Der Titel der Ausstellung stammt von Heine – aus dem XXXIII. Artikel der »Lutezia « –, aber bezieht sich gewissermaßen auf Schumann. Denn dem Dichter gilt in einer sich ins Spirituelle steigernden historischen Betrachtung »die Musik vielleicht als das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens«. Schumann wiederum sah sich als »Dichter und Componist in einer Person«, suchte das Ideal dieser Synthese, erstrebte »Töne als verschleyerte Venusformen« und die Abstraktion des Gefühls in einen Ausdruck sprachloser Empfindung. Mit dem musikalischen Notenschlüssel, der sich als »lyrische Idee der sich wiederherstellenden Unmittelbarkeit« (Adorno) begreifen lässt, öffnen sich Seelen- und Echoräume, wie sie in der kargen Architektur der Kunsthalle und in den repräsentativen Stadtpalais-Kabinetten des Heine-Instituts eingerichtet worden sind.
Erste, letzte, viele Worte – ohne sie geht es nicht in diesem Doppel-Porträt anlässlich des 150. Todestages der mit Düsseldorf so intensiv verbundenen Künstler Heine und Schumann.
Versammelt in Vitrinen mit Schriften, kostbaren Manuskripten, Erstausgaben, Briefen, Partituren. Inkunabeln wie der ansonsten in einem Banktresor verschlossene Widmungsbrief an Fürst Pückler-Muskau zum »Wintermärchen«, der Autograph der »Loreley « oder Schumanns Klavierkonzert verlangen sozusagen die permanente Beugung und Verbeugung vor dem Werk der Künstler, die in Korrespondenzen wie Differenzen einander parallel gesetzt sind. Kurioses wie eine Haarlocke des Dichters oder die Lebensrettermedaille des Strommeisters Jungermann, der Schumann aus dem Rhein holte, sind in ihrer Art rührende, wohl stets unvermeidliche Beigaben solcher auch biografischen Annäherung.
Kunsthalle und Heine-Institut teilen sich in die in vier Stationen gegliederte Schau, die sich zudem von der beinahe benachbarten Kunstakademie speist, indem sie Malerei und Skulptur von Absolventen der Klassen Kiecol, Kneidl, McBride und Ortner in die Präsentation – etwas bemüht und mit einigem Abstand – integriert. Weshalb sich der gediegen konventionelle, quasi verbriefte literar- und kulturhistorische Parcours zumeist überzeugender ausnimmt als der Versuch, ihn künstlerisch aktualisierend und assoziativ zu erweitern.
Ein Fest also der Künste und Bezüge. Zudem ein pompe funèbre, das im dritten Kapitel »Die kühle Nacht« beider langjähriges Kranken- und Elendslager aufruft: mit schaurigen Passions-Instrumenten, -Requisiten und -Dokumenten wie Brenneisen zur Behandlung von »Lazarus« Heines Rückmarksleiden und Lähmungen, Morphiumrezepten, Testamentsverfügungen und ärztlichen Krankenblättern aus der Heilanstalt Endenich bei Bonn, wo Schumann seiner »Melancholie mit Wahn« erlag, die heute wohl als Schizophrenie zu diagnostizieren gewesen wäre.
Als Requiem ihres finales Kunstschaffens erscheinen dazu etwa Exponate mit Schumanns »Geistervariationen« sowie Verse und Blätter Heines, in denen der Tod Einkehr hält und die der Bettlägerige nur noch mit letzter Kraft per weichem Bleistift verfassen oder eher bemalen konnte. Am Schnittpunkt zwischen Gemütsverdunkelung, Leidenspathos und dessen unsentimentaler Brechung stehen zwei ebenfalls von Akademie-Absolventen geschaffene gläserne Särge, die wie hypertrophe Märchenschreine keinen Platz für falsche Gefühle zulassen, sondern sie durchsichtig werden lassen. Heine hat ohnedies den Tod nie tabuisiert, sondern ihn früh – zumindest poetisch – integriert, bevor er sich selbst in der ars moriendi so staunenswert couragiert bewährte. »Die Salons lügen. Die Gräber sind wahr.«
Über Grab und Gruft hinaus reicht die Betrachtung zur nachfolgenden Denkmalpflege und Rezeption entlang ideologischer, politischer und ästhetischer Verwerfungen und Vereinnahmungen, Manipulationen und Missdeutungen, Diffamierung und Idolisierung.
Widersprüche, Einwände, Spannungen waren bei Heinrich Heine extremer als bei Robert Schumann, wie die vierte Abteilung bis in die Gegenwart hinein ausführt – zu besichtigen in dem Heines und Schumanns Nachlass und Sammlung betreuenden Institut auf der Bilker Straße. »Beide Künstler werden in ihrer Wirkungsgeschichte gewissermaßen zu noblen Exempeln einer sich stets dem veränderten öffentlichen Bewusstsein anpassenden Sepulkralkutur», schreibt Joseph Anton Kruse in der Einführung des nicht nur wegen seiner mehr als 450 Seiten gewichtigen Begleit-Katalogs.
