TEXT: STEFANIE STADEL
Thorsten Schoth
(Klasse Katharina Fritsch)
»Rundgang-Panik«, so nennt Thorsten Schoth, was sich alle Jahre wieder gegen Ende des Wintersemesters abspielt, wenn in den Klassen und auf den Fluren fieberhaft gewerkelt wird. Es gebe Studenten, die all die übrige Zeit ihre Beine hochlegten und erst im Januar durchstarteten, um vor großem Publikum eine gute Figur zu machen. Schoth zählt sich selbst nicht zu dieser Sorte. Und er wirkt auch eher beständig. Die Arbeitswoche verbringe er von relativ früh bis spät in der Akademie. Selbst zum Geldverdienen braucht er nicht mehr vor die Tür: Schoth jobbt dort in der Gipswerkstatt.
Man trifft ihn mitten bei der Arbeit, in einer von oben bis unten weiß verschmierten Hose. Auf dem Fußboden kniend neben einer knapp überlebensgroßen Gips-Badewanne – und ohne jede Spur von Panik. Die braucht er auch nicht zu haben, denn die Wanne, das Kernstück seines Rundgang-Auftritts, ist beinahe fertig. Nur der Inhalt fehlt noch. Schoth denkt an milchiges Silikon und pastellfarbene Gipskringel. Auf dem Tisch liegen bereits ein paar Prototypen: täuschend echte Imitate der stark zuckerhaltigen Getreideringe in Zartlila.
Auch ein mögliches Opfer der süßen Knabber-Orgie soll seinen Platz im Zuber bekommen – Schoth will zwei Beine formen und über den Badewannenrand baumeln lassen. Die Pläne versprechen ein amüsantes Ergebnis, und sie lassen deutlich Schoths Vorbild anklingen: Katharina Fritsch mit ihren Figurationen zwischen Mystik und Ironie – den Riesenratten, den knatsch-gelben Madonnen, der müden Tischgesellschaft, dem Hahn in Ultramin auf dem vierten Sockel am Trafalgar Square.
»Natürlich übt sie Einfluss auf mich aus«, gibt Schoth freimütig zu. Nicht umsonst hatte er sich bei Fritsch beworben, gleich als sie 2010 ihre Professur in Düsseldorf antrat. Seither formt der 1987 in Lüdinghausen bei Münster geborene Künstler hier in Gips, Polyester und Silikon seine eigenen Gestalten und Geschichten. Sie wirken persönlicher, weniger allgemeingültig und oft erzählerischer als jene seiner Lehrerin.
Zum Rundgang will er neben der Wanne ein paar appetitliche Fledermäuse für Haribo-Freunde an die Wand hängen. Zwar sind sie viel größer als ihre Artgenossen aus Fruchtgummi, sehen aber sonst ganz echt aus. Als wären sie gerade eben weich, süß und saftig der Tüte entflogen. Die Enttäuschung käme wohl erst beim Versuch, hineinzubeißen in die knallharten Riesen aus Silikon. Der Genuss bleibt Sehnsucht.
Lisa-Julie Rüping
(Klasse Georg Herold)
Eine Etage höher machen sich Georg Herolds Schüler für den Rundgang bereit. Lisa-Julie Rüping ist eine von ihnen und sie hat nichts gemein mit dem verschmierten Kunstarbeitstier. Am sauberen Tisch offeriert sie frischen Fencheltee zum Gespräch über ihre minimalistischen Rauminstallationen, die ebenso aufgeräumt wirken wie die zierliche junge Frau (Jg. 1986) und ihr Arbeitsplatz.
Rüping hatte zunächst zwei Jahre lang Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie studiert, bevor der »Drang selbst etwas zu machen« zu stark wurde und sie zum Wechsel an die Kunstakademie bewog. Ganz hat sie sich allerdings noch nicht getrennt von der Wissenschaft. Die Philosophie läuft seit elf Semestern nebenher, habe aber, so Rüping, nur mittelbar Einfluss auf ihr künstlerisches Werk, das sich verschiedener Techniken bedient, aber trotzdem homogen wirkt.
Denn egal, ob in Fotografie, Malerei oder Collage, in Plastik oder Installation – immer ist die Sprache schlicht, geometrisch, ungegenständlich und durchgängig geprägt vom Verhältnis zwischen Fläche und Raum. Es scheint durch, wenn die Künstlerin architektonische Raumkanten fotografiert, und ebenso, wenn sie mit wenigen Aquarellstrichen räumliche Tiefe suggeriert.
Für den Rundgang hat Rüping eine installative Arbeit ausgesucht. Sie setzt sich zusammen aus einem schlichten, leichten, dunklen Metallobjekt und zwei in ihrer reduzierten Form und Farbigkeit korrespondierenden Wandarbeiten. Ein ruhiges ausgewogenes Miteinander, das zwischen Raum und Wand, Bild und Objekt, Körper und Fläche vermittelt. Mit dem Auftritt verabschiedet sie sich – für absehbare Zeit – aus Düsseldorf, um eine Stage an der berühmten Pariser Ecole nationale supérieure des beaux-arts einzuschieben.
Canan Brüser
(Klasse Georg Herold)
Ein Klopfen an der Tür, kurz darauf steht Canan Brüser im Atelier der Herold-Klasse. Zur Zeit arbeitet sie meistens daheim in der Nähe von Siegen und ist zum Interview eigens angereist. Etwas früher als verabredet kommt die Künstlerin an, schwer bepackt mit einer Einkaufstasche voller Unterlagen und einem schützenden Metallköfferchen. Da steckt fast alles drin, was sie für den Rundgang braucht.
