TEXT: ANDREAS WILINK
»FREE« heißt das Coca-Getränk, für das René Saavedra den Werbespot verantwortet: natürlich mit jungen heiteren Menschen, die auf einem Rockkonzert voll abfahren. Freiheit wird im Chile des 1973 durch einen Putsch an die Macht gekommenen Pinochet eher klein geschrieben. Das ist 16 Jahre her. Um die internationale Öffentlichkeit zu beruhigen, steht eine Volksabstimmung an, zu der die Opposition zugelassen und deren Bündnis gestattet wird , 27 Tage lang bis zum Stichtag für sich im Staatsfernsehen zu werben – in jeweils fünfzehnminütigen Beiträgen. Man spricht René an, der irgendwie kritisch, aber vor allem smart, erfolgreich, karrierebewusst und ansonsten indifferent ist, während die Mutter seines Sohnes sich gegen das Regime engagiert. Der Werber sträubt sich zunächst, zumal sein Chef eindeutig auf Seiten der Macht steht. Aber ihn reizt die Aufgabe – unter kommunikationsstrategischen Aspekten. Wie lässt sich das »Produkt« Demokratie bewerben, ohne dass das Ergebnis dröge, bitter und belehrend aussieht? Positives Lebensgefühl und Humor – das ist seine Message für die noch unentschlossenen, sehr unterschiedlichen Wählerschichten. René interessieren nicht die Fakten, sondern wie man Wirkung inszeniert. Die politischen Repräsentanten hingegen argumentieren moralisch und wollen zeigen, was das System ist: Exil, Folter, Exekutionen, Terror. René setzt sich durch. Seine Kampagne verbindet das »No« mit den Farben des Regenbogens, einem fröhlichen Song und der Parole »Freude«, während die »Ja«-Sager zunächst bieder staatstragend Pinochet als Pater Patriae ins Bild setzen und propagandistisch auf Nummer Sicher gehen, dann aber Renés Chef engagieren, sich taktisch umorientieren und den Diktator in Zivil kleiden und parallel den Gegner ausspionieren, drangsalieren, bedrohen und denunzieren.
Man weiß, wie die Geschichte ausgeht. Pinochet wird abgewählt. Aber Pablo Larrains Film, der (obgleich spannend) weniger Politthriller als medienkritische Reflexion ist, raffiniert visuelle Stilelemente der 80er Jahre benutzt und sie mischt mit Dokumentarmaterial und der romantisches Revolutionspathos ganz meidet, hat kein Happy End. Was einem die ganze Zeit über Gael Garcia Bernals Gesicht verrät: ein aufgeweckt sympathisches Pokerface, das Skepsis und lässige professionelle Distanz ausstrahlt. Er ist der Maître de Plaisir und sanfte Verführer, der im neuen Chile weitermacht wie zuvor – an der Seite seines gewendeten Bosses: konsumorientiert und kreativ im Dienst der schönen Lüge, auch wenn sie einmal für die Wahrheit eingespannt wurde.
»No – Adios, Herr Päsident«; Regie: Pablo Larrain; Darsteller: Gael Garcia Bernal, Alfredo Castro, Luis Gnecco, Antonia Zegers; Chile 2012; 120 Min.; Start: ab Ende Februar 2013.