Zum Auftakt der Ausstellung werden zwei Melodien angeschlagen, die zunächst Dissonanz erzeugen sollen: »Träumerei« (für Schumann) und »Neues Lied« (für Heine), womit die Positionen Romantik und Revolution markiert und in Front gebracht sind, obwohl sie nicht unbedingt immer Gegensätze bilden müssen, sondern einander auch bedingt haben.
Hier aber bilden sich Antithesen, wenn auf Ludwig Richters Gemälde »Frühlingsabend « als Bildwerdung idyllischer Stimmung die »Schlesischen Weber« von Carl Hübner antworten: realistisch soziale Behauptung, in die der »Fluch dem falschen Vaterlande« eingewoben ist. Da brauchte es noch viel bis zum Himmelreich auf Erden.
Eine zerborstene Wand bildet dazu die Querachse, die von dem Akademie-Studenten Sebastian Wickeroth (der im März- Heft von K.WEST im Artikel zum Akademie- Rundgang fälschlich als Thomas Wickeroth auftaucht) montiert und demontiert wurde. Ihre Splitter reflektieren zum einen C.D. Friedrichs »Gescheiterte Hoffnung« und vereinen in dem Zerstörungsakt eines idealen Entwurfs zugleich den Widerspruch der Epoche zwischen Napoleon und Metternich, Restauration und Vormärz.
Heine und der um ein Jahrzehnt jüngere Schumann sind sich nur einmal für einige Stunden begegnet: am 28. Mai 1828 in München, wo Heine kurzfristig als Redakteur in Lohn stand und sich vergebens um eine akademische Berufung bewarb. Man sprach über den gemeinsam verehrten Napoleon, besuchte zusammen die Leuchtenberg-Galerie. Für den Abiturienten auf »Jünglingsfahrt «, der bei dem – neben und nach Jean Paul – bewunderten Dichter »ein bittres, ironisches Lächeln, aber ein hohes Lächeln über die Kleinigkeiten des Lebens und Hohn über die kleinlichen Menschen« fand – ganz so wie es auf dem von der Hamburger Kunsthalle nach Düsseldorf entliehenen berühmten Oppenheim-Gemälde in Heines Augen und auf seinen Lippen spielt – war der Eindruck prägend. Am Ende werden es 40 Lieder sein, die er seit 1840 nach Heine-Gedichten komponiert haben wird, darunter die Zyklen »Dichterliebe« und »Liederkreis«. Heine hat seltsamerweise die Kompositionen mit nichts als kränkendem Schweigen quittiert. Einen weiteren Missklang brachte später ihre publizistisch vehement, wenngleich halb verdeckt ausgetragene Kontroverse um Meyerbeer und dessen 1836 uraufgeführte »Hugenotten «-Oper, die Heine enthusiastisch pries und Schumann strikt ablehnte – aus ästhetischen wie aus politischen und religiösen Motiven.
Allein, die indirekten Verbindungen dieser ihrer Zeit symbolisch gewordenen Künstler und (angesichts verehrender und verfälschender Verformungen) auch Kunstfiguren sind weniger peripher. Gerade ihnen spürt die materialreich und kompetent gestaltete Ausstellung nach. Es sind Analogien, die eine eigenartig sich verflüssigende Mischung ergeben, wie wenn man »träumenden Auges « (Heine) an einem Küstenhorizont Land, Wasser und Himmel ineinander verschwimmen sieht. Da ist die mythisierende Aneignung und Anschauung des Rheins und seiner Landschaft. Dann die hochkomplexe ambivalente Sprache der Liebe, die Verkettung von Liebesglück, -leid und -sehnsucht im Nachklang der Schmerzen – bei Heine etwa verursacht durch die Kusine Therese, die er in Hamburg trifft und die noch an sein Sterbebett kommen wird, bei Schumann in der Bindung zu Clara. Zusammenhänge stiftet ebenfalls das Siechtum, die »hundsföttische« (Heine) Krankheit. Nicht zuletzt bieten beide ein Archiv deutschen Gefühls – beinhaltend auch das Prekäre eines Deutschtums, das dem »Franzosen« und getauften Juden in nationaler und national-sozialistischer Tollwut abgesprochen, dem Komponisten im Übermaß zugesprochen wurde. Es mag Schumann bisweilen ebenso »vom Herzen überdrüssig« gewesen sein wie das Wort Romantiker. //
Bis 11. Juni 2006, Grabbeplatz 4 und Bilker Straße 12-14; Katalog, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, und Bärenreiter, Kassel