Der trojanische Krieg findet nicht statt. Er ist verlegt in eine Kantine, wo an zwei langen Tischreihen vis à vis vielleicht Gewerkschafter, ein Lehrerkollegium oder sonstige Sportsfreunde, Stammtischstrategen und Betriebsnudeln hocken, fläzen, sich blöd anmachen oder ihre Geschäftchen verhandeln. Marc Günther zieht im Kölner Schauspielhaus Shakespeare herab auf ein Niveau, das dem Stück alles nimmt, aber nichts gibt. Auf aktualisierende, spielerisch diskursive bis triviale Stoffmusterung und -strapazierung verstehen sich Regie-Kollegen wie Jan Bosse (»Viel Lärm um Nichts« in Wien) oder Stefan Pucher (»Othello« in Hamburg) eh besser. Und wenn es auf der Bühne (Gisbert Jäkel) zugeht wie in einem Fernsehspiel von Dieter Wedel, hätte das TV-Spektakel doch immerhin den Vorteil der besseren Besetzung. Und erheblich mehr Spannung. Eine in der Personenführung öde, in der Sprachbehandlung unprofessionelle, als Ensemble-Leistung mediokre Veranstaltung, die sich mit ihrer einzigen Idee an die Situierung in ein banales Milieu klammert. Und nicht bemerkt, wie banal es wirkt, wenn Kassandra auf einmal als Antikriegs-Aktivistin ein Müllsack-Happening performt oder Cressida sich wie ein Cheerleadergirl aufführt. Die Demontage des Helden jedoch, Shakespeares radikal pessimistischer Blick auf das Gefüge der Macht und seine Antriebe, bleibt ungesagt, ungesehen und in den Klamotten der verdrucksten Anzugträger und Freizeitmenschen stecken, die mit ’nem Bier in der Hand rum stehen und sich mit Spaghetti bewerfen, während Lärm von der Stadion-Fankurve hereindringt. Das Schandmaul Thersites ist bei Kate Strong eine weiblich britische Antwort auf Dittsche im Bademantel, was schon das beste ist, was sich von dem Abend sagen lässt. Das wirklich wahre Leben sieht anders aus. Das wirklich wahre Theater auch.
Vom illustrierten Sozialrealismus nun ins Phantasialand des Stadttheaters. In Oberhausen spielt man – aufgekratzt bei der Sache – Shakespeare vorbei an allen Kunstdebatten und ästhetischen Theorien der letzten Jahrzehnte, dafür als nostalgisches Beatclub-Revival. Das Versprechen »All for your delight« (prangend in Leuchtschrift über dem Portal) wird entsprechend anstrengend witzig durchgezogen, als hieße es mit Basiliskenblick aufs Publikum: Auf sie mit Gebrüll! Die Drehbühne rotiert, fährt ein Planschbecken und eine ziemlich laute Zirkuskapelle auf und kommt mit einem »Weiter«-Kommando aus den Reihen der Mitspieler immer wieder in Schwung. Auch Peter Zadek hatte ja von der englischen Music-Hall gelernt, mag sich Regisseur Christian Schlüter gedacht haben, so dass er die Komödie sinn-und ernstfrei auf einem Rummelplatz der Liebe einrichtet: mit einem herzoglichen Späthippie, einer gräflichen Heulboje und pöbelnden, prolligen Altrockern im Heavy-Metal-Styling für das derbe Duo Rülp und Bleichenwang. Seltsam, dass zumeist Lautstärke für den Humor herhalten muss, dass die Herz-und Hetzjagd des Liebenden nach dem falschen Geliebten nur als Trash vorstellbar ist.
Roland Barthes zufolge bedeutet Modern-Sein »zu wissen, was nicht mehr möglich ist«. Demnach sind diese beiden Abende total démodé. AWI
Unwirklich wirklich
01. Feb. 2007