In Deutschland ist es heiß. Man hockt in seinem Kleinwagen mit Treibhauseffekt, ein klebriger, hitzenarkotisierter Apathiker. Die gerechte Strafe. Hat die Wissenschaft nicht beim jüngsten Weltklimabericht eine Änderung des Lebensstils gefordert? Fahrrad- statt Autofahren? Andererseits lässt sich auf unseren Straßen bereits ein imposanter Wechsel des Lebensstils beobachten: Immer mehr Deutsche sind oben ohne unterwegs. Gerade taucht neben uns an der Ampel wieder einer auf, der die Hüllen hat fallen lassen. Ein strammes Cabrio. Sonne tanken statt Sprit! Ja, so ein Mensch im Cabrio ist lebensfroh. Er lässt uns sogar an seinem beneidenswerten Individualismus teilhaben, am Wahnsinnswummern seiner Boxen. Seine dabei schafsmäßige Entrücktheit täuscht – schon bedient der lederne Herrenfahrer seine mächtig sportliche Mechanik, jault abgasfreudig der Motor, juchzt die Beisitzerin. Heißa, hojotoho flattern Föhnhaar und Seidenschal im klimawandelwarmen Fahrtwind.
Das Medium ist die Message. Jede Cabrio-Fahrerin mit XXL-Sonnenbrille und Kopftuch eine Jackie O., Audrey Hepburn, Grace Kelly. Jeder hausbankbackene Parvenü am Cabrio-Volant ein Gary Grant, Jean Gabin, Alain Delon. Göttlich. Wirkt es nicht so, als würde unser schnittiger Beau sogleich bis nach Cannes durchdonnern? Wo seine Segelyacht liegt? Und darauf eine biegsame Blondine? Während wir graugesichtig dem offenen Flitzer hinterher blicken und uns vorkommen wie einer, auf dessen Kofferraumabdeckung eine Klorolle mit Häkelmantel steht.
Cabrioklimawandel also: Die Sonne des Cabrio-Markts steht im Zenith. Deutschland ist, wie es heißt, der »volumenstärkste« Markt für offene Autos in Europa. Und er wächst, in den letzten vier Jahren um fast 20 Prozent. In Zeiten gedeihender Obdachlosigkeit mögen auch immer mehr Autofahrer kein festes Dach mehr über dem Kopf. Nun nimmt sich die Benzinfirma Aral dankenswerterweise des Lifestylewandels an. Mit dem »Aral Cabrio Day 2007« am 10. Juni (www.cabrioday.de), dem »wahrscheinlich größten Cabrio-Treffen Deutschlands«.
Höhepunkt wird ein Weltrekordversuch sein: »Die längste Cabrio-Schlange der Welt« für das Guinness-Buch der Rekorde, um jenen vom Jahr 2001 in Osnabrück (1.451 Open Air-Fahrzeuge) zu überrunden. Der Cabrioverehrungs-Treff findet auf der Trabrennbahn Gelsenkirchen statt. Und der Cabrio-Corso für den Rekordversuch wird von der Schalke-Arena aus zur Rennbahn zuckeln. Glamour im ex-proletarischen Ruhrgebiet. Lack ab für dessen einstige automobile Stil-Ikone, das legendäre Manta-Manta-Modell mit extravaganten Extras wie Fuchsschwanz und Friseuse, Spoilern und Sixpacks.
Da ja nun demnächst Niedersachen & Niederlande klimakatastrophal im Meer versinken und das Revier mediterrane Küste wird, ist so eine Cabrio-Parade passender Vorgeschmack auf den Pott als Nouveau Côte d’Azur: Cruisen über die Corniche von Bottrop und die Herner Promenade des Anglais, über die herrliche Küstenstraße am Golf von Dortmund und die palmengesäumte Croisette von Gelsenkirchen!
Zum »Cabrio Day« kommen Teilnehmer aus durchaus 400 Kilometern Umkreis. Der Weg ist das Ziel. Die Veranstalter sind schon in Fahrt: »Offen durch die Landschaft brausen, sich dabei so richtig frei fühlen und endlich mal wieder einen tiefen Zug frischer Luft genießen.« Die frische Auspuff-Luft wird dann wohl besonders intensiv sein in der langsam dahin kriechenden Cabrio-Rekord-Schlange – endlich mal eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips. Leider läuft beim Stop-and-Go der Motor schnell heiß. Vielleicht kommt der Prozessionszug auch ganz zum Erliegen und die Motoren schweigen in stiller Andacht. Wie schon bei der Anreise, wenn die Cabriopilger zwischen Recklinghausen und Gelsenkirchen-Buer oder zwischen Bochum-Stahlhausen und Gelsenkirchen-Süd wacker ihr Stau-Kreuz tragen. Aber mit der Gelsenkirchener Wallfahrt wird Aral die geräderten Straßenyachten schon auf den rechten Weg bringen. In seine Waschstraßen. Zufällig bieten Arals Waschanlagen den nicht ganz wasserdichten Cabrios nämlich »die exklusive Aral Spezial Cabrio Pflege – für den glänzenden Auftritt«.
Vielleicht aber kommt auch ein strafender Gott über den Pott. Kommt die große Waschstraße des Herrn über die sonnengedörrte Rekordschlange. »Mein ist die Rache für die arme Mutter Natur«, wird ER sprechen. Und die spritsündigen Spaßmotoristen der Endzeit mit einem so gewaltigen Regen erfrischen, dass sie binnen Sekunden volllaufen und absaufen. Arals Cabrio-Schlange der Verführung wird sich in ein großes Feuchtbiotop verwandeln. In ein Cabriotop aus Tümpeln. Am Mahagony-Cockpit werden Algen wachsen und in den edlen Ledersitzbecken finden die von Klimazerstörung geschundenen Fischlein, Eisbären und Robbenbabys neue Heimat. Die Cabrio-Playboys aber werden ihrem Spielzeug ade sagen. Wer will schon unbedacht am Steuer sitzen in Zeiten von Dürre und Überschwemmungen. Das einzige Verdeck, das sie fortan zurückklappen, wird das Verdeck eines Kinderwagens sein.