz), die ihn nach Stichworten frei assoziieren lässt und auf sexuelle und gewalttätige Antworten und Schuldgeständnisse lauert – bis zum verboten amourösen Finale.
Am irrsten und komplexesten ist Rosens fiktive Künstlerbiografie »Two Women and a Man« über die angeblich belgische Surrealistin Justine Frank und ihren pornografischen Roman, handelnd von einer antizionistischen Jüdin namens Rachel. Rosen montiert das zu einer Collage aus Comic, Rorschachtest-Formfiguren, Kippbildern mit Vagina-Fantasien, Scherenschnitten wie von der großen Lotte Reiniger, Zeichnungen, die von einem erotomanen Chagall stammen könnten, und Filmmaterial, das etwa Jean Baudrillard bei einer Konferenz zeigt. Fantomas verwandelt sich hier in einen orthodoxen »Frankomas«, das Alphabet in eine Buchstabenfolge wie aus dem antiken Satyricon. Und Eva Braun geistert neben dem Rotkäppchen durch die gespenstisch tolldreiste Doku-Fälschung.
Rosen, blasphemischer Heiliger und kultiviertes Monstrum, macht seine Albträume publik und zeigt seine Wundmale, eingebrannt durch Kriegsgreuel, nationale Traumata und individuelle Verletzungen. Er vereinnahmt für seine polemischen Zwecke Wissenschaft, Medizin, Anatomie und Ökonomie. Er lässt Sprengsätze los, bei denen man nicht weiß, woran man ist, veranstaltet Bodytalks zwischen de Sade und Bataille und kreiert ein raffiniert gebrochenes obszönes Werk, das die Perversion als engagiertes Entertainment betreibt.
Retrospektive Roee Rosen: 29. und 30. April 2012. www.kurzfilmtage.de