Als erstes zieht sie das alte Schwarzweiß-Foto einer jungen Frau hervor, die sich adrett in Pose gebracht hat – mit weißer Bluse und einem Lächeln auf den Lippen. Brüser weiß, dass der heitere Schein trügt, denn sie kennt die Geschichte der Frau und auch das Foto. Es zeigt ihre Oma und hängt seit vielen Jahren bei der Mutter zu Hause im Wohnzimmer. Die Künstlerin erzählt vom harten Leben der porträtierten Kleinbäuerin, die neun Kinder zur Welt gebracht habe, aber arm und einsam gestorben sei.
Deshalb wohl auch all die Tränen, die Brüser der Großmutter mit viel hellem Wachs ins Gesicht getropft hat. In Strömen treten sie aus den Augen, rinnen über die lachenden Wangen und den Busen hinab. Allerhand könnte da hineingedeutet werden – vielleicht geht es um Mutterschaft, um Trauer und Totenkult. Vielleicht spielt das Bild auch an auf die Muttergottes zwischen Maria lactans und Pietà.
Doch trotz all der Gedankenschwere wirkt Brüser ganz unbeschwert – mit ihrem hintergründigen Grinsen, das eher auf Ironie denn auf tiefe Betroffenheit schließen lässt. Dazu passt der Werk-Titel, den sie ihrer Großmutter in den Mund legt: »Da unten im Tale, läuft’s Wasser so trüb, und ich kann dir es nicht sagen, ich habe dich so lieb.«
Beim Rundgang soll das Bild der Weinenden auf schwarzem Bühnensamt zur Geltung kommen und neben weiteren trüben Kreaturen Stimmung machen. Darunter ein junger Mann, der so unglücklich dreinschaut, dass man mitweinen möchte. »Das ist ganz sicher der traurigste Mensch der Welt«, wirft Brüser ein. Sie sei ihm zufällig in der S-Bahn begegnet und habe ihn gleich abgelichtet. Um die düstere Gemütsverfassung zu unterstreichen, versah die Künstlerin das Porträt mit Strass-Elementen in Tröpfchenform.
Unüberhörbar wird der spöttische Unterton ihrer künstlerischen Trauerarbeit schließlich im »Selbstbetroffenheits-objekt«: Das weiße Spitzentaschentuch ist getränkt mit selbst geweinten Tränen. Fragt sich nur, ob es tatsächlich Tränen der Trauer waren. Oder ob Brüser vor Lachen geweint hat – über ein Publikum, das nur dem rätselhaften, mystischen, melancholisch angehauchten Kunststück wirklichen Wert zuspricht.
Ruben Smulczynski
(Klasse Katharina Grosse)
Der Raum ist verschlossen, keiner drin. Alle sind nach unten zum Workshop gegangen. Geblieben ist aber der Geruch von viel frischer Farbe. In Katharina Grosses Klassenzimmer muss heftig gemalt worden sein. Mitten im farbverschmierten Drunter und Drüber nimmt man Platz auf zwei Hockern – Ruben Smulczynski legt sich sein Notebook auf den Schoß und beginnt zu blättern. Einen wesentlichen Teil seiner Arbeit für den Rundgang hat er im Netz zusammengesucht. Mit Malerei hatte das wenig zu tun.
Allein der Anlass für das Werk geht auf ein Gemälde zurück. Nicht irgendeines, sondern Sandro Botticellis »Geburt der Venus« stand Pate. Zwar hat Smulczynski das Meisterwerk der Renaissance nie im Original gesehen, doch reichte ein Kunstdruck, ihn zu begeistern – für das bewegte Wasser, den Wind, das wehende Haar, den Faltenwurf des geblähten Mantels. Alles findet irgendwie Eingang in seine Rundgang-Arbeit – der Künstler beschreibt sie recht treffend als räumliche Collage.
In einer Ecke des Klassenzimmers soll ein leichtes halbtransparentes Tuch von der Decke hängen und per Ventilator in Bewegung gehalten werden. Es ist rot – in etwa wie der Umhang, mit dem bei Botticelli eine der Horen herbeieilt. Darauf will Smulczynski ein Video projizieren und an die Wand dahinter allerlei Bilder hängen. Auf die ideale Schönheit der Venus von Botticelli antwortet der Künstler mit aberwitzigen Zeugnissen zum zeitgenössischen Schönheitskult. Reichlich davon fand er beim Schmökern im Internet: Meg Ryan,
Nicole Kidman, Donatella Versace. Glatt gezogene Fältchen und mit Botox aufgepumpte Oberlippen. Bis auf die Knochen abgemagerte Models sind auch dabei.
Es hat schon was, wie der Künstler das Renaissance-Gemälde auseinandernimmt, es mit den technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts in den Raum überführt und seine malerischen wie inhaltlichen Themen in die Jetztzeit transportiert.
Für Smulczynski wird es wohl der letzte Auftritt in der Akademie sein. Zwar ist der Künstler erst 23, aber nach elf Semstern schon fertig mit dem Studium dort. Der Beitrag zum Rundgang ist gleichzeitig seine Abschlussarbeit. Und so mischt sich in die berüchtigte »Rundgang-Panik« diesmal noch ein bisschen Examens-Stress.
Kunstakademie Düsseldorf, 12. bis 16. Februar 2014, Tel. 0211/13960. www.kunstakademie-duesseldorf.de